mung ihrer Thätigkeit mit Mißvergnügen bemerkt. Dazu komt die Liebe zur Gemächlichkeit, welche allen Menschen gleichfals so natürlich ist, und die da macht, daß man ungern durch andrer Wider- spruch sich gezwungen sieht, eine Sache, über die man schon entschieden hatte, noch einmahl und zwar von mehreren Seiten in Erwägung zu ziehn. Dazu komt denn endlich auch die empfindliche Ei- telkeit der Menschen, welche jeden Widerspruch als einen verwegenen Zweifel betrachtet, den man der Richtigkeit ihres Verstandes und ihrer Einsich- ten entgegensezt. Wie solt' es also nicht unan- genehm sein, sich widersprochen zu sehen, da so viel reizbare Seiten des menschlichen Herzens da- durch zugleich verlezt werden?
So oft du nun aber in die Nothwendigkeit geräthst, jemanden von einem Vorsaze, von einem Urtheile, oder von einer Meinung ablenken zu müssen: so fange jedesmahl damit an, das Gute und Vernünftige, was sich etwa darin denken läßt, zu entwikkeln und zu loben, und nur dan erst, wan die Eitelkeit des Andern den süßen Geruch dieses Opfers
ein-
mung ihrer Thaͤtigkeit mit Mißvergnuͤgen bemerkt. Dazu komt die Liebe zur Gemaͤchlichkeit, welche allen Menſchen gleichfals ſo natuͤrlich iſt, und die da macht, daß man ungern durch andrer Wider- ſpruch ſich gezwungen ſieht, eine Sache, uͤber die man ſchon entſchieden hatte, noch einmahl und zwar von mehreren Seiten in Erwaͤgung zu ziehn. Dazu komt denn endlich auch die empfindliche Ei- telkeit der Menſchen, welche jeden Widerſpruch als einen verwegenen Zweifel betrachtet, den man der Richtigkeit ihres Verſtandes und ihrer Einſich- ten entgegenſezt. Wie ſolt’ es alſo nicht unan- genehm ſein, ſich widerſprochen zu ſehen, da ſo viel reizbare Seiten des menſchlichen Herzens da- durch zugleich verlezt werden?
So oft du nun aber in die Nothwendigkeit geraͤthſt, jemanden von einem Vorſaze, von einem Urtheile, oder von einer Meinung ablenken zu muͤſſen: ſo fange jedesmahl damit an, das Gute und Vernuͤnftige, was ſich etwa darin denken laͤßt, zu entwikkeln und zu loben, und nur dan erſt, wan die Eitelkeit des Andern den ſuͤßen Geruch dieſes Opfers
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mung ihrer Thaͤtigkeit mit Mißvergnuͤgen bemerkt.
Dazu komt die Liebe zur Gemaͤchlichkeit, welche
allen Menſchen gleichfals ſo natuͤrlich iſt, und die
da macht, daß man ungern durch andrer Wider-
ſpruch ſich gezwungen ſieht, eine Sache, uͤber die
man ſchon entſchieden hatte, noch einmahl und
zwar von mehreren Seiten in Erwaͤgung zu ziehn.
Dazu komt denn endlich auch die empfindliche Ei-
telkeit der Menſchen, welche jeden Widerſpruch
als einen verwegenen Zweifel betrachtet, den man
der Richtigkeit ihres Verſtandes und ihrer Einſich-
ten entgegenſezt. Wie ſolt’ es alſo nicht unan-
genehm ſein, ſich widerſprochen zu ſehen, da ſo
viel reizbare Seiten des menſchlichen Herzens da-
durch zugleich verlezt werden?
So oft du nun aber in die Nothwendigkeit
geraͤthſt, jemanden von einem Vorſaze, von einem
Urtheile, oder von einer Meinung ablenken zu
muͤſſen: ſo fange jedesmahl damit an, das
Gute und Vernuͤnftige, was ſich etwa darin
denken laͤßt, zu entwikkeln und zu loben,
und nur dan erſt, wan die Eitelkeit des
Andern den ſuͤßen Geruch dieſes Opfers
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/204>, abgerufen am 27.11.2024.
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