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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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9. Selim der I
Einwohner, lässet den Platz unverzüglich reinigen, und findet einen Marmorstein
mit einer Aufschrift von folgendem Inhalte: Dieses ist das Grab des Scheich
Muhämmed Beni Aerebi, Eroberers von Spanien. Weil nun der Kaiser durch
diese Aufschrift überzeuget wird, daß der Leichnam des Helden hier begraben liege:
so lässet er ein großes Kübbe über dem Grabe aufrichten, und nahe daran einen
Dschami nebst einem Spitale bauen, darinnen auf seinen Befehl die Armen
täglich mit genugsamem Essen und Trinken versorget werden mußten. Er ma-
chet auch noch über dieses allen dazu erforderlichen Aufwand von Anlagen frey,
und bekräftiget diese Verordnungen mit einem Chättischerif 35. Diese gottseli-
[Spaltenumbruch]
Grenzen des Reiches die Wollust und der
Hochmuth der Kaiser zunahmen, achteten sie
es der kaiserlichen Majestät für unanständig,
daß ein Sultan einen Befehl entweder schrei-
ben oder unterzeichnen sollte. Daher verord-
neten sie den Nischandschi Pascha, der das
Amt auf sich hat, daß er die kaiserlichen Be-
fehle bestätiget, und den kaiserlichen Namen
in einem Zuge, der sehr künstlich eingerich-
tet ist und insgemein Tugra genennet wird,
darauf zeichnet; nicht an das Ende desselben,
wie es bey andern Völkern gebräuchlich ist,
sondern zu Anfange, über der ersten Zeile des
Befehls. Wann aber der Kaiser willens ist,
eine mehr als gewöhnliche Bekräftigung hin-
zuzuthun: so pfleget derselbe über der Tugra
mit eigener Hand beyzuschreiben: Mudschi-
bindsche Imla olüna; das ist: "Nach dem,
"was hier unten stehet, soll man sich ach-
"ten." Ein solches Chättischerif (ins-
gemein auch Chätti hümajun, der hohe Cha-
rakter genennet) wird in solcher Hochachtung
gehalten, nicht allein während des Kaisers
Lebzeiten, sondern sogar nach seinem Tode,
daß kein Türk sich unterstehet es anzurühren,
bevor er dasselbe ehrerbietig geküsset, und den
Staub davon mit seinen beyden Backen abge-
wischet hat; wie ich beobachtet habe, daß es
der oberste Weßir, Tschorlüli Ali Pascha, that,
als ich ihm das Chättischerif Sultan Muhäm-
[Spaltenumbruch]
meds des II überreichte. Es wird nicht un-
dienlich seyn, den Neugierigen zu gefallen
den ganzen Befehl nach der Länge hier einzu-
rücken. Er ist also abgefasset. "O, der
"du mit Ehre vermälet bist, Subaschi von
"Constantinopel! Nachdem wir aus un-
"serer allerhöchsten Gnade dem Baumeister
"Christodulus, zur Belohnung seines voll-
"kommenen Werkes, die Straße, Kjutschükj
"Dschäfer genennet, verliehen haben: so
"begebe du dich zu dem Tempel Maguliotisa,
"beschreibe und zeichne dieselbe nebst den an-
"liegenden leeren Plätzen ab, und setze den
"gedachten Christodulus in den Besitz der-
"selben, kraft dieses unseres geheiligten Be-
"fehls, dem du Glauben zuzustellen hast."
Aus diesem Briefe kann man auch abnehmen,
daß unter Sultan Muhämmed Fatih die Art,
die Städte zu regieren, bey den Türken von
derjenigen sehr unterschieden gewesen, wie sie
heutiges Tages beschaffen ist. Denn zu sel-
biger Zeit war ein einziger kaiserlicher Befehl
an den Subaschi (welches itzo einer der un-
tersten Beamten und von geringem Ansehen
ist) zu einer Sache hinlänglich, die zu unsern
Zeiten nicht anders, als durch viele Befehle
und die Vermittelung Personen von ganz an-
derm Range erhalten werden kann. Denn,
wann itzo der Sultan nur ein einziges Haus
an iemanden verleihen will: so wird dieses

gen

9. Selim der I
Einwohner, laͤſſet den Platz unverzuͤglich reinigen, und findet einen Marmorſtein
mit einer Aufſchrift von folgendem Inhalte: Dieſes iſt das Grab des Scheich
Muhaͤmmed Beni Aerebi, Eroberers von Spanien. Weil nun der Kaiſer durch
dieſe Aufſchrift uͤberzeuget wird, daß der Leichnam des Helden hier begraben liege:
ſo laͤſſet er ein großes Kuͤbbe uͤber dem Grabe aufrichten, und nahe daran einen
Dſchami nebſt einem Spitale bauen, darinnen auf ſeinen Befehl die Armen
taͤglich mit genugſamem Eſſen und Trinken verſorget werden mußten. Er ma-
chet auch noch uͤber dieſes allen dazu erforderlichen Aufwand von Anlagen frey,
und bekraͤftiget dieſe Verordnungen mit einem Chaͤttiſcherif 35. Dieſe gottſeli-
[Spaltenumbruch]
Grenzen des Reiches die Wolluſt und der
Hochmuth der Kaiſer zunahmen, achteten ſie
es der kaiſerlichen Majeſtaͤt fuͤr unanſtaͤndig,
daß ein Sultan einen Befehl entweder ſchrei-
ben oder unterzeichnen ſollte. Daher verord-
neten ſie den Niſchandſchi Paſcha, der das
Amt auf ſich hat, daß er die kaiſerlichen Be-
fehle beſtaͤtiget, und den kaiſerlichen Namen
in einem Zuge, der ſehr kuͤnſtlich eingerich-
tet iſt und insgemein Tugra genennet wird,
darauf zeichnet; nicht an das Ende deſſelben,
wie es bey andern Voͤlkern gebraͤuchlich iſt,
ſondern zu Anfange, uͤber der erſten Zeile des
Befehls. Wann aber der Kaiſer willens iſt,
eine mehr als gewoͤhnliche Bekraͤftigung hin-
zuzuthun: ſo pfleget derſelbe uͤber der Tugra
mit eigener Hand beyzuſchreiben: Mudſchi-
bindſche Imla oluͤna; das iſt: “Nach dem,
“was hier unten ſtehet, ſoll man ſich ach-
“ten.„ Ein ſolches Chaͤttiſcherif (ins-
gemein auch Chaͤtti huͤmajun, der hohe Cha-
rakter genennet) wird in ſolcher Hochachtung
gehalten, nicht allein waͤhrend des Kaiſers
Lebzeiten, ſondern ſogar nach ſeinem Tode,
daß kein Tuͤrk ſich unterſtehet es anzuruͤhren,
bevor er daſſelbe ehrerbietig gekuͤſſet, und den
Staub davon mit ſeinen beyden Backen abge-
wiſchet hat; wie ich beobachtet habe, daß es
der oberſte Weßir, Tſchorluͤli Ali Paſcha, that,
als ich ihm das Chaͤttiſcherif Sultan Muhaͤm-
[Spaltenumbruch]
meds des II uͤberreichte. Es wird nicht un-
dienlich ſeyn, den Neugierigen zu gefallen
den ganzen Befehl nach der Laͤnge hier einzu-
ruͤcken. Er iſt alſo abgefaſſet. “O, der
“du mit Ehre vermaͤlet biſt, Subaſchi von
“Conſtantinopel! Nachdem wir aus un-
“ſerer allerhoͤchſten Gnade dem Baumeiſter
“Chriſtodulus, zur Belohnung ſeines voll-
“kommenen Werkes, die Straße, Kjutſchuͤkj
“Dſchaͤfer genennet, verliehen haben: ſo
“begebe du dich zu dem Tempel Maguliotiſa,
“beſchreibe und zeichne dieſelbe nebſt den an-
“liegenden leeren Plaͤtzen ab, und ſetze den
“gedachten Chriſtodulus in den Beſitz der-
“ſelben, kraft dieſes unſeres geheiligten Be-
“fehls, dem du Glauben zuzuſtellen haſt.„
Aus dieſem Briefe kann man auch abnehmen,
daß unter Sultan Muhaͤmmed Fatih die Art,
die Staͤdte zu regieren, bey den Tuͤrken von
derjenigen ſehr unterſchieden geweſen, wie ſie
heutiges Tages beſchaffen iſt. Denn zu ſel-
biger Zeit war ein einziger kaiſerlicher Befehl
an den Subaſchi (welches itzo einer der un-
terſten Beamten und von geringem Anſehen
iſt) zu einer Sache hinlaͤnglich, die zu unſern
Zeiten nicht anders, als durch viele Befehle
und die Vermittelung Perſonen von ganz an-
derm Range erhalten werden kann. Denn,
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[239/0327] 9. Selim der I Einwohner, laͤſſet den Platz unverzuͤglich reinigen, und findet einen Marmorſtein mit einer Aufſchrift von folgendem Inhalte: Dieſes iſt das Grab des Scheich Muhaͤmmed Beni Aerebi, Eroberers von Spanien. Weil nun der Kaiſer durch dieſe Aufſchrift uͤberzeuget wird, daß der Leichnam des Helden hier begraben liege: ſo laͤſſet er ein großes Kuͤbbe uͤber dem Grabe aufrichten, und nahe daran einen Dſchami nebſt einem Spitale bauen, darinnen auf ſeinen Befehl die Armen taͤglich mit genugſamem Eſſen und Trinken verſorget werden mußten. Er ma- chet auch noch uͤber dieſes allen dazu erforderlichen Aufwand von Anlagen frey, und bekraͤftiget dieſe Verordnungen mit einem Chaͤttiſcherif ³⁵ . Dieſe gottſeli- gen Grenzen des Reiches die Wolluſt und der Hochmuth der Kaiſer zunahmen, achteten ſie es der kaiſerlichen Majeſtaͤt fuͤr unanſtaͤndig, daß ein Sultan einen Befehl entweder ſchrei- ben oder unterzeichnen ſollte. Daher verord- neten ſie den Niſchandſchi Paſcha, der das Amt auf ſich hat, daß er die kaiſerlichen Be- fehle beſtaͤtiget, und den kaiſerlichen Namen in einem Zuge, der ſehr kuͤnſtlich eingerich- tet iſt und insgemein Tugra genennet wird, darauf zeichnet; nicht an das Ende deſſelben, wie es bey andern Voͤlkern gebraͤuchlich iſt, ſondern zu Anfange, uͤber der erſten Zeile des Befehls. Wann aber der Kaiſer willens iſt, eine mehr als gewoͤhnliche Bekraͤftigung hin- zuzuthun: ſo pfleget derſelbe uͤber der Tugra mit eigener Hand beyzuſchreiben: Mudſchi- bindſche Imla oluͤna; das iſt: “Nach dem, “was hier unten ſtehet, ſoll man ſich ach- “ten.„ Ein ſolches Chaͤttiſcherif (ins- gemein auch Chaͤtti huͤmajun, der hohe Cha- rakter genennet) wird in ſolcher Hochachtung gehalten, nicht allein waͤhrend des Kaiſers Lebzeiten, ſondern ſogar nach ſeinem Tode, daß kein Tuͤrk ſich unterſtehet es anzuruͤhren, bevor er daſſelbe ehrerbietig gekuͤſſet, und den Staub davon mit ſeinen beyden Backen abge- wiſchet hat; wie ich beobachtet habe, daß es der oberſte Weßir, Tſchorluͤli Ali Paſcha, that, als ich ihm das Chaͤttiſcherif Sultan Muhaͤm- meds des II uͤberreichte. Es wird nicht un- dienlich ſeyn, den Neugierigen zu gefallen den ganzen Befehl nach der Laͤnge hier einzu- ruͤcken. Er iſt alſo abgefaſſet. “O, der “du mit Ehre vermaͤlet biſt, Subaſchi von “Conſtantinopel! Nachdem wir aus un- “ſerer allerhoͤchſten Gnade dem Baumeiſter “Chriſtodulus, zur Belohnung ſeines voll- “kommenen Werkes, die Straße, Kjutſchuͤkj “Dſchaͤfer genennet, verliehen haben: ſo “begebe du dich zu dem Tempel Maguliotiſa, “beſchreibe und zeichne dieſelbe nebſt den an- “liegenden leeren Plaͤtzen ab, und ſetze den “gedachten Chriſtodulus in den Beſitz der- “ſelben, kraft dieſes unſeres geheiligten Be- “fehls, dem du Glauben zuzuſtellen haſt.„ Aus dieſem Briefe kann man auch abnehmen, daß unter Sultan Muhaͤmmed Fatih die Art, die Staͤdte zu regieren, bey den Tuͤrken von derjenigen ſehr unterſchieden geweſen, wie ſie heutiges Tages beſchaffen iſt. Denn zu ſel- biger Zeit war ein einziger kaiſerlicher Befehl an den Subaſchi (welches itzo einer der un- terſten Beamten und von geringem Anſehen iſt) zu einer Sache hinlaͤnglich, die zu unſern Zeiten nicht anders, als durch viele Befehle und die Vermittelung Perſonen von ganz an- derm Range erhalten werden kann. Denn, wann itzo der Sultan nur ein einziges Haus an iemanden verleihen will: ſo wird dieſes durch

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/327>, abgerufen am 25.11.2024.