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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Leben des Fürsten
sey nicht des Fürsten Kantemirs zweyter Sohn; sondern ein junger Mensch,
den er untergeschoben habe, um seinen rechten Sohn Antiochus den Türken
aus den Händen zu spielen. Der Weßir ließ daher, um die Sache zu unter-
suchen, Demetrie zu sich fordern; sagte aber den Augenblick, als er ihn ansich-
tig wurde: Brankowan hat die schändlichste Verleumdung von der Welt
erdacht; denn man erblicket den alten Kantemir augenscheinlich in der Person
des jungen Demetries. Mit einem Worte, Demetrie machte bey dieser ersten
Erscheinung vor dem ersten Bedienten des osmanischen Reichs einen solchen
Eindruck von sich, und gab nachher demselben so viele Proben von seinem reifen
Verstande und seiner klugen Aufführung, daß er sich dadurch würdig machte,
ein Sohn eines solchen Vaters zu seyn.

1691

Er blieb zu Constantinopel bis auf das Jahr 1691, da derselbe von sei-
nem Bruder Antiochus abgelöset wurde und zu seinem Vater zurück kehrete.
Während seines Aufenthalts zu Constantinopel legte er sich auf die türkische
Sprache und Musik; darinnen er es nach der Zeit zu einer solchen Vollkom-
menheit brachte, daß er die musikalischen Noten zuerst bey den Türken einführete,
und verschiedene Stücke in die Musik setzte, die man bey ihnen noch bis auf den
heutigen Tag mit vielem Vergnügen singet.

1692

Als im Jahre 1692 der Seräskjer Daltaban die Belagerung von So-
roka unternahm: so folgte derselbe seinem Vater zu dem Heere, da er viele
Hochachtung von diesem türkischen Feldherrn genoß.

1693

Im folgenden Jahre, und zwar am vierzehenten des Monats März, starb
sein Vater. Auf seinem Todbette ließ er seinen Sohn und die Edelleute zu sich
berufen, und ersuchte dieselben, sie möchten, ehe er aus der Welt scheide, noch
vorher einen Nachfolger erwählen; da dann die Edelleute Demetrie einmüthig
zu ihrem Fürsten erkläreten. Der sterbende Vater erfreuete sich über diese
Nachricht, und schmeichelte sich, der Sultan werde diese Wahl seines Sohnes
bestätigen. Allein, das Geld hatte mehr Gewicht bey dem osmanischen Hofe,
als des Vaters geleistete Dienste und des Sohnes Vorzüge. Es wurde daher
ein anderer in diese Würde eingesetzet, und Demetrie genöthiget, sein Vaterland
zu verlassen, und sich zu seinem Bruder nach Constantinopel zu begeben 3.

[Spaltenumbruch]
3 [Es ist hiebey zu merken, daß die Söhne
der Fürsten in Moldau und Walachey eben
so gut, als die abgesetzten Fürsten (von den
[Spaltenumbruch]
Türken Mäßul genennet), verbunden sind,
sich zu Constantinopel aufzuhalten.]
Nachher

Leben des Fuͤrſten
ſey nicht des Fuͤrſten Kantemirs zweyter Sohn; ſondern ein junger Menſch,
den er untergeſchoben habe, um ſeinen rechten Sohn Antiochus den Tuͤrken
aus den Haͤnden zu ſpielen. Der Weßir ließ daher, um die Sache zu unter-
ſuchen, Demetrie zu ſich fordern; ſagte aber den Augenblick, als er ihn anſich-
tig wurde: Brankowan hat die ſchaͤndlichſte Verleumdung von der Welt
erdacht; denn man erblicket den alten Kantemir augenſcheinlich in der Perſon
des jungen Demetries. Mit einem Worte, Demetrie machte bey dieſer erſten
Erſcheinung vor dem erſten Bedienten des osmaniſchen Reichs einen ſolchen
Eindruck von ſich, und gab nachher demſelben ſo viele Proben von ſeinem reifen
Verſtande und ſeiner klugen Auffuͤhrung, daß er ſich dadurch wuͤrdig machte,
ein Sohn eines ſolchen Vaters zu ſeyn.

1691

Er blieb zu Conſtantinopel bis auf das Jahr 1691, da derſelbe von ſei-
nem Bruder Antiochus abgeloͤſet wurde und zu ſeinem Vater zuruͤck kehrete.
Waͤhrend ſeines Aufenthalts zu Conſtantinopel legte er ſich auf die tuͤrkiſche
Sprache und Muſik; darinnen er es nach der Zeit zu einer ſolchen Vollkom-
menheit brachte, daß er die muſikaliſchen Noten zuerſt bey den Tuͤrken einfuͤhrete,
und verſchiedene Stuͤcke in die Muſik ſetzte, die man bey ihnen noch bis auf den
heutigen Tag mit vielem Vergnuͤgen ſinget.

1692

Als im Jahre 1692 der Seraͤskjer Daltaban die Belagerung von So-
roka unternahm: ſo folgte derſelbe ſeinem Vater zu dem Heere, da er viele
Hochachtung von dieſem tuͤrkiſchen Feldherrn genoß.

1693

Im folgenden Jahre, und zwar am vierzehenten des Monats Maͤrz, ſtarb
ſein Vater. Auf ſeinem Todbette ließ er ſeinen Sohn und die Edelleute zu ſich
berufen, und erſuchte dieſelben, ſie moͤchten, ehe er aus der Welt ſcheide, noch
vorher einen Nachfolger erwaͤhlen; da dann die Edelleute Demetrie einmuͤthig
zu ihrem Fuͤrſten erklaͤreten. Der ſterbende Vater erfreuete ſich uͤber dieſe
Nachricht, und ſchmeichelte ſich, der Sultan werde dieſe Wahl ſeines Sohnes
beſtaͤtigen. Allein, das Geld hatte mehr Gewicht bey dem osmaniſchen Hofe,
als des Vaters geleiſtete Dienſte und des Sohnes Vorzuͤge. Es wurde daher
ein anderer in dieſe Wuͤrde eingeſetzet, und Demetrie genoͤthiget, ſein Vaterland
zu verlaſſen, und ſich zu ſeinem Bruder nach Conſtantinopel zu begeben 3.

[Spaltenumbruch]
3 [Es iſt hiebey zu merken, daß die Soͤhne
der Fuͤrſten in Moldau und Walachey eben
ſo gut, als die abgeſetzten Fuͤrſten (von den
[Spaltenumbruch]
Tuͤrken Maͤßul genennet), verbunden ſind,
ſich zu Conſtantinopel aufzuhalten.]
Nachher
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[842/0960] Leben des Fuͤrſten ſey nicht des Fuͤrſten Kantemirs zweyter Sohn; ſondern ein junger Menſch, den er untergeſchoben habe, um ſeinen rechten Sohn Antiochus den Tuͤrken aus den Haͤnden zu ſpielen. Der Weßir ließ daher, um die Sache zu unter- ſuchen, Demetrie zu ſich fordern; ſagte aber den Augenblick, als er ihn anſich- tig wurde: Brankowan hat die ſchaͤndlichſte Verleumdung von der Welt erdacht; denn man erblicket den alten Kantemir augenſcheinlich in der Perſon des jungen Demetries. Mit einem Worte, Demetrie machte bey dieſer erſten Erſcheinung vor dem erſten Bedienten des osmaniſchen Reichs einen ſolchen Eindruck von ſich, und gab nachher demſelben ſo viele Proben von ſeinem reifen Verſtande und ſeiner klugen Auffuͤhrung, daß er ſich dadurch wuͤrdig machte, ein Sohn eines ſolchen Vaters zu ſeyn. Er blieb zu Conſtantinopel bis auf das Jahr 1691, da derſelbe von ſei- nem Bruder Antiochus abgeloͤſet wurde und zu ſeinem Vater zuruͤck kehrete. Waͤhrend ſeines Aufenthalts zu Conſtantinopel legte er ſich auf die tuͤrkiſche Sprache und Muſik; darinnen er es nach der Zeit zu einer ſolchen Vollkom- menheit brachte, daß er die muſikaliſchen Noten zuerſt bey den Tuͤrken einfuͤhrete, und verſchiedene Stuͤcke in die Muſik ſetzte, die man bey ihnen noch bis auf den heutigen Tag mit vielem Vergnuͤgen ſinget. Als im Jahre 1692 der Seraͤskjer Daltaban die Belagerung von So- roka unternahm: ſo folgte derſelbe ſeinem Vater zu dem Heere, da er viele Hochachtung von dieſem tuͤrkiſchen Feldherrn genoß. Im folgenden Jahre, und zwar am vierzehenten des Monats Maͤrz, ſtarb ſein Vater. Auf ſeinem Todbette ließ er ſeinen Sohn und die Edelleute zu ſich berufen, und erſuchte dieſelben, ſie moͤchten, ehe er aus der Welt ſcheide, noch vorher einen Nachfolger erwaͤhlen; da dann die Edelleute Demetrie einmuͤthig zu ihrem Fuͤrſten erklaͤreten. Der ſterbende Vater erfreuete ſich uͤber dieſe Nachricht, und ſchmeichelte ſich, der Sultan werde dieſe Wahl ſeines Sohnes beſtaͤtigen. Allein, das Geld hatte mehr Gewicht bey dem osmaniſchen Hofe, als des Vaters geleiſtete Dienſte und des Sohnes Vorzuͤge. Es wurde daher ein anderer in dieſe Wuͤrde eingeſetzet, und Demetrie genoͤthiget, ſein Vaterland zu verlaſſen, und ſich zu ſeinem Bruder nach Conſtantinopel zu begeben ³ . Nachher ³ [Es iſt hiebey zu merken, daß die Soͤhne der Fuͤrſten in Moldau und Walachey eben ſo gut, als die abgeſetzten Fuͤrſten (von den Tuͤrken Maͤßul genennet), verbunden ſind, ſich zu Conſtantinopel aufzuhalten.]

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 842. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/960>, abgerufen am 09.05.2024.