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[Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von]: Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte. [Hrsg. v. Joachim Lange]. Berlin, 1700.

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Ich thu mir schon Gewalt/ wenn ich viel Thorheit seh/
Die ich bescheidentlich mit schweigen übergeh;
Das aber ding' ich aus/ nicht zu des Nechsten Schaden/
Nein; sondern nur mein Hertz der Bürde zu entladen/
Daß ich durch einen Reim/ was ich den gantzen Tag/
Geduldig angemerckt/ mir selbst vertrauen mag.
Denn schenck' ichs keinem nicht/ kein Ort ist den ich schone/
Von schlechten Hütten an/ biß zu des Königs Throne.
Ein bärtiger Heyduck/ der wie ein Cherubim/
Die Streit-Axt in der Hand/ die Augen voller Grimm/
Der Außerwählten Sitz verschleußt für meines gleichen/
Muß wie ein schüchtern Reh von seiner Wacht entwei-
chen/

Wenn mein gerechter Zorn erst anzubrenne[n] fängt/
Und sich biß in den Schooß des blinden Glückes drengt/
Die Larve vom Gesicht des Lasters weg zu reissen;
Weh dem der thöricht ist/ und dennoch klug wil heissen!
Denn wo sein Name nur sich in die Verse schickt/
So wird er alsofort dem - - - - be[y]gerückt.
In meinem Schüler-stand/ auf den bestaubten Bäncken/
Hub sich die Kurtzweil an; Solt' ich auf Sprüche dencken/
(Die man gezwungen lernt/ und länger nicht bewahrt/
Als biß der kluge Sohn/ nach Papageyen Art/
Sie zu der Eltern Trost/ dem Lehrer nachgesprochen/)
So ward mir aller Fleiß durch Reimen unterbrochen/
Da mahlt' ich ungeübt in meiner Einfalt ab/
Wenn Meister und Gesell/ mir was zu lachen gab;
Biß nach und nach die Zeit den Vorhang weggeschoben/
Und mir/ was scheltens werth/ hingegen was zu loben/
Was Hof und Kirch und Land/ und Stadt für Wunder
hegt/

Und was mir selber fehlt getreulich ausgelegt.
Das mach' ich mir zu nutz/ und durch des Himmels Güte
Werd' ich je mehr und mehr bestärckt/ daß ein Gemüthe/
Wenn es der Tyranney des Wahnes obgesiegt/
Und seine Freyheit kennt/ gantz Peru überwiegt;
Das
Ich thu mir ſchon Gewalt/ wenn ich viel Thorheit ſeh/
Die ich beſcheidentlich mit ſchweigen uͤbergeh;
Das aber ding’ ich aus/ nicht zu des Nechſten Schaden/
Nein; ſondern nur mein Hertz der Buͤrde zu entladen/
Daß ich durch einen Reim/ was ich den gantzen Tag/
Geduldig angemerckt/ mir ſelbſt vertrauen mag.
Deñ ſchenck’ ichs keinem nicht/ kein Ort iſt den ich ſchone/
Von ſchlechten Huͤtten an/ biß zu des Koͤnigs Throne.
Ein baͤrtiger Heyduck/ der wie ein Cherubim/
Die Streit-Axt in der Hand/ die Augen voller Grimm/
Der Außerwaͤhlten Sitz verſchleußt fuͤr meines gleichen/
Muß wie ein ſchuͤchtern Reh von ſeiner Wacht entwei-
chen/

Wenn mein gerechter Zorn erſt anzubrenne[n] faͤngt/
Und ſich biß in den Schooß des blinden Gluͤckes drengt/
Die Larve vom Geſicht des Laſters weg zu reiſſen;
Weh dem der thoͤricht iſt/ und dennoch klug wil heiſſen!
Denn wo ſein Name nur ſich in die Verſe ſchickt/
So wird er alſofort dem - - - - be[y]geruͤckt.
In meinem Schuͤler-ſtand/ auf den beſtaubten Baͤncken/
Hub ſich die Kurtzweil an; Solt’ ich auf Spruͤche denckẽ/
(Die man gezwungen lernt/ und laͤnger nicht bewahrt/
Als biß der kluge Sohn/ nach Papageyen Art/
Sie zu der Eltern Troſt/ dem Lehrer nachgeſprochen/)
So ward mir aller Fleiß durch Reimen unterbrochen/
Da mahlt’ ich ungeuͤbt in meiner Einfalt ab/
Wenn Meiſter und Geſell/ mir was zu lachen gab;
Biß nach und nach die Zeit den Vorhang weggeſchoben/
Und mir/ was ſcheltens werth/ hingegen was zu loben/
Was Hof und Kirch und Land/ und Stadt fuͤr Wunder
hegt/

Und was mir ſelber fehlt getreulich ausgelegt.
Das mach’ ich mir zu nutz/ und durch des Himmels Guͤte
Werd’ ich je mehr und mehr beſtaͤrckt/ daß ein Gemuͤthe/
Wenn es der Tyranney des Wahnes obgeſiegt/
Und ſeine Freyheit kennt/ gantz Peru uͤberwiegt;
Das
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[61/0074] Ich thu mir ſchon Gewalt/ wenn ich viel Thorheit ſeh/ Die ich beſcheidentlich mit ſchweigen uͤbergeh; Das aber ding’ ich aus/ nicht zu des Nechſten Schaden/ Nein; ſondern nur mein Hertz der Buͤrde zu entladen/ Daß ich durch einen Reim/ was ich den gantzen Tag/ Geduldig angemerckt/ mir ſelbſt vertrauen mag. Deñ ſchenck’ ichs keinem nicht/ kein Ort iſt den ich ſchone/ Von ſchlechten Huͤtten an/ biß zu des Koͤnigs Throne. Ein baͤrtiger Heyduck/ der wie ein Cherubim/ Die Streit-Axt in der Hand/ die Augen voller Grimm/ Der Außerwaͤhlten Sitz verſchleußt fuͤr meines gleichen/ Muß wie ein ſchuͤchtern Reh von ſeiner Wacht entwei- chen/ Wenn mein gerechter Zorn erſt anzubrennen faͤngt/ Und ſich biß in den Schooß des blinden Gluͤckes drengt/ Die Larve vom Geſicht des Laſters weg zu reiſſen; Weh dem der thoͤricht iſt/ und dennoch klug wil heiſſen! Denn wo ſein Name nur ſich in die Verſe ſchickt/ So wird er alſofort dem - - - - beygeruͤckt. In meinem Schuͤler-ſtand/ auf den beſtaubten Baͤncken/ Hub ſich die Kurtzweil an; Solt’ ich auf Spruͤche denckẽ/ (Die man gezwungen lernt/ und laͤnger nicht bewahrt/ Als biß der kluge Sohn/ nach Papageyen Art/ Sie zu der Eltern Troſt/ dem Lehrer nachgeſprochen/) So ward mir aller Fleiß durch Reimen unterbrochen/ Da mahlt’ ich ungeuͤbt in meiner Einfalt ab/ Wenn Meiſter und Geſell/ mir was zu lachen gab; Biß nach und nach die Zeit den Vorhang weggeſchoben/ Und mir/ was ſcheltens werth/ hingegen was zu loben/ Was Hof und Kirch und Land/ und Stadt fuͤr Wunder hegt/ Und was mir ſelber fehlt getreulich ausgelegt. Das mach’ ich mir zu nutz/ und durch des Himmels Guͤte Werd’ ich je mehr und mehr beſtaͤrckt/ daß ein Gemuͤthe/ Wenn es der Tyranney des Wahnes obgeſiegt/ Und ſeine Freyheit kennt/ gantz Peru uͤberwiegt; Das

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Zitationshilfe: [Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von]: Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte. [Hrsg. v. Joachim Lange]. Berlin, 1700, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/canitz_gedichte_1700/74>, abgerufen am 07.05.2024.