selschaft Vortheil zu ziehen, ohne dabei Gefahr zu laufen, sein Wachsthum an Volkommenheit, seine Tugend, seine Gesundheit, und die Zufrie- denheit seines ganzen Lebens aufzuopfern? Ver- nim denn auch hierüber meinen besten Rath, und laß ihn dir, wenn du deine eigene Wohlfahrt liebst, ja immer heilig bleiben!
Erstlich müsse es deine vorzüglichste Sorge sein, mit keinem andern Frauen- zimmer jemahls in geselschaftliche Verbin- dung zu gerathen, als mit solchen, welche im strengsten Verstande ehrliebend, sitsam und durchaus von unbescholtenem Rufe sind. Achte aber vornemlich auf das Leztere; denn die ersten beiden Eigenschaften können oft- mahls Blendwerk sein, die leztere unweit seltener, höchstens nur in so fern, daß auch die Ausschwei- fende, wenn sie dabei listig genug ist, ihren guten Nahmen eine Zeitlang vielleicht noch zu erhalten weiß, schwerlich aber in so fern, daß auch dieje- nige, deren Sitsamkeit öffentlich bezweifelt wird, jemahls ganz schuldlos sein solte. Nim viel- mehr, bis zu eigener Erfahrung, als eine zuver-
lässige
ſelſchaft Vortheil zu ziehen, ohne dabei Gefahr zu laufen, ſein Wachsthum an Volkommenheit, ſeine Tugend, ſeine Geſundheit, und die Zufrie- denheit ſeines ganzen Lebens aufzuopfern? Ver- nim denn auch hieruͤber meinen beſten Rath, und laß ihn dir, wenn du deine eigene Wohlfahrt liebſt, ja immer heilig bleiben!
Erſtlich muͤſſe es deine vorzuͤglichſte Sorge ſein, mit keinem andern Frauen- zimmer jemahls in geſelſchaftliche Verbin- dung zu gerathen, als mit ſolchen, welche im ſtrengſten Verſtande ehrliebend, ſitſam und durchaus von unbeſcholtenem Rufe ſind. Achte aber vornemlich auf das Leztere; denn die erſten beiden Eigenſchaften koͤnnen oft- mahls Blendwerk ſein, die leztere unweit ſeltener, hoͤchſtens nur in ſo fern, daß auch die Ausſchwei- fende, wenn ſie dabei liſtig genug iſt, ihren guten Nahmen eine Zeitlang vielleicht noch zu erhalten weiß, ſchwerlich aber in ſo fern, daß auch dieje- nige, deren Sitſamkeit oͤffentlich bezweifelt wird, jemahls ganz ſchuldlos ſein ſolte. Nim viel- mehr, bis zu eigener Erfahrung, als eine zuver-
laͤſſige
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ſelſchaft Vortheil zu ziehen, ohne dabei Gefahr
zu laufen, ſein Wachsthum an Volkommenheit,
ſeine Tugend, ſeine Geſundheit, und die Zufrie-
denheit ſeines ganzen Lebens aufzuopfern? Ver-
nim denn auch hieruͤber meinen beſten Rath,
und laß ihn dir, wenn du deine eigene Wohlfahrt
liebſt, ja immer heilig bleiben!
Erſtlich muͤſſe es deine vorzuͤglichſte
Sorge ſein, mit keinem andern Frauen-
zimmer jemahls in geſelſchaftliche Verbin-
dung zu gerathen, als mit ſolchen, welche
im ſtrengſten Verſtande ehrliebend, ſitſam
und durchaus von unbeſcholtenem Rufe
ſind. Achte aber vornemlich auf das Leztere;
denn die erſten beiden Eigenſchaften koͤnnen oft-
mahls Blendwerk ſein, die leztere unweit ſeltener,
hoͤchſtens nur in ſo fern, daß auch die Ausſchwei-
fende, wenn ſie dabei liſtig genug iſt, ihren guten
Nahmen eine Zeitlang vielleicht noch zu erhalten
weiß, ſchwerlich aber in ſo fern, daß auch dieje-
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jemahls ganz ſchuldlos ſein ſolte. Nim viel-
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/285>, abgerufen am 25.11.2024.
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