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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
räumet einen
verstellten Mu-
stäfa aus demWege:
48.

Mittlerweile da der Kaiser solchergestalt in Asien beschäfftiget ist,
stehet in Dobrudsche 103 ein gewisser Betrieger unter dem Namen des Sultans
Mustäfas auf. Dieser hatte eine Bande von ungefähr vierzig liederlichen Leu-
ten zusammengebracht, und richtete mit denselben nicht allein in dieser, sondern
auch in allen umherliegenden Landschaften, eine gräuliche Verwüstung an. Ehe
aber noch der Kaiser selbst, wegen der großen Entfernung, diesem Betrieger
Einhalt thun kann: so locket ihn Bajeßid, des Sultans sechster Sohn, durch
eine unvergleichliche List ins Netz, bemächtiget sich desselben, und schicket ihn in
Ketten und Banden geschlossen an seinen Vater. Hiedurch überhob er densel-
[Spaltenumbruch]

102 Musul] Ist, nach einiger Meinung,
das Nineveh der Alten.
103 Dobrudsche] Eine Landschaft dießeits
des Berges Hömus, die sich längst der Donau
hin, von Drista in der Walachey bis an die
Ausflüsse dieses Stromes, erstrecket. Es ist
ein ganz ebener Strich Landes, der weder mit
Flüssen durchschnitten, noch durch Waldungen
unterbrochen ist; wiewol am Ende desselben,
nicht weit von Drista, ein Wald ist, den die
Türken Deli Orman, das Narrenholz, nennen.
Die Einwohner sind von Abkunft Türken,
und haben sich aus Asien hieher begeben;
heutiges Tages aber heißen sie Tschitaken,
und sind ihrer sonderbaren Gastfreyheit wegen
berühmt. Wann ein Reisender durch eines
ihrer Dörfer kommt; es mag derselbe aus
welchem Lande oder von welcher Religion seyn,
als er will: so erscheinen alle Hausväter
oder Haushälterinnen vor ihren Thüren, und
laden ihn auf das liebreichste ein, bey ihnen
einzusprechen, und mit ihrem Essen vorlieb
zu nehmen, wie es ihnen Gott bescheret habe
(denn mit diesen Worten pflegen sie ihre Ein-
ladung zu thun). Derjenige nun, dessen
Einladung der Reisende anzunehmen beliebet,
unterhält denselben samt seinen Pferden,
wenn er deren nicht über drey bey sich hat,
drey Tage lang ohne den mindesten Entgelt,
[Spaltenumbruch]
mit solcher Höflichkeit und Freygebigkeit,
daß man dergleichen sonst schwerlich in der
Welt antreffen wird. Er setzet ihm vor,
Honig, Eyer (welches beydes das Land im
Ueberflusse hat), und unter der Asche gebacke-
nes Brod, das iedoch sehr fein ist. Sie
richten ein kleines Häuschen zu, das sie zur
Aufnahme der Fremden gewidmet haben,
und versehen dasselbe mit Ruhebetten, die sie
in die Mitte rings um den Feuerheerd herum
stellen; und dessen können sich dann die Rei-
senden nach ihrer Bequemlichkeit bedienen.
Weil sie kein Holz haben: so brennen sie an
der Sonne gedörreten Viehemist. Sie bauen
steinerne Hütten, aber ohne Kalch und Mör-
tel, so daß die Wände derselben eher Stein-
haufen gleich sehen. Damit sie iedoch die
Kälte abhalten mögen: so bewerfen sie die
äußere Seite der Wände mit Mist. Sie ha-
ben Brunnen, die wegen des dürren Bodens
über hundert Klafter tief sind. In dem Lande
werden Pferde gezogen, die sehr geschwind
laufen können, und von den Türken, nach den
moldauischen, für die besten gehalten werden.
Ich bin öfters durch diese Gegend gekommen,
weil der Weg aus der Moldau nach Constan-
tinopel dadurch führet, und will bey dieser
Gelegenheit erzählen, was mir einmal auf
meiner Reise hier begegnet ist. Ich pflegte
bey einem gewissen Einwohner im Dorfe Ali-

ben
Osmaniſche Geſchichte
raͤumet einen
verſtellten Mu-
ſtaͤfa aus demWege:
48.

Mittlerweile da der Kaiſer ſolchergeſtalt in Aſien beſchaͤfftiget iſt,
ſtehet in Dobrudſche 103 ein gewiſſer Betrieger unter dem Namen des Sultans
Muſtaͤfas auf. Dieſer hatte eine Bande von ungefaͤhr vierzig liederlichen Leu-
ten zuſammengebracht, und richtete mit denſelben nicht allein in dieſer, ſondern
auch in allen umherliegenden Landſchaften, eine graͤuliche Verwuͤſtung an. Ehe
aber noch der Kaiſer ſelbſt, wegen der großen Entfernung, dieſem Betrieger
Einhalt thun kann: ſo locket ihn Bajeßid, des Sultans ſechster Sohn, durch
eine unvergleichliche Liſt ins Netz, bemaͤchtiget ſich deſſelben, und ſchicket ihn in
Ketten und Banden geſchloſſen an ſeinen Vater. Hiedurch uͤberhob er denſel-
[Spaltenumbruch]

102 Muſul] Iſt, nach einiger Meinung,
das Nineveh der Alten.
103 Dobrudſche] Eine Landſchaft dießeits
des Berges Hoͤmus, die ſich laͤngſt der Donau
hin, von Driſta in der Walachey bis an die
Ausfluͤſſe dieſes Stromes, erſtrecket. Es iſt
ein ganz ebener Strich Landes, der weder mit
Fluͤſſen durchſchnitten, noch durch Waldungen
unterbrochen iſt; wiewol am Ende deſſelben,
nicht weit von Driſta, ein Wald iſt, den die
Tuͤrken Deli Orman, das Narrenholz, nennen.
Die Einwohner ſind von Abkunft Tuͤrken,
und haben ſich aus Aſien hieher begeben;
heutiges Tages aber heißen ſie Tſchitaken,
und ſind ihrer ſonderbaren Gaſtfreyheit wegen
beruͤhmt. Wann ein Reiſender durch eines
ihrer Doͤrfer kommt; es mag derſelbe aus
welchem Lande oder von welcher Religion ſeyn,
als er will: ſo erſcheinen alle Hausvaͤter
oder Haushaͤlterinnen vor ihren Thuͤren, und
laden ihn auf das liebreichſte ein, bey ihnen
einzuſprechen, und mit ihrem Eſſen vorlieb
zu nehmen, wie es ihnen Gott beſcheret habe
(denn mit dieſen Worten pflegen ſie ihre Ein-
ladung zu thun). Derjenige nun, deſſen
Einladung der Reiſende anzunehmen beliebet,
unterhaͤlt denſelben ſamt ſeinen Pferden,
wenn er deren nicht uͤber drey bey ſich hat,
drey Tage lang ohne den mindeſten Entgelt,
[Spaltenumbruch]
mit ſolcher Hoͤflichkeit und Freygebigkeit,
daß man dergleichen ſonſt ſchwerlich in der
Welt antreffen wird. Er ſetzet ihm vor,
Honig, Eyer (welches beydes das Land im
Ueberfluſſe hat), und unter der Aſche gebacke-
nes Brod, das iedoch ſehr fein iſt. Sie
richten ein kleines Haͤuschen zu, das ſie zur
Aufnahme der Fremden gewidmet haben,
und verſehen daſſelbe mit Ruhebetten, die ſie
in die Mitte rings um den Feuerheerd herum
ſtellen; und deſſen koͤnnen ſich dann die Rei-
ſenden nach ihrer Bequemlichkeit bedienen.
Weil ſie kein Holz haben: ſo brennen ſie an
der Sonne gedoͤrreten Viehemiſt. Sie bauen
ſteinerne Huͤtten, aber ohne Kalch und Moͤr-
tel, ſo daß die Waͤnde derſelben eher Stein-
haufen gleich ſehen. Damit ſie iedoch die
Kaͤlte abhalten moͤgen: ſo bewerfen ſie die
aͤußere Seite der Waͤnde mit Miſt. Sie ha-
ben Brunnen, die wegen des duͤrren Bodens
uͤber hundert Klafter tief ſind. In dem Lande
werden Pferde gezogen, die ſehr geſchwind
laufen koͤnnen, und von den Tuͤrken, nach den
moldauiſchen, fuͤr die beſten gehalten werden.
Ich bin oͤfters durch dieſe Gegend gekommen,
weil der Weg aus der Moldau nach Conſtan-
tinopel dadurch fuͤhret, und will bey dieſer
Gelegenheit erzaͤhlen, was mir einmal auf
meiner Reiſe hier begegnet iſt. Ich pflegte
bey einem gewiſſen Einwohner im Dorfe Ali-

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[318/0408] Osmaniſche Geſchichte 48. Mittlerweile da der Kaiſer ſolchergeſtalt in Aſien beſchaͤfftiget iſt, ſtehet in Dobrudſche ¹⁰³ ein gewiſſer Betrieger unter dem Namen des Sultans Muſtaͤfas auf. Dieſer hatte eine Bande von ungefaͤhr vierzig liederlichen Leu- ten zuſammengebracht, und richtete mit denſelben nicht allein in dieſer, ſondern auch in allen umherliegenden Landſchaften, eine graͤuliche Verwuͤſtung an. Ehe aber noch der Kaiſer ſelbſt, wegen der großen Entfernung, dieſem Betrieger Einhalt thun kann: ſo locket ihn Bajeßid, des Sultans ſechster Sohn, durch eine unvergleichliche Liſt ins Netz, bemaͤchtiget ſich deſſelben, und ſchicket ihn in Ketten und Banden geſchloſſen an ſeinen Vater. Hiedurch uͤberhob er denſel- ben ¹⁰² Muſul] Iſt, nach einiger Meinung, das Nineveh der Alten. ¹⁰³ Dobrudſche] Eine Landſchaft dießeits des Berges Hoͤmus, die ſich laͤngſt der Donau hin, von Driſta in der Walachey bis an die Ausfluͤſſe dieſes Stromes, erſtrecket. Es iſt ein ganz ebener Strich Landes, der weder mit Fluͤſſen durchſchnitten, noch durch Waldungen unterbrochen iſt; wiewol am Ende deſſelben, nicht weit von Driſta, ein Wald iſt, den die Tuͤrken Deli Orman, das Narrenholz, nennen. Die Einwohner ſind von Abkunft Tuͤrken, und haben ſich aus Aſien hieher begeben; heutiges Tages aber heißen ſie Tſchitaken, und ſind ihrer ſonderbaren Gaſtfreyheit wegen beruͤhmt. Wann ein Reiſender durch eines ihrer Doͤrfer kommt; es mag derſelbe aus welchem Lande oder von welcher Religion ſeyn, als er will: ſo erſcheinen alle Hausvaͤter oder Haushaͤlterinnen vor ihren Thuͤren, und laden ihn auf das liebreichſte ein, bey ihnen einzuſprechen, und mit ihrem Eſſen vorlieb zu nehmen, wie es ihnen Gott beſcheret habe (denn mit dieſen Worten pflegen ſie ihre Ein- ladung zu thun). Derjenige nun, deſſen Einladung der Reiſende anzunehmen beliebet, unterhaͤlt denſelben ſamt ſeinen Pferden, wenn er deren nicht uͤber drey bey ſich hat, drey Tage lang ohne den mindeſten Entgelt, mit ſolcher Hoͤflichkeit und Freygebigkeit, daß man dergleichen ſonſt ſchwerlich in der Welt antreffen wird. Er ſetzet ihm vor, Honig, Eyer (welches beydes das Land im Ueberfluſſe hat), und unter der Aſche gebacke- nes Brod, das iedoch ſehr fein iſt. Sie richten ein kleines Haͤuschen zu, das ſie zur Aufnahme der Fremden gewidmet haben, und verſehen daſſelbe mit Ruhebetten, die ſie in die Mitte rings um den Feuerheerd herum ſtellen; und deſſen koͤnnen ſich dann die Rei- ſenden nach ihrer Bequemlichkeit bedienen. Weil ſie kein Holz haben: ſo brennen ſie an der Sonne gedoͤrreten Viehemiſt. Sie bauen ſteinerne Huͤtten, aber ohne Kalch und Moͤr- tel, ſo daß die Waͤnde derſelben eher Stein- haufen gleich ſehen. Damit ſie iedoch die Kaͤlte abhalten moͤgen: ſo bewerfen ſie die aͤußere Seite der Waͤnde mit Miſt. Sie ha- ben Brunnen, die wegen des duͤrren Bodens uͤber hundert Klafter tief ſind. In dem Lande werden Pferde gezogen, die ſehr geſchwind laufen koͤnnen, und von den Tuͤrken, nach den moldauiſchen, fuͤr die beſten gehalten werden. Ich bin oͤfters durch dieſe Gegend gekommen, weil der Weg aus der Moldau nach Conſtan- tinopel dadurch fuͤhret, und will bey dieſer Gelegenheit erzaͤhlen, was mir einmal auf meiner Reiſe hier begegnet iſt. Ich pflegte bey einem gewiſſen Einwohner im Dorfe Ali- begj

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/408>, abgerufen am 26.05.2024.