Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

mung ihrer Thätigkeit mit Mißvergnügen bemerkt.
Dazu komt die Liebe zur Gemächlichkeit, welche
allen Menschen gleichfals so natürlich ist, und die
da macht, daß man ungern durch andrer Wider-
spruch sich gezwungen sieht, eine Sache, über die
man schon entschieden hatte, noch einmahl und
zwar von mehreren Seiten in Erwägung zu ziehn.
Dazu komt denn endlich auch die empfindliche Ei-
telkeit der Menschen, welche jeden Widerspruch
als einen verwegenen Zweifel betrachtet, den man
der Richtigkeit ihres Verstandes und ihrer Einsich-
ten entgegensezt. Wie solt' es also nicht unan-
genehm sein, sich widersprochen zu sehen, da so
viel reizbare Seiten des menschlichen Herzens da-
durch zugleich verlezt werden?

So oft du nun aber in die Nothwendigkeit
geräthst, jemanden von einem Vorsaze, von einem
Urtheile, oder von einer Meinung ablenken zu
müssen: so fange jedesmahl damit an, das
Gute und Vernünftige, was sich etwa darin
denken läßt, zu entwikkeln und zu loben,
und nur dan erst, wan die Eitelkeit des
Andern den süßen Geruch dieses Opfers

ein-

mung ihrer Thaͤtigkeit mit Mißvergnuͤgen bemerkt.
Dazu komt die Liebe zur Gemaͤchlichkeit, welche
allen Menſchen gleichfals ſo natuͤrlich iſt, und die
da macht, daß man ungern durch andrer Wider-
ſpruch ſich gezwungen ſieht, eine Sache, uͤber die
man ſchon entſchieden hatte, noch einmahl und
zwar von mehreren Seiten in Erwaͤgung zu ziehn.
Dazu komt denn endlich auch die empfindliche Ei-
telkeit der Menſchen, welche jeden Widerſpruch
als einen verwegenen Zweifel betrachtet, den man
der Richtigkeit ihres Verſtandes und ihrer Einſich-
ten entgegenſezt. Wie ſolt’ es alſo nicht unan-
genehm ſein, ſich widerſprochen zu ſehen, da ſo
viel reizbare Seiten des menſchlichen Herzens da-
durch zugleich verlezt werden?

So oft du nun aber in die Nothwendigkeit
geraͤthſt, jemanden von einem Vorſaze, von einem
Urtheile, oder von einer Meinung ablenken zu
muͤſſen: ſo fange jedesmahl damit an, das
Gute und Vernuͤnftige, was ſich etwa darin
denken laͤßt, zu entwikkeln und zu loben,
und nur dan erſt, wan die Eitelkeit des
Andern den ſuͤßen Geruch dieſes Opfers

ein-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0204" n="174"/>
mung ihrer Tha&#x0364;tigkeit mit Mißvergnu&#x0364;gen bemerkt.<lb/>
Dazu komt die Liebe zur Gema&#x0364;chlichkeit, welche<lb/>
allen Men&#x017F;chen gleichfals &#x017F;o natu&#x0364;rlich i&#x017F;t, und die<lb/>
da macht, daß man ungern durch andrer Wider-<lb/>
&#x017F;pruch &#x017F;ich gezwungen &#x017F;ieht, eine Sache, u&#x0364;ber die<lb/>
man &#x017F;chon ent&#x017F;chieden hatte, noch einmahl und<lb/>
zwar von mehreren Seiten in Erwa&#x0364;gung zu ziehn.<lb/>
Dazu komt denn endlich auch die empfindliche Ei-<lb/>
telkeit der Men&#x017F;chen, welche jeden Wider&#x017F;pruch<lb/>
als einen verwegenen Zweifel betrachtet, den man<lb/>
der Richtigkeit ihres Ver&#x017F;tandes und ihrer Ein&#x017F;ich-<lb/>
ten entgegen&#x017F;ezt. Wie &#x017F;olt&#x2019; es al&#x017F;o nicht unan-<lb/>
genehm &#x017F;ein, &#x017F;ich wider&#x017F;prochen zu &#x017F;ehen, da &#x017F;o<lb/>
viel reizbare Seiten des men&#x017F;chlichen Herzens da-<lb/>
durch zugleich verlezt werden?</p><lb/>
        <p>So oft du nun aber in die Nothwendigkeit<lb/>
gera&#x0364;th&#x017F;t, jemanden von einem Vor&#x017F;aze, von einem<lb/>
Urtheile, oder von einer Meinung ablenken zu<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: <hi rendition="#fr">&#x017F;o fange jedesmahl damit an, das<lb/>
Gute und Vernu&#x0364;nftige, was &#x017F;ich etwa darin<lb/>
denken la&#x0364;ßt, zu entwikkeln und zu loben,<lb/>
und nur dan er&#x017F;t, wan die Eitelkeit des<lb/>
Andern den &#x017F;u&#x0364;ßen Geruch die&#x017F;es Opfers</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">ein-</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0204] mung ihrer Thaͤtigkeit mit Mißvergnuͤgen bemerkt. Dazu komt die Liebe zur Gemaͤchlichkeit, welche allen Menſchen gleichfals ſo natuͤrlich iſt, und die da macht, daß man ungern durch andrer Wider- ſpruch ſich gezwungen ſieht, eine Sache, uͤber die man ſchon entſchieden hatte, noch einmahl und zwar von mehreren Seiten in Erwaͤgung zu ziehn. Dazu komt denn endlich auch die empfindliche Ei- telkeit der Menſchen, welche jeden Widerſpruch als einen verwegenen Zweifel betrachtet, den man der Richtigkeit ihres Verſtandes und ihrer Einſich- ten entgegenſezt. Wie ſolt’ es alſo nicht unan- genehm ſein, ſich widerſprochen zu ſehen, da ſo viel reizbare Seiten des menſchlichen Herzens da- durch zugleich verlezt werden? So oft du nun aber in die Nothwendigkeit geraͤthſt, jemanden von einem Vorſaze, von einem Urtheile, oder von einer Meinung ablenken zu muͤſſen: ſo fange jedesmahl damit an, das Gute und Vernuͤnftige, was ſich etwa darin denken laͤßt, zu entwikkeln und zu loben, und nur dan erſt, wan die Eitelkeit des Andern den ſuͤßen Geruch dieſes Opfers ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/204
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/204>, abgerufen am 27.11.2024.