Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.23. Aehmed der III [Spaltenumbruch]
der hängenden Beweisgründen, daß die Er- findung derselben wohl einem Meister in der Vernunftlehre hätte Schwierigkeit machen sollen. Kaum konnte etwas vorgebracht werden, auch selbst von den gewöhnlichen Vorfallenheiten in dem gemeinen Leben, daß er nicht davon auf die allerschicklichste Weise geredet hätte; welche Fertigkeit ganz Constan- tinopel desto mehr in Erstaunen setzte, weil er seine ganze Lebenszeit in dem Palaste zuge- bracht hatte, da die Hofleute gleichsam ein- gesperret sind und nichts anderes sehen noch lernen, als Hofgebräuche und dergleichen Sachen, darinnen sie von ihren Lehrmeistern unterrichtet werden. Wann ein Stück aus dem Gesetze vorkam; ungeachtet derselbe die arabische Sprache nicht verstunde, darinnen die Spitzfündigkeiten des muhämmedischen Gerichtsbrauchs beschrieben sind: so konnte er dennoch so eigentlich und scharfsinnig auf alle Sachen antworten, daß der gelehrteste Müfti in seiner Gegenwart hätte stille schwei- gen müssen. Im Rathgeben, in Entdeckung der Absichten einer Person, in Vorhersehung des Ablaufs der Sachen, war derselbe ein anderer Ulysses; und so oft man seine Rath- schläge verabsäumete: so erfolgten allezeit verderbliche Fehler daraus. Als der fran- zösische Abgesandte, Herr von Feriole, ihm zum ersten male aufwartete: so hörete ich, nachdem die Unterredung vorbey und Feriole weggegangen war, daß der Weßir zu denen, die neben ihm stunden, sagte; Bu Gjawr ja Deli dür, ja aß Ssemanden songra Deli olur: das ist; "Dieser Unglaubige ist entweder "unsinnig, oder wird doch in kurzer Zeit "unsinnig werden: welches er, wie er sagte, "aus der öftern Bewegung seiner Augen, "den Gaukeleyen seines Leibes, der Leicht- "sinnigkeit in seinen Geberden, und aus sei- "nem beständigen Seufzen schlosse." Daß diese Vorhersagung wahr gewesen, das hat der Ausgang innerhalb eines oder zweener Monate gezeiget; indem derselbe von einer [Spaltenumbruch] so heftigen Raserey befallen worden, daß man genöthiget war, ihn mit Ketten zu bin- den. Weil nun die Aerzte sich einige Zeit vergebens bemüheten, ihn daran zu heilen: so kamen die französischen Kaufleute zu dem Weßire, und erzählten demselben, daß ihr Gesandter unbäßlich sey; sie ersuchten ihn daher, eine Person aus ihrem Mittel zu bestä- tigen, die sie erwählen wollten, ihre Ange- legenheiten zu besorgen. Allein, er sagte zu denselben: die Ursache seiner Unbäßlichkeit könne keine andere seyn, als die Unsinnigkeit; und daß es in der That an dem war, das wurde kurz hierauf in ganz Constantinopel bekannt. Er hatte ein unvergleichliches Ge- dächtniß, so daß er mitten unter der so großen Mannichfaltigkeit der Geschäffte, nach drey bis vier Jahren sich der Sachen, die ihm vorkamen, wieder erinnern, ja, was noch mehr ist, eine ganz umständliche Nachricht von denselben geben konnte. Wann er in dem Diwan saß: so konnte ihn niemand oh- ne Bewunderung ansehen; denn er war ein Mann von so großer Behendigkeit und Fer- tigkeit, daß er auf drey Sachen zugleich acht haben konnte, eben als wenn er sich in drey Theile zertheilet hätte. Nämlich, zu desto mehrerer Beschleunigung der Sachen ließ derselbe zwo Bittschriften durch beyde Teß- kjeredschi zugleich ablesen, und begriff eine iede Sache so vollkommen, als wenn er sie drey oder vier mal gehöret hätte, fassete auch darüber die gehörigen Urtheile ab. Mittler- weile hörete er andern zu, die ihre Klagen dem Kaßijüläskjer vortrugen, gab demselben das Aerßuhal zurück, und sagte ihm, was er für einen Ausspruch thun sollte. Er war ein so großer Liebhaber der Gerechtigkeit, daß viele behaupten, er habe niemals ein un- gerechtes Urtheil gesprochen. Das osmani- sche Reich hatte zwar in den vorigen Zeiten viele Weßire gehabt, die ihm in dieser Tugend nichts nachgaben: allein es hatte bisher kei- nen hervorgebracht, der ihm in der Geschick- 5 C 2
23. Aehmed der III [Spaltenumbruch]
der haͤngenden Beweisgruͤnden, daß die Er- findung derſelben wohl einem Meiſter in der Vernunftlehre haͤtte Schwierigkeit machen ſollen. Kaum konnte etwas vorgebracht werden, auch ſelbſt von den gewoͤhnlichen Vorfallenheiten in dem gemeinen Leben, daß er nicht davon auf die allerſchicklichſte Weiſe geredet haͤtte; welche Fertigkeit ganz Conſtan- tinopel deſto mehr in Erſtaunen ſetzte, weil er ſeine ganze Lebenszeit in dem Palaſte zuge- bracht hatte, da die Hofleute gleichſam ein- geſperret ſind und nichts anderes ſehen noch lernen, als Hofgebraͤuche und dergleichen Sachen, darinnen ſie von ihren Lehrmeiſtern unterrichtet werden. Wann ein Stuͤck aus dem Geſetze vorkam; ungeachtet derſelbe die arabiſche Sprache nicht verſtunde, darinnen die Spitzfuͤndigkeiten des muhaͤmmediſchen Gerichtsbrauchs beſchrieben ſind: ſo konnte er dennoch ſo eigentlich und ſcharfſinnig auf alle Sachen antworten, daß der gelehrteſte Muͤfti in ſeiner Gegenwart haͤtte ſtille ſchwei- gen muͤſſen. Im Rathgeben, in Entdeckung der Abſichten einer Perſon, in Vorherſehung des Ablaufs der Sachen, war derſelbe ein anderer Ulyſſes; und ſo oft man ſeine Rath- ſchlaͤge verabſaͤumete: ſo erfolgten allezeit verderbliche Fehler daraus. Als der fran- zoͤſiſche Abgeſandte, Herr von Feriole, ihm zum erſten male aufwartete: ſo hoͤrete ich, nachdem die Unterredung vorbey und Feriole weggegangen war, daß der Weßir zu denen, die neben ihm ſtunden, ſagte; Bu Gjawr ja Deli duͤr, ja aß Sſemanden ſongra Deli olur: das iſt; “Dieſer Unglaubige iſt entweder “unſinnig, oder wird doch in kurzer Zeit “unſinnig werden: welches er, wie er ſagte, “aus der oͤftern Bewegung ſeiner Augen, “den Gaukeleyen ſeines Leibes, der Leicht- “ſinnigkeit in ſeinen Geberden, und aus ſei- “nem beſtaͤndigen Seufzen ſchloſſe.„ Daß dieſe Vorherſagung wahr geweſen, das hat der Ausgang innerhalb eines oder zweener Monate gezeiget; indem derſelbe von einer [Spaltenumbruch] ſo heftigen Raſerey befallen worden, daß man genoͤthiget war, ihn mit Ketten zu bin- den. Weil nun die Aerzte ſich einige Zeit vergebens bemuͤheten, ihn daran zu heilen: ſo kamen die franzoͤſiſchen Kaufleute zu dem Weßire, und erzaͤhlten demſelben, daß ihr Geſandter unbaͤßlich ſey; ſie erſuchten ihn daher, eine Perſon aus ihrem Mittel zu beſtaͤ- tigen, die ſie erwaͤhlen wollten, ihre Ange- legenheiten zu beſorgen. Allein, er ſagte zu denſelben: die Urſache ſeiner Unbaͤßlichkeit koͤnne keine andere ſeyn, als die Unſinnigkeit; und daß es in der That an dem war, das wurde kurz hierauf in ganz Conſtantinopel bekannt. Er hatte ein unvergleichliches Ge- daͤchtniß, ſo daß er mitten unter der ſo großen Mannichfaltigkeit der Geſchaͤffte, nach drey bis vier Jahren ſich der Sachen, die ihm vorkamen, wieder erinnern, ja, was noch mehr iſt, eine ganz umſtaͤndliche Nachricht von denſelben geben konnte. Wann er in dem Diwan ſaß: ſo konnte ihn niemand oh- ne Bewunderung anſehen; denn er war ein Mann von ſo großer Behendigkeit und Fer- tigkeit, daß er auf drey Sachen zugleich acht haben konnte, eben als wenn er ſich in drey Theile zertheilet haͤtte. Naͤmlich, zu deſto mehrerer Beſchleunigung der Sachen ließ derſelbe zwo Bittſchriften durch beyde Teß- kjeredſchi zugleich ableſen, und begriff eine iede Sache ſo vollkommen, als wenn er ſie drey oder vier mal gehoͤret haͤtte, faſſete auch daruͤber die gehoͤrigen Urtheile ab. Mittler- weile hoͤrete er andern zu, die ihre Klagen dem Kaßijuͤlaͤskjer vortrugen, gab demſelben das Aerßuhal zuruͤck, und ſagte ihm, was er fuͤr einen Ausſpruch thun ſollte. Er war ein ſo großer Liebhaber der Gerechtigkeit, daß viele behaupten, er habe niemals ein un- gerechtes Urtheil geſprochen. Das osmani- ſche Reich hatte zwar in den vorigen Zeiten viele Weßire gehabt, die ihm in dieſer Tugend nichts nachgaben: allein es hatte bisher kei- nen hervorgebracht, der ihm in der Geſchick- 5 C 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0869" n="755"/> <fw place="top" type="header">23. Aehmed der <hi rendition="#aq">III</hi></fw><lb/> <cb n="1"/><lb/> <note xml:id="C869" prev="#C868" place="end" next="#C870">der haͤngenden Beweisgruͤnden, daß die Er-<lb/> findung derſelben wohl einem Meiſter in der<lb/> Vernunftlehre haͤtte Schwierigkeit machen<lb/> ſollen. Kaum konnte etwas vorgebracht<lb/> werden, auch ſelbſt von den gewoͤhnlichen<lb/> Vorfallenheiten in dem gemeinen Leben, daß<lb/> er nicht davon auf die allerſchicklichſte Weiſe<lb/> geredet haͤtte; welche Fertigkeit ganz Conſtan-<lb/> tinopel deſto mehr in Erſtaunen ſetzte, weil<lb/> er ſeine ganze Lebenszeit in dem Palaſte zuge-<lb/> bracht hatte, da die Hofleute gleichſam ein-<lb/> geſperret ſind und nichts anderes ſehen noch<lb/> lernen, als Hofgebraͤuche und dergleichen<lb/> Sachen, darinnen ſie von ihren Lehrmeiſtern<lb/> unterrichtet werden. Wann ein Stuͤck aus<lb/> dem Geſetze vorkam; ungeachtet derſelbe die<lb/> arabiſche Sprache nicht verſtunde, darinnen<lb/> die Spitzfuͤndigkeiten des muhaͤmmediſchen<lb/> Gerichtsbrauchs beſchrieben ſind: ſo konnte<lb/> er dennoch ſo eigentlich und ſcharfſinnig auf<lb/> alle Sachen antworten, daß der gelehrteſte<lb/> Muͤfti in ſeiner Gegenwart haͤtte ſtille ſchwei-<lb/> gen muͤſſen. Im Rathgeben, in Entdeckung<lb/> der Abſichten einer Perſon, in Vorherſehung<lb/> des Ablaufs der Sachen, war derſelbe ein<lb/> anderer Ulyſſes; und ſo oft man ſeine Rath-<lb/> ſchlaͤge verabſaͤumete: ſo erfolgten allezeit<lb/> verderbliche Fehler daraus. Als der fran-<lb/> zoͤſiſche Abgeſandte, Herr von Feriole, ihm<lb/> zum erſten male aufwartete: ſo hoͤrete ich,<lb/> nachdem die Unterredung vorbey und Feriole<lb/> weggegangen war, daß der Weßir zu denen,<lb/> die neben ihm ſtunden, ſagte; Bu Gjawr ja<lb/> Deli duͤr, ja aß Sſemanden ſongra Deli olur:<lb/> das iſt; “Dieſer Unglaubige iſt entweder<lb/> “unſinnig, oder wird doch in kurzer Zeit<lb/> “unſinnig werden: welches er, wie er ſagte,<lb/> “aus der oͤftern Bewegung ſeiner Augen,<lb/> “den Gaukeleyen ſeines Leibes, der Leicht-<lb/> “ſinnigkeit in ſeinen Geberden, und aus ſei-<lb/> “nem beſtaͤndigen Seufzen ſchloſſe.„ Daß<lb/> dieſe Vorherſagung wahr geweſen, das hat<lb/> der Ausgang innerhalb eines oder zweener<lb/> Monate gezeiget; indem derſelbe von einer<lb/><cb n="2"/><lb/> ſo heftigen Raſerey befallen worden, daß<lb/> man genoͤthiget war, ihn mit Ketten zu bin-<lb/> den. Weil nun die Aerzte ſich einige Zeit<lb/> vergebens bemuͤheten, ihn daran zu heilen:<lb/> ſo kamen die franzoͤſiſchen Kaufleute zu dem<lb/> Weßire, und erzaͤhlten demſelben, daß ihr<lb/> Geſandter unbaͤßlich ſey; ſie erſuchten ihn<lb/> daher, eine Perſon aus ihrem Mittel zu beſtaͤ-<lb/> tigen, die ſie erwaͤhlen wollten, ihre Ange-<lb/> legenheiten zu beſorgen. Allein, er ſagte zu<lb/> denſelben: die Urſache ſeiner Unbaͤßlichkeit<lb/> koͤnne keine andere ſeyn, als die Unſinnigkeit;<lb/> und daß es in der That an dem war, das<lb/> wurde kurz hierauf in ganz Conſtantinopel<lb/> bekannt. Er hatte ein unvergleichliches Ge-<lb/> daͤchtniß, ſo daß er mitten unter der ſo großen<lb/> Mannichfaltigkeit der Geſchaͤffte, nach drey<lb/> bis vier Jahren ſich der Sachen, die ihm<lb/> vorkamen, wieder erinnern, ja, was noch<lb/> mehr iſt, eine ganz umſtaͤndliche Nachricht<lb/> von denſelben geben konnte. Wann er in<lb/> dem Diwan ſaß: ſo konnte ihn niemand oh-<lb/> ne Bewunderung anſehen; denn er war ein<lb/> Mann von ſo großer Behendigkeit und Fer-<lb/> tigkeit, daß er auf drey Sachen zugleich acht<lb/> haben konnte, eben als wenn er ſich in drey<lb/> Theile zertheilet haͤtte. Naͤmlich, zu deſto<lb/> mehrerer Beſchleunigung der Sachen ließ<lb/> derſelbe zwo Bittſchriften durch beyde Teß-<lb/> kjeredſchi zugleich ableſen, und begriff eine<lb/> iede Sache ſo vollkommen, als wenn er ſie<lb/> drey oder vier mal gehoͤret haͤtte, faſſete auch<lb/> daruͤber die gehoͤrigen Urtheile ab. Mittler-<lb/> weile hoͤrete er andern zu, die ihre Klagen<lb/> dem Kaßijuͤlaͤskjer vortrugen, gab demſelben<lb/> das Aerßuhal zuruͤck, und ſagte ihm, was er<lb/> fuͤr einen Ausſpruch thun ſollte. Er war<lb/> ein ſo großer Liebhaber der Gerechtigkeit,<lb/> daß viele behaupten, er habe niemals ein un-<lb/> gerechtes Urtheil geſprochen. Das osmani-<lb/> ſche Reich hatte zwar in den vorigen Zeiten<lb/> viele Weßire gehabt, die ihm in dieſer Tugend<lb/> nichts nachgaben: allein es hatte bisher kei-<lb/> nen hervorgebracht, der ihm in der Geſchick-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">5 C 2</fw> <fw place="bottom" type="catch">lichkeit,</fw></note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [755/0869]
23. Aehmed der III
der haͤngenden Beweisgruͤnden, daß die Er-
findung derſelben wohl einem Meiſter in der
Vernunftlehre haͤtte Schwierigkeit machen
ſollen. Kaum konnte etwas vorgebracht
werden, auch ſelbſt von den gewoͤhnlichen
Vorfallenheiten in dem gemeinen Leben, daß
er nicht davon auf die allerſchicklichſte Weiſe
geredet haͤtte; welche Fertigkeit ganz Conſtan-
tinopel deſto mehr in Erſtaunen ſetzte, weil
er ſeine ganze Lebenszeit in dem Palaſte zuge-
bracht hatte, da die Hofleute gleichſam ein-
geſperret ſind und nichts anderes ſehen noch
lernen, als Hofgebraͤuche und dergleichen
Sachen, darinnen ſie von ihren Lehrmeiſtern
unterrichtet werden. Wann ein Stuͤck aus
dem Geſetze vorkam; ungeachtet derſelbe die
arabiſche Sprache nicht verſtunde, darinnen
die Spitzfuͤndigkeiten des muhaͤmmediſchen
Gerichtsbrauchs beſchrieben ſind: ſo konnte
er dennoch ſo eigentlich und ſcharfſinnig auf
alle Sachen antworten, daß der gelehrteſte
Muͤfti in ſeiner Gegenwart haͤtte ſtille ſchwei-
gen muͤſſen. Im Rathgeben, in Entdeckung
der Abſichten einer Perſon, in Vorherſehung
des Ablaufs der Sachen, war derſelbe ein
anderer Ulyſſes; und ſo oft man ſeine Rath-
ſchlaͤge verabſaͤumete: ſo erfolgten allezeit
verderbliche Fehler daraus. Als der fran-
zoͤſiſche Abgeſandte, Herr von Feriole, ihm
zum erſten male aufwartete: ſo hoͤrete ich,
nachdem die Unterredung vorbey und Feriole
weggegangen war, daß der Weßir zu denen,
die neben ihm ſtunden, ſagte; Bu Gjawr ja
Deli duͤr, ja aß Sſemanden ſongra Deli olur:
das iſt; “Dieſer Unglaubige iſt entweder
“unſinnig, oder wird doch in kurzer Zeit
“unſinnig werden: welches er, wie er ſagte,
“aus der oͤftern Bewegung ſeiner Augen,
“den Gaukeleyen ſeines Leibes, der Leicht-
“ſinnigkeit in ſeinen Geberden, und aus ſei-
“nem beſtaͤndigen Seufzen ſchloſſe.„ Daß
dieſe Vorherſagung wahr geweſen, das hat
der Ausgang innerhalb eines oder zweener
Monate gezeiget; indem derſelbe von einer
ſo heftigen Raſerey befallen worden, daß
man genoͤthiget war, ihn mit Ketten zu bin-
den. Weil nun die Aerzte ſich einige Zeit
vergebens bemuͤheten, ihn daran zu heilen:
ſo kamen die franzoͤſiſchen Kaufleute zu dem
Weßire, und erzaͤhlten demſelben, daß ihr
Geſandter unbaͤßlich ſey; ſie erſuchten ihn
daher, eine Perſon aus ihrem Mittel zu beſtaͤ-
tigen, die ſie erwaͤhlen wollten, ihre Ange-
legenheiten zu beſorgen. Allein, er ſagte zu
denſelben: die Urſache ſeiner Unbaͤßlichkeit
koͤnne keine andere ſeyn, als die Unſinnigkeit;
und daß es in der That an dem war, das
wurde kurz hierauf in ganz Conſtantinopel
bekannt. Er hatte ein unvergleichliches Ge-
daͤchtniß, ſo daß er mitten unter der ſo großen
Mannichfaltigkeit der Geſchaͤffte, nach drey
bis vier Jahren ſich der Sachen, die ihm
vorkamen, wieder erinnern, ja, was noch
mehr iſt, eine ganz umſtaͤndliche Nachricht
von denſelben geben konnte. Wann er in
dem Diwan ſaß: ſo konnte ihn niemand oh-
ne Bewunderung anſehen; denn er war ein
Mann von ſo großer Behendigkeit und Fer-
tigkeit, daß er auf drey Sachen zugleich acht
haben konnte, eben als wenn er ſich in drey
Theile zertheilet haͤtte. Naͤmlich, zu deſto
mehrerer Beſchleunigung der Sachen ließ
derſelbe zwo Bittſchriften durch beyde Teß-
kjeredſchi zugleich ableſen, und begriff eine
iede Sache ſo vollkommen, als wenn er ſie
drey oder vier mal gehoͤret haͤtte, faſſete auch
daruͤber die gehoͤrigen Urtheile ab. Mittler-
weile hoͤrete er andern zu, die ihre Klagen
dem Kaßijuͤlaͤskjer vortrugen, gab demſelben
das Aerßuhal zuruͤck, und ſagte ihm, was er
fuͤr einen Ausſpruch thun ſollte. Er war
ein ſo großer Liebhaber der Gerechtigkeit,
daß viele behaupten, er habe niemals ein un-
gerechtes Urtheil geſprochen. Das osmani-
ſche Reich hatte zwar in den vorigen Zeiten
viele Weßire gehabt, die ihm in dieſer Tugend
nichts nachgaben: allein es hatte bisher kei-
nen hervorgebracht, der ihm in der Geſchick-
lichkeit,
5 C 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |