Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.17. Murad der IIII Recht für verdächtig halten kann, daß sie Fabeln mit einmischen. Ich will nurkürzlich bloß solche Dinge anführen, welche von richtigern Geschichtschreibern von Murads Leben erzählet werden. Diese haben hauptsächlich angemerket, daß derselbe einige Dinge gethan habe, die sowol dem kaiserlichen Ansehen, als der Ordnung der Natur, zuwider seyen. Sie sagen: er habe die Gewohnheit ge- habt, mit eigenen Personen und Freunden aus der Stadt nach gewissen Lust- örtern und Gärten zu gehen, und auf eine Art, die einem Kaiser unanständig ist, sich mit ihnen zu bezeigen, Feuer anzuschüren, Essen zu kochen, Wein aus der Schenke zu holen, und denselben mit seinen Gesellen vertraulich auszutrin- ken. Weiter habe er alte Weiber von achtzig Jahren mit jungen Burschen von funfzehen bis fünf und zwanzig Jahren verheiratet, imgleichen alte Män- ner und ganz junge Mädchen zusammen gezwungen, und tausend dergleichen Streiche mehr gemacht. 19. Inzwischen ließe sich noch zu seiner Entschuldigung sagen: seine Ab-Seine Trunken- sechs Saiten bezogen (daher es auch den Na- men Scheschta oder [fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt] führet). Es wird für das vornehmste Instrument in der Musik gehalten, und man glaubet, daß David dasselbe erfunden habe: wiewol heu- tiges Tages wenige sind, die es recht zu spie- len wissen. 11 Bekjri Mustäfa] Die Türken be- haupten einhellig, daß dieser Mann Murad die erste Veranlassung gegeben habe, sich zu betrinken. Wie dieses zugegangen sey: das erzählen sie auf folgende Weise. Als Murad einsmals in verstellter Kleidung auf dem Markte gehet: so trifft er von ungefähr die- sen Bekjri Mustäfa an, daß er sich im Kothe wälzet und so betrunken ist, daß er nichts [Spaltenumbruch] von seinen Sinnen weis. Murad verwun- dert sich über diese neue Begebenheit, und fraget die Leute: was diesem Menschen an- gekommen sey; denn ihm kam es vor, als wenn er mondsüchtig wäre. Als man ihm nun saget; er sey vom Weine trunken: so will er wissen, was dieses für ein Getränke sey; denn die Wirkungen desselben waren ihm damals noch ganz unbekannt. Unter- dessen kommt Mustäfa wieder auf die Beine, und heißet den Kaiser mit Scheltworten: er sollte weggehen. Dieser erstaunet über des Mannes Frechheit, und saget: Du Lumpen- hund! ich bin Sultan Murad, und du hei- ßest mich weggehen? Und ich (versetzet Mu- stäfa) bin Bekjri Mustäfa*; und wenn du mir diese Stadt verkaufen willst: so will ich er * Mustäfa der Trunkenbold. 3 B
17. Murad der IIII Recht fuͤr verdaͤchtig halten kann, daß ſie Fabeln mit einmiſchen. Ich will nurkuͤrzlich bloß ſolche Dinge anfuͤhren, welche von richtigern Geſchichtſchreibern von Murads Leben erzaͤhlet werden. Dieſe haben hauptſaͤchlich angemerket, daß derſelbe einige Dinge gethan habe, die ſowol dem kaiſerlichen Anſehen, als der Ordnung der Natur, zuwider ſeyen. Sie ſagen: er habe die Gewohnheit ge- habt, mit eigenen Perſonen und Freunden aus der Stadt nach gewiſſen Luſt- oͤrtern und Gaͤrten zu gehen, und auf eine Art, die einem Kaiſer unanſtaͤndig iſt, ſich mit ihnen zu bezeigen, Feuer anzuſchuͤren, Eſſen zu kochen, Wein aus der Schenke zu holen, und denſelben mit ſeinen Geſellen vertraulich auszutrin- ken. Weiter habe er alte Weiber von achtzig Jahren mit jungen Burſchen von funfzehen bis fuͤnf und zwanzig Jahren verheiratet, imgleichen alte Maͤn- ner und ganz junge Maͤdchen zuſammen gezwungen, und tauſend dergleichen Streiche mehr gemacht. 19. Inzwiſchen ließe ſich noch zu ſeiner Entſchuldigung ſagen: ſeine Ab-Seine Trunken- ſechs Saiten bezogen (daher es auch den Na- men Scheſchta oder [fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt] fuͤhret). Es wird fuͤr das vornehmſte Inſtrument in der Muſik gehalten, und man glaubet, daß David daſſelbe erfunden habe: wiewol heu- tiges Tages wenige ſind, die es recht zu ſpie- len wiſſen. 11 Bekjri Muſtaͤfa] Die Tuͤrken be- haupten einhellig, daß dieſer Mann Murad die erſte Veranlaſſung gegeben habe, ſich zu betrinken. Wie dieſes zugegangen ſey: das erzaͤhlen ſie auf folgende Weiſe. Als Murad einsmals in verſtellter Kleidung auf dem Markte gehet: ſo trifft er von ungefaͤhr die- ſen Bekjri Muſtaͤfa an, daß er ſich im Kothe waͤlzet und ſo betrunken iſt, daß er nichts [Spaltenumbruch] von ſeinen Sinnen weis. Murad verwun- dert ſich uͤber dieſe neue Begebenheit, und fraget die Leute: was dieſem Menſchen an- gekommen ſey; denn ihm kam es vor, als wenn er mondſuͤchtig waͤre. Als man ihm nun ſaget; er ſey vom Weine trunken: ſo will er wiſſen, was dieſes fuͤr ein Getraͤnke ſey; denn die Wirkungen deſſelben waren ihm damals noch ganz unbekannt. Unter- deſſen kommt Muſtaͤfa wieder auf die Beine, und heißet den Kaiſer mit Scheltworten: er ſollte weggehen. Dieſer erſtaunet uͤber des Mannes Frechheit, und ſaget: Du Lumpen- hund! ich bin Sultan Murad, und du hei- ßeſt mich weggehen? Und ich (verſetzet Mu- ſtaͤfa) bin Bekjri Muſtaͤfa*; und wenn du mir dieſe Stadt verkaufen willſt: ſo will ich er * Muſtaͤfa der Trunkenbold. 3 B
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0481" n="377"/><fw place="top" type="header">17. Murad der <hi rendition="#aq">IIII</hi></fw><lb/> Recht fuͤr verdaͤchtig halten kann, daß ſie Fabeln mit einmiſchen. Ich will nur<lb/> kuͤrzlich bloß ſolche Dinge anfuͤhren, welche von richtigern Geſchichtſchreibern von<lb/> Murads Leben erzaͤhlet werden. Dieſe haben hauptſaͤchlich angemerket, daß<lb/> derſelbe einige Dinge gethan habe, die ſowol dem kaiſerlichen Anſehen, als der<lb/> Ordnung der Natur, zuwider ſeyen. Sie ſagen: er habe die Gewohnheit ge-<lb/> habt, mit eigenen Perſonen und Freunden aus der Stadt nach gewiſſen Luſt-<lb/> oͤrtern und Gaͤrten zu gehen, und auf eine Art, die einem Kaiſer unanſtaͤndig<lb/> iſt, ſich mit ihnen zu bezeigen, Feuer anzuſchuͤren, Eſſen zu kochen, Wein aus<lb/> der Schenke zu holen, und denſelben mit ſeinen Geſellen vertraulich auszutrin-<lb/> ken. Weiter habe er alte Weiber von achtzig Jahren mit jungen Burſchen<lb/> von funfzehen bis fuͤnf und zwanzig Jahren verheiratet, imgleichen alte Maͤn-<lb/> ner und ganz junge Maͤdchen zuſammen gezwungen, und tauſend dergleichen<lb/> Streiche mehr gemacht.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>19.</head> <p>Inzwiſchen ließe ſich noch zu ſeiner Entſchuldigung ſagen: ſeine Ab-<note place="right">Seine Trunken-<lb/> heit.</note><lb/> ſicht bey dieſen Dingen ſey geweſen, die Natur und Neigungen der Menſchen<lb/> genauer zu erforſchen, und das Vergnuͤgen des gemeinen und Landlebens zu<lb/> genießen. Allein, noch mehr iſt derſelbe berufen wegen ſeiner Trunkenheit,<lb/> darinnen er alle ſeine Vorfahrer, die dieſem Laſter ergeben geweſen, uͤbertroffen<lb/> hat. Nachdem er dazu von Bekjri Muſtaͤfa <note place="end" n="11"/> verleitet worden: ſo begnuͤgte<lb/> <fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/><cb n="1"/><lb/><note xml:id="D481" prev="#D480" place="end">ſechs Saiten bezogen (daher es auch den Na-<lb/> men Scheſchta oder <gap reason="fm" unit="chars"/> fuͤhret).<lb/> Es wird fuͤr das vornehmſte Inſtrument in<lb/> der Muſik gehalten, und man glaubet, daß<lb/> David daſſelbe erfunden habe: wiewol heu-<lb/> tiges Tages wenige ſind, die es recht zu ſpie-<lb/> len wiſſen.</note><lb/><note xml:id="E481" next="#E482" place="end" n="11">Bekjri Muſtaͤfa] Die Tuͤrken be-<lb/> haupten einhellig, daß dieſer Mann Murad<lb/> die erſte Veranlaſſung gegeben habe, ſich zu<lb/> betrinken. Wie dieſes zugegangen ſey: das<lb/> erzaͤhlen ſie auf folgende Weiſe. Als Murad<lb/> einsmals in verſtellter Kleidung auf dem<lb/> Markte gehet: ſo trifft er von ungefaͤhr die-<lb/> ſen Bekjri Muſtaͤfa an, daß er ſich im Kothe<lb/> waͤlzet und ſo betrunken iſt, daß er nichts<lb/><cb n="2"/><lb/> von ſeinen Sinnen weis. Murad verwun-<lb/> dert ſich uͤber dieſe neue Begebenheit, und<lb/> fraget die Leute: was dieſem Menſchen an-<lb/> gekommen ſey; denn ihm kam es vor, als<lb/> wenn er mondſuͤchtig waͤre. Als man ihm<lb/> nun ſaget; er ſey vom Weine trunken: ſo<lb/> will er wiſſen, was dieſes fuͤr ein Getraͤnke<lb/> ſey; denn die Wirkungen deſſelben waren<lb/> ihm damals noch ganz unbekannt. Unter-<lb/> deſſen kommt Muſtaͤfa wieder auf die Beine,<lb/> und heißet den Kaiſer mit Scheltworten: er<lb/> ſollte weggehen. Dieſer erſtaunet uͤber des<lb/> Mannes Frechheit, und ſaget: Du Lumpen-<lb/> hund! ich bin Sultan Murad, und du hei-<lb/> ßeſt mich weggehen? Und ich (verſetzet Mu-<lb/> ſtaͤfa) bin Bekjri Muſtaͤfa<note place="foot" n="*">Muſtaͤfa der Trunkenbold.</note>; und wenn du<lb/> mir dieſe Stadt verkaufen willſt: ſo will ich<lb/> <fw place="bottom" type="catch">dir</fw></note><lb/> <fw place="bottom" type="sig">3 B</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [377/0481]
17. Murad der IIII
Recht fuͤr verdaͤchtig halten kann, daß ſie Fabeln mit einmiſchen. Ich will nur
kuͤrzlich bloß ſolche Dinge anfuͤhren, welche von richtigern Geſchichtſchreibern von
Murads Leben erzaͤhlet werden. Dieſe haben hauptſaͤchlich angemerket, daß
derſelbe einige Dinge gethan habe, die ſowol dem kaiſerlichen Anſehen, als der
Ordnung der Natur, zuwider ſeyen. Sie ſagen: er habe die Gewohnheit ge-
habt, mit eigenen Perſonen und Freunden aus der Stadt nach gewiſſen Luſt-
oͤrtern und Gaͤrten zu gehen, und auf eine Art, die einem Kaiſer unanſtaͤndig
iſt, ſich mit ihnen zu bezeigen, Feuer anzuſchuͤren, Eſſen zu kochen, Wein aus
der Schenke zu holen, und denſelben mit ſeinen Geſellen vertraulich auszutrin-
ken. Weiter habe er alte Weiber von achtzig Jahren mit jungen Burſchen
von funfzehen bis fuͤnf und zwanzig Jahren verheiratet, imgleichen alte Maͤn-
ner und ganz junge Maͤdchen zuſammen gezwungen, und tauſend dergleichen
Streiche mehr gemacht.
19. Inzwiſchen ließe ſich noch zu ſeiner Entſchuldigung ſagen: ſeine Ab-
ſicht bey dieſen Dingen ſey geweſen, die Natur und Neigungen der Menſchen
genauer zu erforſchen, und das Vergnuͤgen des gemeinen und Landlebens zu
genießen. Allein, noch mehr iſt derſelbe berufen wegen ſeiner Trunkenheit,
darinnen er alle ſeine Vorfahrer, die dieſem Laſter ergeben geweſen, uͤbertroffen
hat. Nachdem er dazu von Bekjri Muſtaͤfa
¹¹
verleitet worden: ſo begnuͤgte
er
ſechs Saiten bezogen (daher es auch den Na-
men Scheſchta oder _ fuͤhret).
Es wird fuͤr das vornehmſte Inſtrument in
der Muſik gehalten, und man glaubet, daß
David daſſelbe erfunden habe: wiewol heu-
tiges Tages wenige ſind, die es recht zu ſpie-
len wiſſen.
¹¹ Bekjri Muſtaͤfa] Die Tuͤrken be-
haupten einhellig, daß dieſer Mann Murad
die erſte Veranlaſſung gegeben habe, ſich zu
betrinken. Wie dieſes zugegangen ſey: das
erzaͤhlen ſie auf folgende Weiſe. Als Murad
einsmals in verſtellter Kleidung auf dem
Markte gehet: ſo trifft er von ungefaͤhr die-
ſen Bekjri Muſtaͤfa an, daß er ſich im Kothe
waͤlzet und ſo betrunken iſt, daß er nichts
von ſeinen Sinnen weis. Murad verwun-
dert ſich uͤber dieſe neue Begebenheit, und
fraget die Leute: was dieſem Menſchen an-
gekommen ſey; denn ihm kam es vor, als
wenn er mondſuͤchtig waͤre. Als man ihm
nun ſaget; er ſey vom Weine trunken: ſo
will er wiſſen, was dieſes fuͤr ein Getraͤnke
ſey; denn die Wirkungen deſſelben waren
ihm damals noch ganz unbekannt. Unter-
deſſen kommt Muſtaͤfa wieder auf die Beine,
und heißet den Kaiſer mit Scheltworten: er
ſollte weggehen. Dieſer erſtaunet uͤber des
Mannes Frechheit, und ſaget: Du Lumpen-
hund! ich bin Sultan Murad, und du hei-
ßeſt mich weggehen? Und ich (verſetzet Mu-
ſtaͤfa) bin Bekjri Muſtaͤfa *; und wenn du
mir dieſe Stadt verkaufen willſt: ſo will ich
dir
Seine Trunken-
heit.
* Muſtaͤfa der Trunkenbold.
3 B
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |