Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Laster gezeigt, um ihm Abscheu dagegen einzuflößen;
auch banden ihn die Fesseln der Gewohnheit noch
nicht so fest, daß er nicht hätte wieder zu seiner
Freiheit gelangen können. Das war aber auch
der entscheidende Zeitpunkt, da es noch möglich
für ihn war, zurükzutreten. Allein er ward
verabsäumt.

Durch öftere Wiederholung ausgelassener
Vergnügungen began der unglükliche Jüngling
jenes Mistrauen zu verlieren, das den Neuling
im Laster noch eine Zeitlang zu begleiten pflegt.
Wenn er an seine anfängliche Besorgniß und Unruhe
zurükdachte, kont' er nicht umhin, sich über sein
voriges kindisches Wesen zu wundern. Die sorg-
lose Lustigkeit seiner Kammeraden, deren die mei-
sten viel älter als er, und lange schon gegen die
Schaamröthe der Sitsamkeit, gegen die Empfin-
dungen der Unschuld, Fremdlinge geworden waren,
bewog ihn, auf der Thorheit Laufbahn fortzuge-
hen; und bald that er es den ärgsten von der
Geselschaft in allen Vorzügen einer völligen Lie-
derlichkeit gleich.

Wie
M 2

Laſter gezeigt, um ihm Abſcheu dagegen einzufloͤßen;
auch banden ihn die Feſſeln der Gewohnheit noch
nicht ſo feſt, daß er nicht haͤtte wieder zu ſeiner
Freiheit gelangen koͤnnen. Das war aber auch
der entſcheidende Zeitpunkt, da es noch moͤglich
fuͤr ihn war, zuruͤkzutreten. Allein er ward
verabſaͤumt.

Durch oͤftere Wiederholung ausgelaſſener
Vergnuͤgungen began der ungluͤkliche Juͤngling
jenes Mistrauen zu verlieren, das den Neuling
im Laſter noch eine Zeitlang zu begleiten pflegt.
Wenn er an ſeine anfaͤngliche Beſorgniß und Unruhe
zuruͤkdachte, kont’ er nicht umhin, ſich uͤber ſein
voriges kindiſches Weſen zu wundern. Die ſorg-
loſe Luſtigkeit ſeiner Kammeraden, deren die mei-
ſten viel aͤlter als er, und lange ſchon gegen die
Schaamroͤthe der Sitſamkeit, gegen die Empfin-
dungen der Unſchuld, Fremdlinge geworden waren,
bewog ihn, auf der Thorheit Laufbahn fortzuge-
hen; und bald that er es den aͤrgſten von der
Geſelſchaft in allen Vorzuͤgen einer voͤlligen Lie-
derlichkeit gleich.

Wie
M 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0185" n="179"/>
La&#x017F;ter gezeigt, um ihm Ab&#x017F;cheu dagegen einzuflo&#x0364;ßen;<lb/>
auch banden ihn die Fe&#x017F;&#x017F;eln der Gewohnheit noch<lb/>
nicht &#x017F;o fe&#x017F;t, daß er nicht ha&#x0364;tte wieder zu &#x017F;einer<lb/>
Freiheit gelangen ko&#x0364;nnen. Das war aber auch<lb/>
der ent&#x017F;cheidende Zeitpunkt, da es noch mo&#x0364;glich<lb/>
fu&#x0364;r ihn war, zuru&#x0364;kzutreten. Allein er ward<lb/>
verab&#x017F;a&#x0364;umt.</p><lb/>
        <p>Durch o&#x0364;ftere Wiederholung ausgela&#x017F;&#x017F;ener<lb/>
Vergnu&#x0364;gungen began der unglu&#x0364;kliche Ju&#x0364;ngling<lb/>
jenes Mistrauen zu verlieren, das den Neuling<lb/>
im La&#x017F;ter noch eine Zeitlang zu begleiten pflegt.<lb/>
Wenn er an &#x017F;eine anfa&#x0364;ngliche Be&#x017F;orgniß und Unruhe<lb/>
zuru&#x0364;kdachte, kont&#x2019; er nicht umhin, &#x017F;ich u&#x0364;ber &#x017F;ein<lb/>
voriges kindi&#x017F;ches We&#x017F;en zu wundern. Die &#x017F;org-<lb/>
lo&#x017F;e Lu&#x017F;tigkeit &#x017F;einer Kammeraden, deren die mei-<lb/>
&#x017F;ten viel a&#x0364;lter als er, und lange &#x017F;chon gegen die<lb/>
Schaamro&#x0364;the der Sit&#x017F;amkeit, gegen die Empfin-<lb/>
dungen der Un&#x017F;chuld, Fremdlinge geworden waren,<lb/>
bewog ihn, auf der Thorheit Laufbahn fortzuge-<lb/>
hen; und bald that er es den a&#x0364;rg&#x017F;ten von der<lb/>
Ge&#x017F;el&#x017F;chaft in allen Vorzu&#x0364;gen einer vo&#x0364;lligen Lie-<lb/>
derlichkeit gleich.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">M 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Wie</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0185] Laſter gezeigt, um ihm Abſcheu dagegen einzufloͤßen; auch banden ihn die Feſſeln der Gewohnheit noch nicht ſo feſt, daß er nicht haͤtte wieder zu ſeiner Freiheit gelangen koͤnnen. Das war aber auch der entſcheidende Zeitpunkt, da es noch moͤglich fuͤr ihn war, zuruͤkzutreten. Allein er ward verabſaͤumt. Durch oͤftere Wiederholung ausgelaſſener Vergnuͤgungen began der ungluͤkliche Juͤngling jenes Mistrauen zu verlieren, das den Neuling im Laſter noch eine Zeitlang zu begleiten pflegt. Wenn er an ſeine anfaͤngliche Beſorgniß und Unruhe zuruͤkdachte, kont’ er nicht umhin, ſich uͤber ſein voriges kindiſches Weſen zu wundern. Die ſorg- loſe Luſtigkeit ſeiner Kammeraden, deren die mei- ſten viel aͤlter als er, und lange ſchon gegen die Schaamroͤthe der Sitſamkeit, gegen die Empfin- dungen der Unſchuld, Fremdlinge geworden waren, bewog ihn, auf der Thorheit Laufbahn fortzuge- hen; und bald that er es den aͤrgſten von der Geſelſchaft in allen Vorzuͤgen einer voͤlligen Lie- derlichkeit gleich. Wie M 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/185
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/185>, abgerufen am 07.05.2024.