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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Griechen der Wut der Osmanen nicht länger Widerstand thun konnten: so
wendeten sie ihren Ueberwindern den Rücken. Sie wurden aber von denselben
verfolget, viele von ihnen erschlagen und eine große Anzahl gefangen genom-
men. Sehr wenige entrannen durch eine zeitige Flucht, damit sie nur ihrem
Kaiser die Zeitung von dieser unglücklichen Begebenheit bringen konnten.

Indem Osman
mit dem Zipper-
leine beschweret
ist: so überrum-
pelt Orchan die
Landschaft Bi-
thynien und er-
obert die Haupt-stadt Prusa.
21 und 22.

Ungeachtet Osman von vieler Arbeit, beständigen Feldzügen
und Alter nunmehr entkräftet war, und noch dazu mit einer schmerzhaften
Krankheit, dem Zipperleine, befallen wurde: so behielte er dennoch seine Mun-
terkeit des Gemüths; und weil er merkte, daß seine Waffen einen besonders
glücklichen Fortgang hatten: so schickte er seinen Sohn Orchan mit einer zahl-
reichen Mannschaft aus, die Landschaft Bithynien, darüber Ornus, wie vor-
hin gedacht, die Statthalterschaft führete, zu bezwingen, und, wo möglich,
die Hauptstadt des Reichs, Prusa, einzunehmen. Ornus war nicht im
Stande, gegen Orchan im Felde zu erscheinen: und wurde daher genöthiget,
sich innerhalb der Mauren seiner Hauptstadt zu halten, die im übrigen sehr
stark befestiget und mit Lebensmitteln auf acht Jahre lang versehen war. Or-
chan schloß die Stadt genau ein und setzte derselben mit beständigen Stürmen
hart zu: mußte aber erfahren, daß die Besatzung sich trefflich wohl vertheidigte.
Allein (damit wir dem Psalmisten seine Worte abborgen), wenn der Herr die
Stadt nicht behütet: so ist das Wachen der Wächter vergebens. Denn Mi-
[Spaltenumbruch]

18 [Die meisten unter den christlichen Ge-
schichtschreibern sagen, diese Stadt sey von
dem alten Sultan Osman selbst erobert wor-
den, und geben vor, es sey auf folgende Weise
zugegangen. Nachdem der Sultan die Stadt
eingenommen gehabt: so habe er gemerket,
daß sich das Schloß noch lange halten könne,
und daher Befehl gegeben, daß man aus-
streuen sollte, er wäre todt, und hätte noch
zuletzt vor seinem Ende begehret, daß man
ihn in das griechische Kloster in dem Schlosse
begraben sollte, und ungefähr vierzig Personen
sollten die Leiche dahin begleiten. Wenn
man nun in dieses Begehren einwilligen wür-
de: so sollte sein Heer abziehen. Die leicht-
gläubigen Mönche haben dieses willig zuge-
standen, und als man einen Sarg mit Waf-
[Spaltenumbruch]
fen angefüllet, und Osman selbst verkleideter
Weise, nebst noch neun und dreyßig andern
Soldaten, eingelassen: so haben sie sich des
Thors bemächtiget, noch mehrere Mannschaft
einrücken lassen, und solchergestalt das Schloß
eingenommen. Lucas hat diese Nachricht in
seinen Reisen nach den Morgenländern, und
machet daselbst eine Beschreibung von diesem
Platze und seinen Denkmälern aus dem Al-
terthume, zahlreichen Bädern, Grabstätten
der türkischen Sultane, Resten von alten Pa-
lästen, u. s. w. daraus man zur Genüge ab-
nehmen kann, daß es ein wichtiger Ort müsse
gewesen seyn. Der Leser wird gleich hernach
eine wahrscheinliche Muthmaßung unseres
Verfassers sehen, wie die christlichen Schrift-
steller dazu gekommen seyen, daß sie geglau-

chael,

Osmaniſche Geſchichte
Griechen der Wut der Osmanen nicht laͤnger Widerſtand thun konnten: ſo
wendeten ſie ihren Ueberwindern den Ruͤcken. Sie wurden aber von denſelben
verfolget, viele von ihnen erſchlagen und eine große Anzahl gefangen genom-
men. Sehr wenige entrannen durch eine zeitige Flucht, damit ſie nur ihrem
Kaiſer die Zeitung von dieſer ungluͤcklichen Begebenheit bringen konnten.

Indem Osman
mit dem Zipper-
leine beſchweret
iſt: ſo uͤberrum-
pelt Orchan die
Landſchaft Bi-
thynien und er-
obert die Haupt-ſtadt Pruſa.
21 und 22.

Ungeachtet Osman von vieler Arbeit, beſtaͤndigen Feldzuͤgen
und Alter nunmehr entkraͤftet war, und noch dazu mit einer ſchmerzhaften
Krankheit, dem Zipperleine, befallen wurde: ſo behielte er dennoch ſeine Mun-
terkeit des Gemuͤths; und weil er merkte, daß ſeine Waffen einen beſonders
gluͤcklichen Fortgang hatten: ſo ſchickte er ſeinen Sohn Orchan mit einer zahl-
reichen Mannſchaft aus, die Landſchaft Bithynien, daruͤber Ornus, wie vor-
hin gedacht, die Statthalterſchaft fuͤhrete, zu bezwingen, und, wo moͤglich,
die Hauptſtadt des Reichs, Pruſa, einzunehmen. Ornus war nicht im
Stande, gegen Orchan im Felde zu erſcheinen: und wurde daher genoͤthiget,
ſich innerhalb der Mauren ſeiner Hauptſtadt zu halten, die im uͤbrigen ſehr
ſtark befeſtiget und mit Lebensmitteln auf acht Jahre lang verſehen war. Or-
chan ſchloß die Stadt genau ein und ſetzte derſelben mit beſtaͤndigen Stuͤrmen
hart zu: mußte aber erfahren, daß die Beſatzung ſich trefflich wohl vertheidigte.
Allein (damit wir dem Pſalmiſten ſeine Worte abborgen), wenn der Herr die
Stadt nicht behuͤtet: ſo iſt das Wachen der Waͤchter vergebens. Denn Mi-
[Spaltenumbruch]

18 [Die meiſten unter den chriſtlichen Ge-
ſchichtſchreibern ſagen, dieſe Stadt ſey von
dem alten Sultan Osman ſelbſt erobert wor-
den, und geben vor, es ſey auf folgende Weiſe
zugegangen. Nachdem der Sultan die Stadt
eingenommen gehabt: ſo habe er gemerket,
daß ſich das Schloß noch lange halten koͤnne,
und daher Befehl gegeben, daß man aus-
ſtreuen ſollte, er waͤre todt, und haͤtte noch
zuletzt vor ſeinem Ende begehret, daß man
ihn in das griechiſche Kloſter in dem Schloſſe
begraben ſollte, und ungefaͤhr vierzig Perſonen
ſollten die Leiche dahin begleiten. Wenn
man nun in dieſes Begehren einwilligen wuͤr-
de: ſo ſollte ſein Heer abziehen. Die leicht-
glaͤubigen Moͤnche haben dieſes willig zuge-
ſtanden, und als man einen Sarg mit Waf-
[Spaltenumbruch]
fen angefuͤllet, und Osman ſelbſt verkleideter
Weiſe, nebſt noch neun und dreyßig andern
Soldaten, eingelaſſen: ſo haben ſie ſich des
Thors bemaͤchtiget, noch mehrere Mannſchaft
einruͤcken laſſen, und ſolchergeſtalt das Schloß
eingenommen. Lucas hat dieſe Nachricht in
ſeinen Reiſen nach den Morgenlaͤndern, und
machet daſelbſt eine Beſchreibung von dieſem
Platze und ſeinen Denkmaͤlern aus dem Al-
terthume, zahlreichen Baͤdern, Grabſtaͤtten
der tuͤrkiſchen Sultane, Reſten von alten Pa-
laͤſten, u. ſ. w. daraus man zur Genuͤge ab-
nehmen kann, daß es ein wichtiger Ort muͤſſe
geweſen ſeyn. Der Leſer wird gleich hernach
eine wahrſcheinliche Muthmaßung unſeres
Verfaſſers ſehen, wie die chriſtlichen Schrift-
ſteller dazu gekommen ſeyen, daß ſie geglau-

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[28/0100] Osmaniſche Geſchichte Griechen der Wut der Osmanen nicht laͤnger Widerſtand thun konnten: ſo wendeten ſie ihren Ueberwindern den Ruͤcken. Sie wurden aber von denſelben verfolget, viele von ihnen erſchlagen und eine große Anzahl gefangen genom- men. Sehr wenige entrannen durch eine zeitige Flucht, damit ſie nur ihrem Kaiſer die Zeitung von dieſer ungluͤcklichen Begebenheit bringen konnten. 21 und 22. Ungeachtet Osman von vieler Arbeit, beſtaͤndigen Feldzuͤgen und Alter nunmehr entkraͤftet war, und noch dazu mit einer ſchmerzhaften Krankheit, dem Zipperleine, befallen wurde: ſo behielte er dennoch ſeine Mun- terkeit des Gemuͤths; und weil er merkte, daß ſeine Waffen einen beſonders gluͤcklichen Fortgang hatten: ſo ſchickte er ſeinen Sohn Orchan mit einer zahl- reichen Mannſchaft aus, die Landſchaft Bithynien, daruͤber Ornus, wie vor- hin gedacht, die Statthalterſchaft fuͤhrete, zu bezwingen, und, wo moͤglich, die Hauptſtadt des Reichs, Pruſa, einzunehmen. Ornus war nicht im Stande, gegen Orchan im Felde zu erſcheinen: und wurde daher genoͤthiget, ſich innerhalb der Mauren ſeiner Hauptſtadt zu halten, die im uͤbrigen ſehr ſtark befeſtiget und mit Lebensmitteln auf acht Jahre lang verſehen war. Or- chan ſchloß die Stadt genau ein und ſetzte derſelben mit beſtaͤndigen Stuͤrmen hart zu: mußte aber erfahren, daß die Beſatzung ſich trefflich wohl vertheidigte. Allein (damit wir dem Pſalmiſten ſeine Worte abborgen), wenn der Herr die Stadt nicht behuͤtet: ſo iſt das Wachen der Waͤchter vergebens. Denn Mi- chael, ¹⁸ [Die meiſten unter den chriſtlichen Ge- ſchichtſchreibern ſagen, dieſe Stadt ſey von dem alten Sultan Osman ſelbſt erobert wor- den, und geben vor, es ſey auf folgende Weiſe zugegangen. Nachdem der Sultan die Stadt eingenommen gehabt: ſo habe er gemerket, daß ſich das Schloß noch lange halten koͤnne, und daher Befehl gegeben, daß man aus- ſtreuen ſollte, er waͤre todt, und haͤtte noch zuletzt vor ſeinem Ende begehret, daß man ihn in das griechiſche Kloſter in dem Schloſſe begraben ſollte, und ungefaͤhr vierzig Perſonen ſollten die Leiche dahin begleiten. Wenn man nun in dieſes Begehren einwilligen wuͤr- de: ſo ſollte ſein Heer abziehen. Die leicht- glaͤubigen Moͤnche haben dieſes willig zuge- ſtanden, und als man einen Sarg mit Waf- fen angefuͤllet, und Osman ſelbſt verkleideter Weiſe, nebſt noch neun und dreyßig andern Soldaten, eingelaſſen: ſo haben ſie ſich des Thors bemaͤchtiget, noch mehrere Mannſchaft einruͤcken laſſen, und ſolchergeſtalt das Schloß eingenommen. Lucas hat dieſe Nachricht in ſeinen Reiſen nach den Morgenlaͤndern, und machet daſelbſt eine Beſchreibung von dieſem Platze und ſeinen Denkmaͤlern aus dem Al- terthume, zahlreichen Baͤdern, Grabſtaͤtten der tuͤrkiſchen Sultane, Reſten von alten Pa- laͤſten, u. ſ. w. daraus man zur Genuͤge ab- nehmen kann, daß es ein wichtiger Ort muͤſſe geweſen ſeyn. Der Leſer wird gleich hernach eine wahrſcheinliche Muthmaßung unſeres Verfaſſers ſehen, wie die chriſtlichen Schrift- ſteller dazu gekommen ſeyen, daß ſie geglau- bet

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/100>, abgerufen am 22.11.2024.