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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Ejjub Ensaris
Grab wird ent-decket.
10.

Nachdem das vornehmste in der Stadt solchergestalt in Ordnung
gebracht war: so wurde am dritten Tage nach Einnehmung derselben dem
[Spaltenumbruch]

stätigen. Als Selim der I einmal einen son-
derbaren Eifer bekam, seine Religion auszu-
breiten: so ließ er den Müfti zu sich kommen,
und redete vertraulich mit ihm von gleichgül-
tigen Sachen. Endlich wendete er die Un-
terredung sehr künstlich, und fragte denselben
im Ernste: was er glaube, daß Gott am
gefälligsten sey und am meisten zu seiner Ehre
gereiche; die ganze Welt unter die Gewalt
des osmanischen Reiches zu bringen, und die
Anhänger von Isewi (Jesus) und Musawi
(Moses) demselben zinsbar zu machen, und
auf solche Art die Reichthümer so vieler Kö-
nigreiche in den Schatz von Bejtül-Mali
Müslimin oder des müsülmanischen Stats*
zu bringen: oder, so große Schätze zu ver-
achten, und alle Völker zu dem muhämmedi-
schen Glauben zu bekehren? Der Müfti, der
die Absicht desselben nicht merkte, gab darauf
zur Antwort: eine einzige verlorne Seele
(und dergleichen waren aller Christen und Ju-
den ihre), die zu dem wahren Glauben ge-
bracht werde, sey in den Augen Gottes von
unendlich größerm Werthe, als die Reichthü-
mer des ganzen Erdbodens. Durch dieses
Fetwa wurde der Kaiser in seinem Vorhaben
bestärket, und schickte wenige Tage darauf
nach dem obersten Weßire: diesem gab er Be-
fehl, alle Kirchen der Christen in Dschami zu
verwandeln, denselben das öffentliche Be-
kenntniß und Uebung ihrer Religion zu ver-
bieten, und seine Bemühungen auf alle Weise
dahin anzuwenden, daß er sie zum Bekennt-
nisse der muhämmedischen Religion brächte,
auch sogar diejenigen mit der Todesstrafe zu
belegen, die dem kaiserlichen Befehle unge-
horsam seyn würden. Der Weßir erschrack
[Spaltenumbruch]
über eine solche Neuerung, und über einen
Befehl, eine Sache zu unternehmen, die nicht
allein dem muhämmedischen Gesetze, sondern
auch der Wohlfahrt des Reichs so sehr entge-
gen war, und wußte nicht, was er dagegen
sagen sollte. Als er aber hörete, daß der
Müfti den Kaiser durch sein Fetwa hierinnen
bestärket hatte: so begab er sich gleich vom
Hofe weg, ging zu demselben, und verwies
es ihm scharf, daß er einen solchen Rath ge-
geben habe. Der Müfti gestehet, daß er selbst
von dem Kaiser im Reden gefangen worden,
und verspricht mit einem Eide, daß er sich
bemühen wolle, seinen begangenen Fehler zu
verbessern und den Kaiser auf andere Gedan-
ken zu bringen. Sie berathschlagen sich hier-
über mit einander, und schicken ingeheim ie-
manden an den griechischen Patriarchen, um
demselben beybringen zu lassen, was er für
eine Antwort auf den kaiserlichen Befehl ge-
ben sollte, wann es nöthig wäre. Hiernächst
eröffnen sie den Befehl dem Kaimmäkam2*,
mit dem Bedeuten, alle Kirchen der Christen
in Dschami zu verwandeln, und alle Einwoh-
ner in Constantinopel von anderer Religion
durch alle mögliche Mittel zu zwingen, daß
sie den muhämmedischen Glauben annähmen.
Als dieser den Befehl erhält: so lässet er den
Patriarchen und die gesamte Geistlichkeit des-
selben in den Palast entbieten, und lieset ih-
nen seinen Verhaltungsbefehl vor. Der Pa-
triarch, der schon vorher von dem Weßire
und Müfti unterrichtet war, giebt zur Ant-
wort: er wolle den Handel mit dem Kaiser
ausmachen, und seine Sache vor dem Müfti
und den übrigen Gesetzverständigen vertheidi-
gen; und was Gott nach dem Gesetze des

Sultan
* der müsülmanischen Schatzkammer.
2* insgemein Kaimakan.
Osmaniſche Geſchichte
Ejjub Enſaris
Grab wird ent-decket.
10.

Nachdem das vornehmſte in der Stadt ſolchergeſtalt in Ordnung
gebracht war: ſo wurde am dritten Tage nach Einnehmung derſelben dem
[Spaltenumbruch]

ſtaͤtigen. Als Selim der I einmal einen ſon-
derbaren Eifer bekam, ſeine Religion auszu-
breiten: ſo ließ er den Muͤfti zu ſich kommen,
und redete vertraulich mit ihm von gleichguͤl-
tigen Sachen. Endlich wendete er die Un-
terredung ſehr kuͤnſtlich, und fragte denſelben
im Ernſte: was er glaube, daß Gott am
gefaͤlligſten ſey und am meiſten zu ſeiner Ehre
gereiche; die ganze Welt unter die Gewalt
des osmaniſchen Reiches zu bringen, und die
Anhaͤnger von Iſewi (Jeſus) und Muſawi
(Moſes) demſelben zinsbar zu machen, und
auf ſolche Art die Reichthuͤmer ſo vieler Koͤ-
nigreiche in den Schatz von Bejtuͤl-Mali
Muͤslimin oder des muͤſuͤlmaniſchen Stats*
zu bringen: oder, ſo große Schaͤtze zu ver-
achten, und alle Voͤlker zu dem muhaͤmmedi-
ſchen Glauben zu bekehren? Der Muͤfti, der
die Abſicht deſſelben nicht merkte, gab darauf
zur Antwort: eine einzige verlorne Seele
(und dergleichen waren aller Chriſten und Ju-
den ihre), die zu dem wahren Glauben ge-
bracht werde, ſey in den Augen Gottes von
unendlich groͤßerm Werthe, als die Reichthuͤ-
mer des ganzen Erdbodens. Durch dieſes
Fetwa wurde der Kaiſer in ſeinem Vorhaben
beſtaͤrket, und ſchickte wenige Tage darauf
nach dem oberſten Weßire: dieſem gab er Be-
fehl, alle Kirchen der Chriſten in Dſchami zu
verwandeln, denſelben das oͤffentliche Be-
kenntniß und Uebung ihrer Religion zu ver-
bieten, und ſeine Bemuͤhungen auf alle Weiſe
dahin anzuwenden, daß er ſie zum Bekennt-
niſſe der muhaͤmmediſchen Religion braͤchte,
auch ſogar diejenigen mit der Todesſtrafe zu
belegen, die dem kaiſerlichen Befehle unge-
horſam ſeyn wuͤrden. Der Weßir erſchrack
[Spaltenumbruch]
uͤber eine ſolche Neuerung, und uͤber einen
Befehl, eine Sache zu unternehmen, die nicht
allein dem muhaͤmmediſchen Geſetze, ſondern
auch der Wohlfahrt des Reichs ſo ſehr entge-
gen war, und wußte nicht, was er dagegen
ſagen ſollte. Als er aber hoͤrete, daß der
Muͤfti den Kaiſer durch ſein Fetwa hierinnen
beſtaͤrket hatte: ſo begab er ſich gleich vom
Hofe weg, ging zu demſelben, und verwies
es ihm ſcharf, daß er einen ſolchen Rath ge-
geben habe. Der Muͤfti geſtehet, daß er ſelbſt
von dem Kaiſer im Reden gefangen worden,
und verſpricht mit einem Eide, daß er ſich
bemuͤhen wolle, ſeinen begangenen Fehler zu
verbeſſern und den Kaiſer auf andere Gedan-
ken zu bringen. Sie berathſchlagen ſich hier-
uͤber mit einander, und ſchicken ingeheim ie-
manden an den griechiſchen Patriarchen, um
demſelben beybringen zu laſſen, was er fuͤr
eine Antwort auf den kaiſerlichen Befehl ge-
ben ſollte, wann es noͤthig waͤre. Hiernaͤchſt
eroͤffnen ſie den Befehl dem Kaimmaͤkam2*,
mit dem Bedeuten, alle Kirchen der Chriſten
in Dſchami zu verwandeln, und alle Einwoh-
ner in Conſtantinopel von anderer Religion
durch alle moͤgliche Mittel zu zwingen, daß
ſie den muhaͤmmediſchen Glauben annaͤhmen.
Als dieſer den Befehl erhaͤlt: ſo laͤſſet er den
Patriarchen und die geſamte Geiſtlichkeit deſ-
ſelben in den Palaſt entbieten, und lieſet ih-
nen ſeinen Verhaltungsbefehl vor. Der Pa-
triarch, der ſchon vorher von dem Weßire
und Muͤfti unterrichtet war, giebt zur Ant-
wort: er wolle den Handel mit dem Kaiſer
ausmachen, und ſeine Sache vor dem Muͤfti
und den uͤbrigen Geſetzverſtaͤndigen vertheidi-
gen; und was Gott nach dem Geſetze des

Sultan
* der muͤſuͤlmaniſchen Schatzkammer.
2* insgemein Kaimakan.
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[150/0234] Osmaniſche Geſchichte 10. Nachdem das vornehmſte in der Stadt ſolchergeſtalt in Ordnung gebracht war: ſo wurde am dritten Tage nach Einnehmung derſelben dem Sultan ſtaͤtigen. Als Selim der I einmal einen ſon- derbaren Eifer bekam, ſeine Religion auszu- breiten: ſo ließ er den Muͤfti zu ſich kommen, und redete vertraulich mit ihm von gleichguͤl- tigen Sachen. Endlich wendete er die Un- terredung ſehr kuͤnſtlich, und fragte denſelben im Ernſte: was er glaube, daß Gott am gefaͤlligſten ſey und am meiſten zu ſeiner Ehre gereiche; die ganze Welt unter die Gewalt des osmaniſchen Reiches zu bringen, und die Anhaͤnger von Iſewi (Jeſus) und Muſawi (Moſes) demſelben zinsbar zu machen, und auf ſolche Art die Reichthuͤmer ſo vieler Koͤ- nigreiche in den Schatz von Bejtuͤl-Mali Muͤslimin oder des muͤſuͤlmaniſchen Stats * zu bringen: oder, ſo große Schaͤtze zu ver- achten, und alle Voͤlker zu dem muhaͤmmedi- ſchen Glauben zu bekehren? Der Muͤfti, der die Abſicht deſſelben nicht merkte, gab darauf zur Antwort: eine einzige verlorne Seele (und dergleichen waren aller Chriſten und Ju- den ihre), die zu dem wahren Glauben ge- bracht werde, ſey in den Augen Gottes von unendlich groͤßerm Werthe, als die Reichthuͤ- mer des ganzen Erdbodens. Durch dieſes Fetwa wurde der Kaiſer in ſeinem Vorhaben beſtaͤrket, und ſchickte wenige Tage darauf nach dem oberſten Weßire: dieſem gab er Be- fehl, alle Kirchen der Chriſten in Dſchami zu verwandeln, denſelben das oͤffentliche Be- kenntniß und Uebung ihrer Religion zu ver- bieten, und ſeine Bemuͤhungen auf alle Weiſe dahin anzuwenden, daß er ſie zum Bekennt- niſſe der muhaͤmmediſchen Religion braͤchte, auch ſogar diejenigen mit der Todesſtrafe zu belegen, die dem kaiſerlichen Befehle unge- horſam ſeyn wuͤrden. Der Weßir erſchrack uͤber eine ſolche Neuerung, und uͤber einen Befehl, eine Sache zu unternehmen, die nicht allein dem muhaͤmmediſchen Geſetze, ſondern auch der Wohlfahrt des Reichs ſo ſehr entge- gen war, und wußte nicht, was er dagegen ſagen ſollte. Als er aber hoͤrete, daß der Muͤfti den Kaiſer durch ſein Fetwa hierinnen beſtaͤrket hatte: ſo begab er ſich gleich vom Hofe weg, ging zu demſelben, und verwies es ihm ſcharf, daß er einen ſolchen Rath ge- geben habe. Der Muͤfti geſtehet, daß er ſelbſt von dem Kaiſer im Reden gefangen worden, und verſpricht mit einem Eide, daß er ſich bemuͤhen wolle, ſeinen begangenen Fehler zu verbeſſern und den Kaiſer auf andere Gedan- ken zu bringen. Sie berathſchlagen ſich hier- uͤber mit einander, und ſchicken ingeheim ie- manden an den griechiſchen Patriarchen, um demſelben beybringen zu laſſen, was er fuͤr eine Antwort auf den kaiſerlichen Befehl ge- ben ſollte, wann es noͤthig waͤre. Hiernaͤchſt eroͤffnen ſie den Befehl dem Kaimmaͤkam 2*, mit dem Bedeuten, alle Kirchen der Chriſten in Dſchami zu verwandeln, und alle Einwoh- ner in Conſtantinopel von anderer Religion durch alle moͤgliche Mittel zu zwingen, daß ſie den muhaͤmmediſchen Glauben annaͤhmen. Als dieſer den Befehl erhaͤlt: ſo laͤſſet er den Patriarchen und die geſamte Geiſtlichkeit deſ- ſelben in den Palaſt entbieten, und lieſet ih- nen ſeinen Verhaltungsbefehl vor. Der Pa- triarch, der ſchon vorher von dem Weßire und Muͤfti unterrichtet war, giebt zur Ant- wort: er wolle den Handel mit dem Kaiſer ausmachen, und ſeine Sache vor dem Muͤfti und den uͤbrigen Geſetzverſtaͤndigen vertheidi- gen; und was Gott nach dem Geſetze des Kurons * der muͤſuͤlmaniſchen Schatzkammer. 2* insgemein Kaimakan.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/234>, abgerufen am 23.11.2024.