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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

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sagen wollen. Es ist die eigentliche Sprache für
Aufwartungen beim Aufstehen und in Vorzim-
mern; daher ist es nöthig, sie inne zu haben.

Ein Mensch sei, was er wil, so muß er
höflich und gesittet sein. Dieser Mantel bedekt
eben so viele Thorheiten, als die kristliche Liebe
Sünden. Ich kante einen Man von hohem
Range, der in einem vornehmen Amte stand, sehr
geachtet und geehrt war, dessen größte Eigenschaf-
ten darin bestanden, daß er stolz mit Demuth
und albern mit Höflichkeit war. *)

Es ist schwer, zu bestimmen, wer der größte Thor
ist, der die Wahrheit ganz, oder der gar keine sagt.

Verschiedenheit in Meinungen, selbst in Klei-
nigkeiten, entrüstet kleine Geister, zumahl wenn
sie von hohem Range sind. Nun ist es aber völlig
eben so leicht, eines Vornehmen Koch oder
Schneider zu loben, als ihn zu tadeln; das erstere
ist vielmehr noch kürzer; und Sachen dieser Art
verdienen eben so wenig, daß man über sie, als
solche Leute, daß man mit ihnen streite. Es ist

unmög-
*) Wie vielmehr wird also nicht derjenige ge-
schäzt werden, der mit diesem höflichen und
gesitteten Wesen wirkliche Bescheidenheit
und Verstand verbindet? C.

ſagen wollen. Es iſt die eigentliche Sprache fuͤr
Aufwartungen beim Aufſtehen und in Vorzim-
mern; daher iſt es noͤthig, ſie inne zu haben.

Ein Menſch ſei, was er wil, ſo muß er
hoͤflich und geſittet ſein. Dieſer Mantel bedekt
eben ſo viele Thorheiten, als die kriſtliche Liebe
Suͤnden. Ich kante einen Man von hohem
Range, der in einem vornehmen Amte ſtand, ſehr
geachtet und geehrt war, deſſen groͤßte Eigenſchaf-
ten darin beſtanden, daß er ſtolz mit Demuth
und albern mit Hoͤflichkeit war. *)

Es iſt ſchwer, zu beſtimmen, wer der groͤßte Thor
iſt, der die Wahrheit ganz, oder der gar keine ſagt.

Verſchiedenheit in Meinungen, ſelbſt in Klei-
nigkeiten, entruͤſtet kleine Geiſter, zumahl wenn
ſie von hohem Range ſind. Nun iſt es aber voͤllig
eben ſo leicht, eines Vornehmen Koch oder
Schneider zu loben, als ihn zu tadeln; das erſtere
iſt vielmehr noch kuͤrzer; und Sachen dieſer Art
verdienen eben ſo wenig, daß man uͤber ſie, als
ſolche Leute, daß man mit ihnen ſtreite. Es iſt

unmoͤg-
*) Wie vielmehr wird alſo nicht derjenige ge-
ſchaͤzt werden, der mit dieſem hoͤflichen und
geſitteten Weſen wirkliche Beſcheidenheit
und Verſtand verbindet? C.
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[189/0195] ſagen wollen. Es iſt die eigentliche Sprache fuͤr Aufwartungen beim Aufſtehen und in Vorzim- mern; daher iſt es noͤthig, ſie inne zu haben. Ein Menſch ſei, was er wil, ſo muß er hoͤflich und geſittet ſein. Dieſer Mantel bedekt eben ſo viele Thorheiten, als die kriſtliche Liebe Suͤnden. Ich kante einen Man von hohem Range, der in einem vornehmen Amte ſtand, ſehr geachtet und geehrt war, deſſen groͤßte Eigenſchaf- ten darin beſtanden, daß er ſtolz mit Demuth und albern mit Hoͤflichkeit war. *) Es iſt ſchwer, zu beſtimmen, wer der groͤßte Thor iſt, der die Wahrheit ganz, oder der gar keine ſagt. Verſchiedenheit in Meinungen, ſelbſt in Klei- nigkeiten, entruͤſtet kleine Geiſter, zumahl wenn ſie von hohem Range ſind. Nun iſt es aber voͤllig eben ſo leicht, eines Vornehmen Koch oder Schneider zu loben, als ihn zu tadeln; das erſtere iſt vielmehr noch kuͤrzer; und Sachen dieſer Art verdienen eben ſo wenig, daß man uͤber ſie, als ſolche Leute, daß man mit ihnen ſtreite. Es iſt unmoͤg- *) Wie vielmehr wird alſo nicht derjenige ge- ſchaͤzt werden, der mit dieſem hoͤflichen und geſitteten Weſen wirkliche Beſcheidenheit und Verſtand verbindet? C.

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/195>, abgerufen am 07.05.2024.