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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Flote aus, und sendete dieselbe in das adriatische Meer, unter Befehlhabung
Lüfti Paschas (der Ibrahim in der Stelle des obersten Weßirs nachgefolget
war) und Chäjrüddin Kapudan Paschas, um Kjürfüß* den Venetianern weg-
zunehmen. Er selbst führete in Begleitung seiner Söhne, Mustäfas und Mu-
hämmeds, die Landtruppen durch Awlonien 60, in der Absicht, die Arnawden,
die da Unruhen erreget hatten, zu züchtigen. Wiewol sie Sülejman den Durch-
[Spaltenumbruch]
60 Awlonien] Eine Landschaft und
Stadt in Albanien, das nebst Epirus von
den Türken Arnawd genennet wird. Die
Einwohner dieses Landes sind gehalten, zu
Kriegeszeiten mit acht tausend Mann zu dem
türkischen Lager zu stoßen. Ihre Soldaten
sind sehr kriegerisch und beherzt, und können
vortrefflich mit der Muskete schießen. Vor
diesem waren sie rechtglaubig: itzo aber stec-
ken sie so tief in den muhämmedischen Irr-
thümern, daß sie die Türken selbst am Aber-
glauben übertreffen. Es wird keine Art der
Gelehrtheit bey ihnen getrieben: iedoch befin-
det man, daß diejenigen unter ihnen, die sich
auf eine gewisse Kunst legen, es in derselben
weit bringen. Unter den Künsten sind son-
derlich zwo, darinnen sie sich hervor thun;
die Wasserleitungen, und die Heilung der
Brüche. Was die erstere betrifft: so wird
keiner von denen, die die Wasserleitungen von
Constantinopel gesehen haben, ihre Geschick-
lichkeit in diesem Stücke in Zweifel ziehen.
Und dennoch verfertigen sie diese Wasserleitun-
gen ohne die mindeste mathematische Wissen-
schaft, Regeln oder Werkzeuge, messen die
Höhe der Berge und Weite der Oerter so ge-
nau, als nicht einmal einem Meßkünstler
möglich ist, und wissen sehr wohl von den Ei-
genschaften und der Menge des Wassers zu
urtheilen. Wenn man sie um die Gründe
dieser Kunst befraget: so verstehen sie nicht,
[Spaltenumbruch]
was man von ihnen haben will, und wissen
sich nicht im geringsten zu erklären. Sie ha-
ben auch eine Art die Brüche vollkommen
wohl zu heilen: und so grob auch dieselbe ist;
so gut gehet sie gleichwol bey Personen von
allerley Alter von statten. Als ich zu Con-
stantinopel war: so ließ ich, ihre Heilungs-
art, desto genauer kennen zu lernen, meinen
Sekretär, der itzo schon bey Jahren ist, in
meinem Palaste an dieser Krankheit heilen.
Nachdem man nun wegen des Arztlohnes mit
ihnen einig war: so banden sie den Kranken
mit Wickelbändern auf ein ziemlich breites
Bret, von der Brust an bis auf die Füße.
Alsdann machten sie mit einer Art von Scher-
messer unten am Bauche in die Haut eine
Oeffnung, zogen die innere Haut* einer Hand
breit heraus, und brachten die Gedärme, die
herunter in den Hodensack gefallen waren,
wieder an ihren Ort. Hierauf näheten sie
mit einem groben Faden die Haut wieder zu,
machten am Ende einen Knoten, damit der
Faden nicht wieder aufgehen möchte, und
schnitten die Lefzen der Wunde, die über die
Naht überhingen, mit demselben Schermesser
weg, schmiereten dieselbe mit Schweinefett,
und brenneten sie mit einem glühenden Eisen.
Nach geschehenem Brennen ließen sie die
Wunde am Bauche noch etwas offen, hoben
dem Kranken, der mehr todt als lebendig war,
die Beine in die Höhe, und gossen das Weiße

zug
* Corfu, vor Zeiten Coreyra.
* das Darmfell.

Osmaniſche Geſchichte
Flote aus, und ſendete dieſelbe in das adriatiſche Meer, unter Befehlhabung
Luͤfti Paſchas (der Ibrahim in der Stelle des oberſten Weßirs nachgefolget
war) und Chaͤjruͤddin Kapudan Paſchas, um Kjuͤrfuͤß* den Venetianern weg-
zunehmen. Er ſelbſt fuͤhrete in Begleitung ſeiner Soͤhne, Muſtaͤfas und Mu-
haͤmmeds, die Landtruppen durch Awlonien 60, in der Abſicht, die Arnawden,
die da Unruhen erreget hatten, zu zuͤchtigen. Wiewol ſie Suͤlejman den Durch-
[Spaltenumbruch]
60 Awlonien] Eine Landſchaft und
Stadt in Albanien, das nebſt Epirus von
den Tuͤrken Arnawd genennet wird. Die
Einwohner dieſes Landes ſind gehalten, zu
Kriegeszeiten mit acht tauſend Mann zu dem
tuͤrkiſchen Lager zu ſtoßen. Ihre Soldaten
ſind ſehr kriegeriſch und beherzt, und koͤnnen
vortrefflich mit der Muskete ſchießen. Vor
dieſem waren ſie rechtglaubig: itzo aber ſtec-
ken ſie ſo tief in den muhaͤmmediſchen Irr-
thuͤmern, daß ſie die Tuͤrken ſelbſt am Aber-
glauben uͤbertreffen. Es wird keine Art der
Gelehrtheit bey ihnen getrieben: iedoch befin-
det man, daß diejenigen unter ihnen, die ſich
auf eine gewiſſe Kunſt legen, es in derſelben
weit bringen. Unter den Kuͤnſten ſind ſon-
derlich zwo, darinnen ſie ſich hervor thun;
die Waſſerleitungen, und die Heilung der
Bruͤche. Was die erſtere betrifft: ſo wird
keiner von denen, die die Waſſerleitungen von
Conſtantinopel geſehen haben, ihre Geſchick-
lichkeit in dieſem Stuͤcke in Zweifel ziehen.
Und dennoch verfertigen ſie dieſe Waſſerleitun-
gen ohne die mindeſte mathematiſche Wiſſen-
ſchaft, Regeln oder Werkzeuge, meſſen die
Hoͤhe der Berge und Weite der Oerter ſo ge-
nau, als nicht einmal einem Meßkuͤnſtler
moͤglich iſt, und wiſſen ſehr wohl von den Ei-
genſchaften und der Menge des Waſſers zu
urtheilen. Wenn man ſie um die Gruͤnde
dieſer Kunſt befraget: ſo verſtehen ſie nicht,
[Spaltenumbruch]
was man von ihnen haben will, und wiſſen
ſich nicht im geringſten zu erklaͤren. Sie ha-
ben auch eine Art die Bruͤche vollkommen
wohl zu heilen: und ſo grob auch dieſelbe iſt;
ſo gut gehet ſie gleichwol bey Perſonen von
allerley Alter von ſtatten. Als ich zu Con-
ſtantinopel war: ſo ließ ich, ihre Heilungs-
art, deſto genauer kennen zu lernen, meinen
Sekretaͤr, der itzo ſchon bey Jahren iſt, in
meinem Palaſte an dieſer Krankheit heilen.
Nachdem man nun wegen des Arztlohnes mit
ihnen einig war: ſo banden ſie den Kranken
mit Wickelbaͤndern auf ein ziemlich breites
Bret, von der Bruſt an bis auf die Fuͤße.
Alsdann machten ſie mit einer Art von Scher-
meſſer unten am Bauche in die Haut eine
Oeffnung, zogen die innere Haut* einer Hand
breit heraus, und brachten die Gedaͤrme, die
herunter in den Hodenſack gefallen waren,
wieder an ihren Ort. Hierauf naͤheten ſie
mit einem groben Faden die Haut wieder zu,
machten am Ende einen Knoten, damit der
Faden nicht wieder aufgehen moͤchte, und
ſchnitten die Lefzen der Wunde, die uͤber die
Naht uͤberhingen, mit demſelben Schermeſſer
weg, ſchmiereten dieſelbe mit Schweinefett,
und brenneten ſie mit einem gluͤhenden Eiſen.
Nach geſchehenem Brennen ließen ſie die
Wunde am Bauche noch etwas offen, hoben
dem Kranken, der mehr todt als lebendig war,
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zug
* Corfu, vor Zeiten Coreyra.
* das Darmfell.
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[300/0390] Osmaniſche Geſchichte Flote aus, und ſendete dieſelbe in das adriatiſche Meer, unter Befehlhabung Luͤfti Paſchas (der Ibrahim in der Stelle des oberſten Weßirs nachgefolget war) und Chaͤjruͤddin Kapudan Paſchas, um Kjuͤrfuͤß * den Venetianern weg- zunehmen. Er ſelbſt fuͤhrete in Begleitung ſeiner Soͤhne, Muſtaͤfas und Mu- haͤmmeds, die Landtruppen durch Awlonien ⁶⁰ , in der Abſicht, die Arnawden, die da Unruhen erreget hatten, zu zuͤchtigen. Wiewol ſie Suͤlejman den Durch- zug ⁶⁰ Awlonien] Eine Landſchaft und Stadt in Albanien, das nebſt Epirus von den Tuͤrken Arnawd genennet wird. Die Einwohner dieſes Landes ſind gehalten, zu Kriegeszeiten mit acht tauſend Mann zu dem tuͤrkiſchen Lager zu ſtoßen. Ihre Soldaten ſind ſehr kriegeriſch und beherzt, und koͤnnen vortrefflich mit der Muskete ſchießen. Vor dieſem waren ſie rechtglaubig: itzo aber ſtec- ken ſie ſo tief in den muhaͤmmediſchen Irr- thuͤmern, daß ſie die Tuͤrken ſelbſt am Aber- glauben uͤbertreffen. Es wird keine Art der Gelehrtheit bey ihnen getrieben: iedoch befin- det man, daß diejenigen unter ihnen, die ſich auf eine gewiſſe Kunſt legen, es in derſelben weit bringen. Unter den Kuͤnſten ſind ſon- derlich zwo, darinnen ſie ſich hervor thun; die Waſſerleitungen, und die Heilung der Bruͤche. Was die erſtere betrifft: ſo wird keiner von denen, die die Waſſerleitungen von Conſtantinopel geſehen haben, ihre Geſchick- lichkeit in dieſem Stuͤcke in Zweifel ziehen. Und dennoch verfertigen ſie dieſe Waſſerleitun- gen ohne die mindeſte mathematiſche Wiſſen- ſchaft, Regeln oder Werkzeuge, meſſen die Hoͤhe der Berge und Weite der Oerter ſo ge- nau, als nicht einmal einem Meßkuͤnſtler moͤglich iſt, und wiſſen ſehr wohl von den Ei- genſchaften und der Menge des Waſſers zu urtheilen. Wenn man ſie um die Gruͤnde dieſer Kunſt befraget: ſo verſtehen ſie nicht, was man von ihnen haben will, und wiſſen ſich nicht im geringſten zu erklaͤren. Sie ha- ben auch eine Art die Bruͤche vollkommen wohl zu heilen: und ſo grob auch dieſelbe iſt; ſo gut gehet ſie gleichwol bey Perſonen von allerley Alter von ſtatten. Als ich zu Con- ſtantinopel war: ſo ließ ich, ihre Heilungs- art, deſto genauer kennen zu lernen, meinen Sekretaͤr, der itzo ſchon bey Jahren iſt, in meinem Palaſte an dieſer Krankheit heilen. Nachdem man nun wegen des Arztlohnes mit ihnen einig war: ſo banden ſie den Kranken mit Wickelbaͤndern auf ein ziemlich breites Bret, von der Bruſt an bis auf die Fuͤße. Alsdann machten ſie mit einer Art von Scher- meſſer unten am Bauche in die Haut eine Oeffnung, zogen die innere Haut * einer Hand breit heraus, und brachten die Gedaͤrme, die herunter in den Hodenſack gefallen waren, wieder an ihren Ort. Hierauf naͤheten ſie mit einem groben Faden die Haut wieder zu, machten am Ende einen Knoten, damit der Faden nicht wieder aufgehen moͤchte, und ſchnitten die Lefzen der Wunde, die uͤber die Naht uͤberhingen, mit demſelben Schermeſſer weg, ſchmiereten dieſelbe mit Schweinefett, und brenneten ſie mit einem gluͤhenden Eiſen. Nach geſchehenem Brennen ließen ſie die Wunde am Bauche noch etwas offen, hoben dem Kranken, der mehr todt als lebendig war, die Beine in die Hoͤhe, und goſſen das Weiße von * Corfu, vor Zeiten Coreyra. * das Darmfell.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/390>, abgerufen am 22.11.2024.