bis sie viele Beutel zur Auslösung ihres Schiffsvolkes bezahlet, und wegen ihres Vergehens Genugthuung würden geleistet haben.
Der venetiani- sche Abgesandte gehet heimlich von Constanti-nopel weg.
98.
Die Republik Venedig bekam die Nachricht von dem, was zu Con- stantinopel vorgegangen war, gerade zu der Zeit, als Wien belagert wurde, und der Ausgang davon noch zweifelhaft war: und ließ sich also wegen des erlittenen Schimpfes nichts merken. So bald aber dieselbe die Niederlage der Türken bey Wien vernimmt: so fordert sie eine nachdrückliche Genugthuung; und weil man ihr diese abschläget: so machet sie ein Bündniß mit dem Kaiser von Deutschland und Könige in Polen, und erkläret gegen den osmanischen Hof den Krieg. Der venetianische Abgesandte übergiebt die feierliche Kriegserklä- rung dem Kaimmäkam, und machet sich hierauf in veränderter Kleidung heim- lich von Constantinopel weg.
Dieses machet die Türken sehrunruhig.
99.
Ein so wichtiger und unvermutheter Vorfall setzte die Türken bey- nahe in ein unaussprechliches Schrecken. Die Noth erforderte es, daß sie alle ihre Kräfte gegen die Deutschen und Polen anwendeten; und sie sahen doch voraus, daß keine geringere Macht im Stande seyn würde, den Venetianern zu widerstehen. Das venetianische Kriegesheer konnte zwar so groß nicht seyn; weil es aber zweifelhaft war, welchen Lauf dasselbe nehmen würde: so wurde erfordert, daß man alle Seeplätze mit solchen Besatzungen verstärkte, die hin- länglich seyn würden, ein mächtiges Heer auszumachen. Es war keine Flote vorhanden, außer sechs Sultanen; und diese waren noch dazu alt und leck: so war auch keine Hoffnung, bald eine anzuschaffen; weil der ungarische Krieg alles Geld, das in dem Schatze war, wegnehmen mußte.
Der neue Weßir bemühet sich, die Venetianer zu begütigen, und ihre Ahndungabzuwenden:
100.
Aus dieser Ursache wendete Kara Ibrahim Pascha alle Bemü- hungen an, die Venetianer zu begütigen. Er erklärete gegen sie: die Belei- digungen, darüber sie sich beschwereten, wären nicht auf des Sultans Befehl, sondern aus Geiz seines Vorfahrers, geschehen; und versprach, alles, was ihnen genommen worden, ihnen wieder zu erstatten, wenn sie nur von dem Kriege abstehen wollten.
[Spaltenumbruch]
66 Ajnadschi] Ein Bosnier, der von christlichen Aeltern geboren, in seiner Jugend aber in der muhämmedischen Religion aufge- zogen und an Kjüprilis Hofe aufgewachsen ist. [Spaltenumbruch] Er war nach und nach Telchistschi*, Kjihaja, Seräskjer zu Babadagi, und zuletzt oberster Weßir. Der Name Ajnadschi, oder der Be- triegerische, wurde ihm beygeleget, wegen der
101. Al-
* Concipist.
Osmaniſche Geſchichte
bis ſie viele Beutel zur Ausloͤſung ihres Schiffsvolkes bezahlet, und wegen ihres Vergehens Genugthuung wuͤrden geleiſtet haben.
Der venetiani- ſche Abgeſandte gehet heimlich von Conſtanti-nopel weg.
98.
Die Republik Venedig bekam die Nachricht von dem, was zu Con- ſtantinopel vorgegangen war, gerade zu der Zeit, als Wien belagert wurde, und der Ausgang davon noch zweifelhaft war: und ließ ſich alſo wegen des erlittenen Schimpfes nichts merken. So bald aber dieſelbe die Niederlage der Tuͤrken bey Wien vernimmt: ſo fordert ſie eine nachdruͤckliche Genugthuung; und weil man ihr dieſe abſchlaͤget: ſo machet ſie ein Buͤndniß mit dem Kaiſer von Deutſchland und Koͤnige in Polen, und erklaͤret gegen den osmaniſchen Hof den Krieg. Der venetianiſche Abgeſandte uͤbergiebt die feierliche Kriegserklaͤ- rung dem Kaimmaͤkam, und machet ſich hierauf in veraͤnderter Kleidung heim- lich von Conſtantinopel weg.
Dieſes machet die Tuͤrken ſehrunruhig.
99.
Ein ſo wichtiger und unvermutheter Vorfall ſetzte die Tuͤrken bey- nahe in ein unausſprechliches Schrecken. Die Noth erforderte es, daß ſie alle ihre Kraͤfte gegen die Deutſchen und Polen anwendeten; und ſie ſahen doch voraus, daß keine geringere Macht im Stande ſeyn wuͤrde, den Venetianern zu widerſtehen. Das venetianiſche Kriegesheer konnte zwar ſo groß nicht ſeyn; weil es aber zweifelhaft war, welchen Lauf daſſelbe nehmen wuͤrde: ſo wurde erfordert, daß man alle Seeplaͤtze mit ſolchen Beſatzungen verſtaͤrkte, die hin- laͤnglich ſeyn wuͤrden, ein maͤchtiges Heer auszumachen. Es war keine Flote vorhanden, außer ſechs Sultanen; und dieſe waren noch dazu alt und leck: ſo war auch keine Hoffnung, bald eine anzuſchaffen; weil der ungariſche Krieg alles Geld, das in dem Schatze war, wegnehmen mußte.
Der neue Weßir bemuͤhet ſich, die Venetianer zu beguͤtigen, und ihre Ahndungabzuwenden:
100.
Aus dieſer Urſache wendete Kara Ibrahim Paſcha alle Bemuͤ- hungen an, die Venetianer zu beguͤtigen. Er erklaͤrete gegen ſie: die Belei- digungen, daruͤber ſie ſich beſchwereten, waͤren nicht auf des Sultans Befehl, ſondern aus Geiz ſeines Vorfahrers, geſchehen; und verſprach, alles, was ihnen genommen worden, ihnen wieder zu erſtatten, wenn ſie nur von dem Kriege abſtehen wollten.
[Spaltenumbruch]
66 Ajnadſchi] Ein Bosnier, der von chriſtlichen Aeltern geboren, in ſeiner Jugend aber in der muhaͤmmediſchen Religion aufge- zogen und an Kjuͤprilis Hofe aufgewachſen iſt. [Spaltenumbruch] Er war nach und nach Telchistſchi*, Kjihaja, Seraͤskjer zu Babadagi, und zuletzt oberſter Weßir. Der Name Ajnadſchi, oder der Be- triegeriſche, wurde ihm beygeleget, wegen der
101. Al-
* Concipiſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0604"n="496"/><fwplace="top"type="header">Osmaniſche Geſchichte</fw><lb/>
bis ſie viele Beutel zur Ausloͤſung ihres Schiffsvolkes bezahlet, und wegen<lb/>
ihres Vergehens Genugthuung wuͤrden geleiſtet haben.</p><lb/><noteplace="left">Der venetiani-<lb/>ſche Abgeſandte<lb/>
gehet heimlich<lb/>
von Conſtanti-nopel weg.</note></div><lb/><divn="3"><head>98.</head><p>Die Republik Venedig bekam die Nachricht von dem, was zu Con-<lb/>ſtantinopel vorgegangen war, gerade zu der Zeit, als Wien belagert wurde,<lb/>
und der Ausgang davon noch zweifelhaft war: und ließ ſich alſo wegen des<lb/>
erlittenen Schimpfes nichts merken. So bald aber dieſelbe die Niederlage der<lb/>
Tuͤrken bey Wien vernimmt: ſo fordert ſie eine nachdruͤckliche Genugthuung;<lb/>
und weil man ihr dieſe abſchlaͤget: ſo machet ſie ein Buͤndniß mit dem Kaiſer<lb/>
von Deutſchland und Koͤnige in Polen, und erklaͤret gegen den osmaniſchen Hof<lb/>
den Krieg. Der venetianiſche Abgeſandte uͤbergiebt die feierliche Kriegserklaͤ-<lb/>
rung dem Kaimmaͤkam, und machet ſich hierauf in veraͤnderter Kleidung heim-<lb/>
lich von Conſtantinopel weg.</p><lb/><noteplace="left">Dieſes machet<lb/>
die Tuͤrken ſehrunruhig.</note></div><lb/><divn="3"><head>99.</head><p>Ein ſo wichtiger und unvermutheter Vorfall ſetzte die Tuͤrken bey-<lb/>
nahe in ein unausſprechliches Schrecken. Die Noth erforderte es, daß ſie alle<lb/>
ihre Kraͤfte gegen die Deutſchen und Polen anwendeten; und ſie ſahen doch<lb/>
voraus, daß keine geringere Macht im Stande ſeyn wuͤrde, den Venetianern<lb/>
zu widerſtehen. Das venetianiſche Kriegesheer konnte zwar ſo groß nicht ſeyn;<lb/>
weil es aber zweifelhaft war, welchen Lauf daſſelbe nehmen wuͤrde: ſo wurde<lb/>
erfordert, daß man alle Seeplaͤtze mit ſolchen Beſatzungen verſtaͤrkte, die hin-<lb/>
laͤnglich ſeyn wuͤrden, ein maͤchtiges Heer auszumachen. Es war keine Flote<lb/>
vorhanden, außer ſechs Sultanen; und dieſe waren noch dazu alt und leck:<lb/>ſo war auch keine Hoffnung, bald eine anzuſchaffen; weil der ungariſche Krieg<lb/>
alles Geld, das in dem Schatze war, wegnehmen mußte.</p><lb/><noteplace="left">Der neue Weßir<lb/>
bemuͤhet ſich, die<lb/>
Venetianer zu<lb/>
beguͤtigen, und<lb/>
ihre Ahndungabzuwenden:</note></div><lb/><divn="3"><head>100.</head><p>Aus dieſer Urſache wendete Kara Ibrahim Paſcha alle Bemuͤ-<lb/>
hungen an, die Venetianer zu beguͤtigen. Er erklaͤrete gegen ſie: die Belei-<lb/>
digungen, daruͤber ſie ſich beſchwereten, waͤren nicht auf des Sultans Befehl,<lb/>ſondern aus Geiz ſeines Vorfahrers, geſchehen; und verſprach, alles, was<lb/>
ihnen genommen worden, ihnen wieder zu erſtatten, wenn ſie nur von dem<lb/>
Kriege abſtehen wollten.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">101. Al-</fw><lb/><cbn="1"/><lb/><notexml:id="L604"next="#L605"place="end"n="66">Ajnadſchi] Ein Bosnier, der von<lb/>
chriſtlichen Aeltern geboren, in ſeiner Jugend<lb/>
aber in der muhaͤmmediſchen Religion aufge-<lb/>
zogen und an Kjuͤprilis Hofe aufgewachſen iſt.<lb/><cbn="2"/><lb/>
Er war nach und nach Telchistſchi<noteplace="foot"n="*">Concipiſt.</note>, Kjihaja,<lb/>
Seraͤskjer zu Babadagi, und zuletzt oberſter<lb/>
Weßir. Der Name Ajnadſchi, oder der Be-<lb/>
triegeriſche, wurde ihm beygeleget, wegen der<lb/><fwplace="bottom"type="catch">vielen</fw></note></div><lb/></div></div></body></text></TEI>
[496/0604]
Osmaniſche Geſchichte
bis ſie viele Beutel zur Ausloͤſung ihres Schiffsvolkes bezahlet, und wegen
ihres Vergehens Genugthuung wuͤrden geleiſtet haben.
98. Die Republik Venedig bekam die Nachricht von dem, was zu Con-
ſtantinopel vorgegangen war, gerade zu der Zeit, als Wien belagert wurde,
und der Ausgang davon noch zweifelhaft war: und ließ ſich alſo wegen des
erlittenen Schimpfes nichts merken. So bald aber dieſelbe die Niederlage der
Tuͤrken bey Wien vernimmt: ſo fordert ſie eine nachdruͤckliche Genugthuung;
und weil man ihr dieſe abſchlaͤget: ſo machet ſie ein Buͤndniß mit dem Kaiſer
von Deutſchland und Koͤnige in Polen, und erklaͤret gegen den osmaniſchen Hof
den Krieg. Der venetianiſche Abgeſandte uͤbergiebt die feierliche Kriegserklaͤ-
rung dem Kaimmaͤkam, und machet ſich hierauf in veraͤnderter Kleidung heim-
lich von Conſtantinopel weg.
99. Ein ſo wichtiger und unvermutheter Vorfall ſetzte die Tuͤrken bey-
nahe in ein unausſprechliches Schrecken. Die Noth erforderte es, daß ſie alle
ihre Kraͤfte gegen die Deutſchen und Polen anwendeten; und ſie ſahen doch
voraus, daß keine geringere Macht im Stande ſeyn wuͤrde, den Venetianern
zu widerſtehen. Das venetianiſche Kriegesheer konnte zwar ſo groß nicht ſeyn;
weil es aber zweifelhaft war, welchen Lauf daſſelbe nehmen wuͤrde: ſo wurde
erfordert, daß man alle Seeplaͤtze mit ſolchen Beſatzungen verſtaͤrkte, die hin-
laͤnglich ſeyn wuͤrden, ein maͤchtiges Heer auszumachen. Es war keine Flote
vorhanden, außer ſechs Sultanen; und dieſe waren noch dazu alt und leck:
ſo war auch keine Hoffnung, bald eine anzuſchaffen; weil der ungariſche Krieg
alles Geld, das in dem Schatze war, wegnehmen mußte.
100. Aus dieſer Urſache wendete Kara Ibrahim Paſcha alle Bemuͤ-
hungen an, die Venetianer zu beguͤtigen. Er erklaͤrete gegen ſie: die Belei-
digungen, daruͤber ſie ſich beſchwereten, waͤren nicht auf des Sultans Befehl,
ſondern aus Geiz ſeines Vorfahrers, geſchehen; und verſprach, alles, was
ihnen genommen worden, ihnen wieder zu erſtatten, wenn ſie nur von dem
Kriege abſtehen wollten.
101. Al-
⁶⁶ Ajnadſchi] Ein Bosnier, der von
chriſtlichen Aeltern geboren, in ſeiner Jugend
aber in der muhaͤmmediſchen Religion aufge-
zogen und an Kjuͤprilis Hofe aufgewachſen iſt.
Er war nach und nach Telchistſchi *, Kjihaja,
Seraͤskjer zu Babadagi, und zuletzt oberſter
Weßir. Der Name Ajnadſchi, oder der Be-
triegeriſche, wurde ihm beygeleget, wegen der
vielen
* Concipiſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/604>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.