bloße Miene verurtheilt ihn schon. Gesittete Leute werden sich eben so wenig zu ihm, als Leute von gutem Rufe zu jenem halten. Diese Abweisung treibt und erniedrigt ihn in schlechte Geselschaft; ein Schlund, aus welchem, nach einem gewissen Alter, kein Mensch wieder empor gekommen ist.)
Ich weiß, mein Lieber, daß du von Natur edel und wohlwollend bist; das ist freilich die Hauptsache, aber doch noch nicht alles. Du mußt es auch zu sein scheinen. Ich meine nicht, du müssest damit pralen; aber schäme dich nicht, wie manche junge Leute thun, Gesinnungen der Menschlichkeit und des Wohlwollens, die du wirklich fühlst, auch zu gestehen. Ich habe ver- schiedene junge Leute gekant, welche für Leute von Muth und Herzhaftigkeit angesehen sein wolten, und deswegen eine Härte und Fühllosig- keit affektierten, die sie in der That nicht hatten; sie sprachen nie anders als in entscheidendem und drohendem Tone; sie waren alle Augenblik bereit, Hälse zu brechen, Leute zum Fenster hinaus zu werfen, ihnen die Ohren abzuschneiden, u. s. w.
und
bloße Miene verurtheilt ihn ſchon. Geſittete Leute werden ſich eben ſo wenig zu ihm, als Leute von gutem Rufe zu jenem halten. Dieſe Abweiſung treibt und erniedrigt ihn in ſchlechte Geſelſchaft; ein Schlund, aus welchem, nach einem gewiſſen Alter, kein Menſch wieder empor gekommen iſt.)
Ich weiß, mein Lieber, daß du von Natur edel und wohlwollend biſt; das iſt freilich die Hauptſache, aber doch noch nicht alles. Du mußt es auch zu ſein ſcheinen. Ich meine nicht, du muͤſſeſt damit pralen; aber ſchaͤme dich nicht, wie manche junge Leute thun, Geſinnungen der Menſchlichkeit und des Wohlwollens, die du wirklich fuͤhlſt, auch zu geſtehen. Ich habe ver- ſchiedene junge Leute gekant, welche fuͤr Leute von Muth und Herzhaftigkeit angeſehen ſein wolten, und deswegen eine Haͤrte und Fuͤhlloſig- keit affektierten, die ſie in der That nicht hatten; ſie ſprachen nie anders als in entſcheidendem und drohendem Tone; ſie waren alle Augenblik bereit, Haͤlſe zu brechen, Leute zum Fenſter hinaus zu werfen, ihnen die Ohren abzuſchneiden, u. ſ. w.
und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0094"n="88"/>
bloße Miene verurtheilt ihn ſchon. Geſittete<lb/>
Leute werden ſich eben ſo wenig zu ihm, als Leute<lb/>
von gutem Rufe zu jenem halten. Dieſe Abweiſung<lb/>
treibt und erniedrigt ihn in ſchlechte Geſelſchaft;<lb/>
ein Schlund, aus welchem, nach einem gewiſſen<lb/>
Alter, kein Menſch wieder empor gekommen iſt.)</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Ich weiß, mein Lieber, daß du von Natur<lb/>
edel und wohlwollend biſt; das iſt freilich die<lb/>
Hauptſache, aber doch noch nicht alles. Du mußt<lb/>
es auch zu ſein ſcheinen. Ich meine nicht, du<lb/>
muͤſſeſt damit pralen; aber ſchaͤme dich nicht, wie<lb/>
manche junge Leute thun, Geſinnungen der<lb/>
Menſchlichkeit und des Wohlwollens, die du<lb/>
wirklich fuͤhlſt, auch zu geſtehen. Ich habe ver-<lb/>ſchiedene junge Leute gekant, welche fuͤr Leute<lb/>
von Muth und Herzhaftigkeit angeſehen ſein<lb/>
wolten, und deswegen eine Haͤrte und Fuͤhlloſig-<lb/>
keit affektierten, die ſie in der That nicht hatten;<lb/>ſie ſprachen nie anders als in entſcheidendem und<lb/>
drohendem Tone; ſie waren alle Augenblik bereit,<lb/>
Haͤlſe zu brechen, Leute zum Fenſter hinaus zu<lb/>
werfen, ihnen die Ohren abzuſchneiden, u. ſ. w.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[88/0094]
bloße Miene verurtheilt ihn ſchon. Geſittete
Leute werden ſich eben ſo wenig zu ihm, als Leute
von gutem Rufe zu jenem halten. Dieſe Abweiſung
treibt und erniedrigt ihn in ſchlechte Geſelſchaft;
ein Schlund, aus welchem, nach einem gewiſſen
Alter, kein Menſch wieder empor gekommen iſt.)
Ich weiß, mein Lieber, daß du von Natur
edel und wohlwollend biſt; das iſt freilich die
Hauptſache, aber doch noch nicht alles. Du mußt
es auch zu ſein ſcheinen. Ich meine nicht, du
muͤſſeſt damit pralen; aber ſchaͤme dich nicht, wie
manche junge Leute thun, Geſinnungen der
Menſchlichkeit und des Wohlwollens, die du
wirklich fuͤhlſt, auch zu geſtehen. Ich habe ver-
ſchiedene junge Leute gekant, welche fuͤr Leute
von Muth und Herzhaftigkeit angeſehen ſein
wolten, und deswegen eine Haͤrte und Fuͤhlloſig-
keit affektierten, die ſie in der That nicht hatten;
ſie ſprachen nie anders als in entſcheidendem und
drohendem Tone; ſie waren alle Augenblik bereit,
Haͤlſe zu brechen, Leute zum Fenſter hinaus zu
werfen, ihnen die Ohren abzuſchneiden, u. ſ. w.
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/94>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.