Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.Osmanische Geschichte dern 2 bey Hofe, bezeigten dem neuen Kaiser ihre Unterthänigkeit, und tröstetendenselben wegen des Todes seines Vaters mit den trefflichsten Ausdrückungen. Kriegsheere da- für angenom-men. 2. Drey Tage hernach trat derselbe, in Begleitung weniger Personen, ter auf prächtigeWeise begraben: 3. So bald, als alle Zubereitungen zu seines Vaters Leichbegängnisse 2 Trauerkleidern] Vor diesem pflegten sie bey dem Tode eines türkischen Kaisers den größten Stat zu treiben, und dazu die aus- erlesensten Farben zu erwählen. Heut zu Tage aber trauren sie nur drey Tage in rothen Kleidern, und halten dieses nicht einmal so gar genau: nachher legen sie ihre ordentlichen Kleider wieder an. 3 iedermann verborgen] Sowol Chri- sten als Türken behaupten einstimmig, Sü- lejmans Tod sey durch den Weßir ein und vierzig Tage lang verhehlet worden, bis näm- lich Selim zu Belgrad angekommen sey. Ein Leser, der die türkischen Gebräuche nicht kennet, wird meinen, es sey dieses unter so viel tausend Soldaten unmöglich zu bewerk- stelligen; diejenigen aber, die das mehr als pythagorische Stilleschweigen in dem innern osmanischen Hofe wissen, werden es nicht in Zweifel ziehen. Niemand spricht da- selbst ein Wort, außer wann es ihm befohlen [Spaltenumbruch] wird; keiner hält da ein Gespräch mit dem andern: kein Mensch hat nur einmal das Herz sich zu schneuzen oder zu husten, es mag ihn ankommen, was da will. Wenn sie ein- ander etwas wissend zu machen haben: so geschiehet es in der Sprache der Stummen, das ist, durch Zeichen. Sie tragen keine Schuhe, und gehen nur auf den Spitzen der Zehen, und dieses so leise und so behutsam, daß man kaum ihren Tritt hören kann, wann sie auch laufen. Wer nur das mindeste Ge- räusch macht: der wird sehr scharf gestrafet. 4 Bächschisch] oder eine Verehrung, die man ordentlicher Weise unter die Solda- ten austheilet, wann ein neuer Kaiser einge- setzet wird. Ein ieder Jeng-itscheri (es sind ihrer aber vierzig tausend) bekommt zwanzig Thaler, und von den funfzehen tausend Si- pahi ein ieder fünf und zwanzig. Manch- mal wird auch nach des Sultans Belieben ihr täglicher Sold um einen Asper* erhöhet: gemacht * 2 sächsische Pfenninge.
Osmaniſche Geſchichte dern 2 bey Hofe, bezeigten dem neuen Kaiſer ihre Unterthaͤnigkeit, und troͤſtetendenſelben wegen des Todes ſeines Vaters mit den trefflichſten Ausdruͤckungen. Kriegsheere da- fuͤr angenom-men. 2. Drey Tage hernach trat derſelbe, in Begleitung weniger Perſonen, ter auf praͤchtigeWeiſe begraben: 3. So bald, als alle Zubereitungen zu ſeines Vaters Leichbegaͤngniſſe 2 Trauerkleidern] Vor dieſem pflegten ſie bey dem Tode eines tuͤrkiſchen Kaiſers den groͤßten Stat zu treiben, und dazu die aus- erleſenſten Farben zu erwaͤhlen. Heut zu Tage aber trauren ſie nur drey Tage in rothen Kleidern, und halten dieſes nicht einmal ſo gar genau: nachher legen ſie ihre ordentlichen Kleider wieder an. 3 iedermann verborgen] Sowol Chri- ſten als Tuͤrken behaupten einſtimmig, Suͤ- lejmans Tod ſey durch den Weßir ein und vierzig Tage lang verhehlet worden, bis naͤm- lich Selim zu Belgrad angekommen ſey. Ein Leſer, der die tuͤrkiſchen Gebraͤuche nicht kennet, wird meinen, es ſey dieſes unter ſo viel tauſend Soldaten unmoͤglich zu bewerk- ſtelligen; diejenigen aber, die das mehr als pythagoriſche Stilleſchweigen in dem innern osmaniſchen Hofe wiſſen, werden es nicht in Zweifel ziehen. Niemand ſpricht da- ſelbſt ein Wort, außer wann es ihm befohlen [Spaltenumbruch] wird; keiner haͤlt da ein Geſpraͤch mit dem andern: kein Menſch hat nur einmal das Herz ſich zu ſchneuzen oder zu huſten, es mag ihn ankommen, was da will. Wenn ſie ein- ander etwas wiſſend zu machen haben: ſo geſchiehet es in der Sprache der Stummen, das iſt, durch Zeichen. Sie tragen keine Schuhe, und gehen nur auf den Spitzen der Zehen, und dieſes ſo leiſe und ſo behutſam, daß man kaum ihren Tritt hoͤren kann, wann ſie auch laufen. Wer nur das mindeſte Ge- raͤuſch macht: der wird ſehr ſcharf geſtrafet. 4 Baͤchſchiſch] oder eine Verehrung, die man ordentlicher Weiſe unter die Solda- ten austheilet, wann ein neuer Kaiſer einge- ſetzet wird. Ein ieder Jeng-itſcheri (es ſind ihrer aber vierzig tauſend) bekommt zwanzig Thaler, und von den funfzehen tauſend Si- pahi ein ieder fuͤnf und zwanzig. Manch- mal wird auch nach des Sultans Belieben ihr taͤglicher Sold um einen Aſper* erhoͤhet: gemacht * 2 ſaͤchſiſche Pfenninge.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0422" n="330"/><fw place="top" type="header">Osmaniſche Geſchichte</fw><lb/> dern <note place="end" n="2"/> bey Hofe, bezeigten dem neuen Kaiſer ihre Unterthaͤnigkeit, und troͤſteten<lb/> denſelben wegen des Todes ſeines Vaters mit den trefflichſten Ausdruͤckungen.</p><lb/> <note place="left">auch bey dem<lb/> Kriegsheere da-<lb/> fuͤr angenom-men.</note> </div><lb/> <div n="3"> <head>2.</head> <p>Drey Tage hernach trat derſelbe, in Begleitung weniger Perſonen,<lb/> die Reiſe von Conſtantinopel nach Schegetwar an. Weil aber der Weßir<lb/> Mehemmed Paſcha mittlerweile die Stadt erobert und mit einer ſtarken Beſat-<lb/> zung verſehen hatte: ſo hatte er das Kriegesheer in das Winterlager gehen laſ-<lb/> ſen, und war bereits bis nach Belgrad fortgeruͤcket, waͤhrend welcher ganzen<lb/> Zeit des Kaiſers Tod iedermann verborgen <note place="end" n="3"/> geblieben war. Daher wurden<lb/> die Soldaten uͤber Selims ploͤtzlicher und unvermutheter Ankunft unruhig; und<lb/> weil ſie beſorgten, er moͤchte, nach dem Beyſpiele ſeines Großvaters gleiches Na-<lb/> mens, ſeinem Vater einiges Leid zufuͤgen: ſo griffen ſie zum Gewehre. Als<lb/> ſie aber von Suͤlejmans Tode die zuverlaͤſſige Nachricht bekamen: ſo nahmen<lb/> ſie Selim insgeſamt als den rechtmaͤßigen Nachfolger an, und bezeigten ihm,<lb/> als ihrem Oberherrn, ihren unterthaͤnigen Gehorſam.</p><lb/> <note place="left">Laͤſſet ſeinen Va-<lb/> ter auf praͤchtigeWeiſe begraben:</note> </div><lb/> <div n="3"> <head>3.</head> <p>So bald, als alle Zubereitungen zu ſeines Vaters Leichbegaͤngniſſe<lb/> <fw place="bottom" type="catch">gemacht</fw><lb/><cb n="1"/><lb/><note place="end" n="2">Trauerkleidern] Vor dieſem pflegten<lb/> ſie bey dem Tode eines tuͤrkiſchen Kaiſers den<lb/> groͤßten Stat zu treiben, und dazu die aus-<lb/> erleſenſten Farben zu erwaͤhlen. Heut zu<lb/> Tage aber trauren ſie nur drey Tage in rothen<lb/> Kleidern, und halten dieſes nicht einmal ſo<lb/> gar genau: nachher legen ſie ihre ordentlichen<lb/> Kleider wieder an.</note><lb/><note place="end" n="3">iedermann verborgen] Sowol Chri-<lb/> ſten als Tuͤrken behaupten einſtimmig, Suͤ-<lb/> lejmans Tod ſey durch den Weßir ein und<lb/> vierzig Tage lang verhehlet worden, bis naͤm-<lb/> lich Selim zu Belgrad angekommen ſey.<lb/> Ein Leſer, der die tuͤrkiſchen Gebraͤuche nicht<lb/> kennet, wird meinen, es ſey dieſes unter ſo<lb/> viel tauſend Soldaten unmoͤglich zu bewerk-<lb/> ſtelligen; diejenigen aber, die das mehr als<lb/> pythagoriſche Stilleſchweigen in dem innern<lb/> osmaniſchen Hofe wiſſen, werden es nicht<lb/> in Zweifel ziehen. Niemand ſpricht da-<lb/> ſelbſt ein Wort, außer wann es ihm befohlen<lb/><cb n="2"/><lb/> wird; keiner haͤlt da ein Geſpraͤch mit dem<lb/> andern: kein Menſch hat nur einmal das<lb/> Herz ſich zu ſchneuzen oder zu huſten, es mag<lb/> ihn ankommen, was da will. Wenn ſie ein-<lb/> ander etwas wiſſend zu machen haben: ſo<lb/> geſchiehet es in der Sprache der Stummen,<lb/> das iſt, durch Zeichen. Sie tragen keine<lb/> Schuhe, und gehen nur auf den Spitzen der<lb/> Zehen, und dieſes ſo leiſe und ſo behutſam,<lb/> daß man kaum ihren Tritt hoͤren kann, wann<lb/> ſie auch laufen. Wer nur das mindeſte Ge-<lb/> raͤuſch macht: der wird ſehr ſcharf geſtrafet.</note><lb/><note xml:id="L422" next="#L423" place="end" n="4">Baͤchſchiſch] oder eine Verehrung,<lb/> die man ordentlicher Weiſe unter die Solda-<lb/> ten austheilet, wann ein neuer Kaiſer einge-<lb/> ſetzet wird. Ein ieder Jeng-itſcheri (es ſind<lb/> ihrer aber vierzig tauſend) bekommt zwanzig<lb/> Thaler, und von den funfzehen tauſend Si-<lb/> pahi ein ieder fuͤnf und zwanzig. Manch-<lb/> mal wird auch nach des Sultans Belieben<lb/> ihr taͤglicher Sold um einen Aſper<note place="foot" n="*">2<formula notation="TeX">\frac{14}{65}</formula> ſaͤchſiſche Pfenninge.</note> erhoͤhet:<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wiewol</fw></note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [330/0422]
Osmaniſche Geſchichte
dern
²
bey Hofe, bezeigten dem neuen Kaiſer ihre Unterthaͤnigkeit, und troͤſteten
denſelben wegen des Todes ſeines Vaters mit den trefflichſten Ausdruͤckungen.
2. Drey Tage hernach trat derſelbe, in Begleitung weniger Perſonen,
die Reiſe von Conſtantinopel nach Schegetwar an. Weil aber der Weßir
Mehemmed Paſcha mittlerweile die Stadt erobert und mit einer ſtarken Beſat-
zung verſehen hatte: ſo hatte er das Kriegesheer in das Winterlager gehen laſ-
ſen, und war bereits bis nach Belgrad fortgeruͤcket, waͤhrend welcher ganzen
Zeit des Kaiſers Tod iedermann verborgen
³
geblieben war. Daher wurden
die Soldaten uͤber Selims ploͤtzlicher und unvermutheter Ankunft unruhig; und
weil ſie beſorgten, er moͤchte, nach dem Beyſpiele ſeines Großvaters gleiches Na-
mens, ſeinem Vater einiges Leid zufuͤgen: ſo griffen ſie zum Gewehre. Als
ſie aber von Suͤlejmans Tode die zuverlaͤſſige Nachricht bekamen: ſo nahmen
ſie Selim insgeſamt als den rechtmaͤßigen Nachfolger an, und bezeigten ihm,
als ihrem Oberherrn, ihren unterthaͤnigen Gehorſam.
3. So bald, als alle Zubereitungen zu ſeines Vaters Leichbegaͤngniſſe
gemacht
² Trauerkleidern] Vor dieſem pflegten
ſie bey dem Tode eines tuͤrkiſchen Kaiſers den
groͤßten Stat zu treiben, und dazu die aus-
erleſenſten Farben zu erwaͤhlen. Heut zu
Tage aber trauren ſie nur drey Tage in rothen
Kleidern, und halten dieſes nicht einmal ſo
gar genau: nachher legen ſie ihre ordentlichen
Kleider wieder an.
³ iedermann verborgen] Sowol Chri-
ſten als Tuͤrken behaupten einſtimmig, Suͤ-
lejmans Tod ſey durch den Weßir ein und
vierzig Tage lang verhehlet worden, bis naͤm-
lich Selim zu Belgrad angekommen ſey.
Ein Leſer, der die tuͤrkiſchen Gebraͤuche nicht
kennet, wird meinen, es ſey dieſes unter ſo
viel tauſend Soldaten unmoͤglich zu bewerk-
ſtelligen; diejenigen aber, die das mehr als
pythagoriſche Stilleſchweigen in dem innern
osmaniſchen Hofe wiſſen, werden es nicht
in Zweifel ziehen. Niemand ſpricht da-
ſelbſt ein Wort, außer wann es ihm befohlen
wird; keiner haͤlt da ein Geſpraͤch mit dem
andern: kein Menſch hat nur einmal das
Herz ſich zu ſchneuzen oder zu huſten, es mag
ihn ankommen, was da will. Wenn ſie ein-
ander etwas wiſſend zu machen haben: ſo
geſchiehet es in der Sprache der Stummen,
das iſt, durch Zeichen. Sie tragen keine
Schuhe, und gehen nur auf den Spitzen der
Zehen, und dieſes ſo leiſe und ſo behutſam,
daß man kaum ihren Tritt hoͤren kann, wann
ſie auch laufen. Wer nur das mindeſte Ge-
raͤuſch macht: der wird ſehr ſcharf geſtrafet.
⁴ Baͤchſchiſch] oder eine Verehrung,
die man ordentlicher Weiſe unter die Solda-
ten austheilet, wann ein neuer Kaiſer einge-
ſetzet wird. Ein ieder Jeng-itſcheri (es ſind
ihrer aber vierzig tauſend) bekommt zwanzig
Thaler, und von den funfzehen tauſend Si-
pahi ein ieder fuͤnf und zwanzig. Manch-
mal wird auch nach des Sultans Belieben
ihr taͤglicher Sold um einen Aſper * erhoͤhet:
wiewol
* 2[FORMEL] ſaͤchſiſche Pfenninge.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |