Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844.O Gottentfremdung, einzig Eine Sünde, Wie hast du mein Geschlecht mir zugerichtet! Verfinstert der Verstand! Verstockt die Herzen! Und der Gesellschaft Grundortnung vernichtet! Wer ist so klug daß Einklang er ergründe Wo üppig wuchern Millionen Schmerzen? Ach! selbst die Himmelskerzen Des Lichtes leuchten nicht den "Ewigblinden" Und "äschern Stadt und Land ein" zum Beweise Daß sich im Jammerkreise Drehn muß die Menschheit bis sie Gott mag finden. Das ist die Wahrheit jener alten Lehre Daß erblich stets die Sünde wiederkehre. Denn innerstes und äußeres Verderben
Erzeugen für und für sich wechselseitig Und graunvoll hoffnungslose Doppelknechtschaft Macht was da Mensch heißt sich als Beute streitig. Gesteigert muß dies Elend stets vererben Die Lügenschöpfung welche das Geschlecht schafft. Weh! niemand ist der recht schafft. Gesammtbeziehungslos hinschwirrend spielen Der menschlichen Natur verkannte Triebe. Erkenntniß gibt die Liebe Von Sonderkräften und gemeinen Zielen Allein ja und die Liebe ward zum Spotte. Es schaut der Mensch den Menschen außer Gotte. O Gottentfremdung, einzig Eine Sünde, Wie haſt du mein Geſchlecht mir zugerichtet! Verfinſtert der Verſtand! Verſtockt die Herzen! Und der Geſellſchaft Grundortnung vernichtet! Wer iſt ſo klug daß Einklang er ergründe Wo üppig wuchern Millionen Schmerzen? Ach! ſelbſt die Himmelskerzen Des Lichtes leuchten nicht den „Ewigblinden“ Und „äſchern Stadt und Land ein“ zum Beweiſe Daß ſich im Jammerkreiſe Drehn muß die Menſchheit bis ſie Gott mag finden. Das iſt die Wahrheit jener alten Lehre Daß erblich ſtets die Sünde wiederkehre. Denn innerſtes und äußeres Verderben
Erzeugen für und für ſich wechſelſeitig Und graunvoll hoffnungsloſe Doppelknechtſchaft Macht was da Menſch heißt ſich als Beute ſtreitig. Geſteigert muß dies Elend ſtets vererben Die Lügenſchöpfung welche das Geſchlecht ſchafft. Weh! niemand iſt der recht ſchafft. Geſammtbeziehungslos hinſchwirrend ſpielen Der menſchlichen Natur verkannte Triebe. Erkenntniß gibt die Liebe Von Sonderkräften und gemeinen Zielen Allein ja und die Liebe ward zum Spotte. Es ſchaut der Menſch den Menſchen außer Gotte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0084" n="70"/> <lg n="2"> <l>O Gottentfremdung, einzig Eine Sünde,</l><lb/> <l>Wie haſt du mein Geſchlecht mir zugerichtet!</l><lb/> <l>Verfinſtert der Verſtand! Verſtockt die Herzen!</l><lb/> <l>Und der Geſellſchaft Grundortnung vernichtet!</l><lb/> <l>Wer iſt ſo klug daß Einklang er ergründe</l><lb/> <l>Wo üppig wuchern Millionen Schmerzen?</l><lb/> <l>Ach! ſelbſt die Himmelskerzen</l><lb/> <l>Des Lichtes leuchten nicht den „Ewigblinden“</l><lb/> <l>Und „äſchern Stadt und Land ein“ zum Beweiſe</l><lb/> <l>Daß ſich im Jammerkreiſe</l><lb/> <l>Drehn muß die Menſchheit bis ſie Gott mag finden.</l><lb/> <l>Das iſt die Wahrheit jener alten Lehre</l><lb/> <l>Daß erblich ſtets die Sünde wiederkehre.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Denn innerſtes und äußeres Verderben</l><lb/> <l>Erzeugen für und für ſich wechſelſeitig</l><lb/> <l>Und graunvoll hoffnungsloſe Doppelknechtſchaft</l><lb/> <l>Macht was da Menſch heißt ſich als Beute ſtreitig.</l><lb/> <l>Geſteigert muß dies Elend ſtets vererben</l><lb/> <l>Die Lügenſchöpfung welche das Geſchlecht ſchafft.</l><lb/> <l>Weh! niemand iſt der recht ſchafft.</l><lb/> <l>Geſammtbeziehungslos hinſchwirrend ſpielen</l><lb/> <l>Der menſchlichen Natur verkannte Triebe.</l><lb/> <l>Erkenntniß gibt die Liebe</l><lb/> <l>Von Sonderkräften und gemeinen Zielen</l><lb/> <l>Allein ja und die Liebe ward zum Spotte.</l><lb/> <l>Es ſchaut der Menſch den Menſchen außer Gotte.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0084]
O Gottentfremdung, einzig Eine Sünde,
Wie haſt du mein Geſchlecht mir zugerichtet!
Verfinſtert der Verſtand! Verſtockt die Herzen!
Und der Geſellſchaft Grundortnung vernichtet!
Wer iſt ſo klug daß Einklang er ergründe
Wo üppig wuchern Millionen Schmerzen?
Ach! ſelbſt die Himmelskerzen
Des Lichtes leuchten nicht den „Ewigblinden“
Und „äſchern Stadt und Land ein“ zum Beweiſe
Daß ſich im Jammerkreiſe
Drehn muß die Menſchheit bis ſie Gott mag finden.
Das iſt die Wahrheit jener alten Lehre
Daß erblich ſtets die Sünde wiederkehre.
Denn innerſtes und äußeres Verderben
Erzeugen für und für ſich wechſelſeitig
Und graunvoll hoffnungsloſe Doppelknechtſchaft
Macht was da Menſch heißt ſich als Beute ſtreitig.
Geſteigert muß dies Elend ſtets vererben
Die Lügenſchöpfung welche das Geſchlecht ſchafft.
Weh! niemand iſt der recht ſchafft.
Geſammtbeziehungslos hinſchwirrend ſpielen
Der menſchlichen Natur verkannte Triebe.
Erkenntniß gibt die Liebe
Von Sonderkräften und gemeinen Zielen
Allein ja und die Liebe ward zum Spotte.
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Zitationshilfe: | Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854/84>, abgerufen am 05.07.2024. |