ten es, und wenige lieben es, ausser an sich selbst. Wer ein großes Maaß von Wiz an andern er- tragen wil, muß selbst ein beträgtliches Maaß da- von besizen. Wenn der Wiz sich durch Satire äussert, so ist er eine bösartige Krankheit der Sele. Zwar darf sich der Wiz allerdings in Satire kleiden; aber Satire ist nicht immer Wiz, wie manche sich fälschlich einbilden. Ein Man von Wiz findet tausend bessere Gelegenheiten, ihn zu zeigen.
Enthalte dich demnach der Satire aufs sorg- fältigste, solte sie auch keine Person in der Ge- selschaft besonders treffen. Sie gefält auf einen Augenblik vermöge der geheimen Tükke des mensch- lichen Herzens; indes, so bald man einige Ueber- legung anstelt, sezt sie alles in Schrekken. Ein jeder denkt, die Reihe werde nächstens auch an ihn kommen; und stat dir verpflichtet zu sein für das, was du von ihm nicht sagst, wird er dich hassen, wegen dessen, was du vielleicht einmahl sagen köntest. Furcht und Haß sind die beiden nächsten Nachbarn. Je mehr Wiz du hast, desto mehr Gutherzigkeit und Höflichkeit mußt du zei-
gen,
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ten es, und wenige lieben es, auſſer an ſich ſelbſt. Wer ein großes Maaß von Wiz an andern er- tragen wil, muß ſelbſt ein betraͤgtliches Maaß da- von beſizen. Wenn der Wiz ſich durch Satire aͤuſſert, ſo iſt er eine boͤsartige Krankheit der Sele. Zwar darf ſich der Wiz allerdings in Satire kleiden; aber Satire iſt nicht immer Wiz, wie manche ſich faͤlſchlich einbilden. Ein Man von Wiz findet tauſend beſſere Gelegenheiten, ihn zu zeigen.
Enthalte dich demnach der Satire aufs ſorg- faͤltigſte, ſolte ſie auch keine Perſon in der Ge- ſelſchaft beſonders treffen. Sie gefaͤlt auf einen Augenblik vermoͤge der geheimen Tuͤkke des menſch- lichen Herzens; indes, ſo bald man einige Ueber- legung anſtelt, ſezt ſie alles in Schrekken. Ein jeder denkt, die Reihe werde naͤchſtens auch an ihn kommen; und ſtat dir verpflichtet zu ſein fuͤr das, was du von ihm nicht ſagſt, wird er dich haſſen, wegen deſſen, was du vielleicht einmahl ſagen koͤnteſt. Furcht und Haß ſind die beiden naͤchſten Nachbarn. Je mehr Wiz du haſt, deſto mehr Gutherzigkeit und Hoͤflichkeit mußt du zei-
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ten es, und wenige lieben es, auſſer an ſich ſelbſt.
Wer ein großes Maaß von Wiz an andern er-
tragen wil, muß ſelbſt ein betraͤgtliches Maaß da-
von beſizen. Wenn der Wiz ſich durch Satire
aͤuſſert, ſo iſt er eine boͤsartige Krankheit der
Sele. Zwar darf ſich der Wiz allerdings in
Satire kleiden; aber Satire iſt nicht immer Wiz,
wie manche ſich faͤlſchlich einbilden. Ein Man
von Wiz findet tauſend beſſere Gelegenheiten, ihn
zu zeigen.
Enthalte dich demnach der Satire aufs ſorg-
faͤltigſte, ſolte ſie auch keine Perſon in der Ge-
ſelſchaft beſonders treffen. Sie gefaͤlt auf einen
Augenblik vermoͤge der geheimen Tuͤkke des menſch-
lichen Herzens; indes, ſo bald man einige Ueber-
legung anſtelt, ſezt ſie alles in Schrekken. Ein
jeder denkt, die Reihe werde naͤchſtens auch an
ihn kommen; und ſtat dir verpflichtet zu ſein fuͤr
das, was du von ihm nicht ſagſt, wird er dich
haſſen, wegen deſſen, was du vielleicht einmahl
ſagen koͤnteſt. Furcht und Haß ſind die beiden
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/77>, abgerufen am 27.07.2024.
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