Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

sers Lebens, selbst unserer Freiheit, geltend zu
machen. Alsdan muß das große Beispiel des
Themistokles uns vor Augen stehen, der, wie
du weißt, durch nichts, sogar nicht durch den
aufgehobenen Stok des spartanischen Feldherrn,
sich abschrekken ließ, dasjenige zu behaupten, wo-
von er wußte, daß es seinem Vaterlande nüzlich
sein würde. Schlag zu, sagt' er, aber sprich,
daß ich Recht habe
!

Eben so kühn und entschlossen rede und handle
auch du, mein Sohn, so oft es darauf ankomt,
etwas durchzusezen, was das gemeine Beste er-
fodert, oder wozu Pflicht und Gewissen dich ein-
mahl aufgerufen haben. In allen andern Fällen
aber, welche nicht auf Thaten, sondern auf bloße
Rechthaberei hinauslaufen, sei du jedesmahl der
nachgebende Theil, und erlaube dir nie einen
Widerspruch, welcher Unwillen und Erbitterung
verursachen kan, gesezt, daß du deiner Sache auch
noch so gewiß wärest. Denn jeder Widerspruch
verursachet eine Stokkung in dem Ideenablaufe
desjenigen, den er trift, und es ist der Natur der
menschlichen Sele angemessen, daß sie jede Hem-

mung

ſers Lebens, ſelbſt unſerer Freiheit, geltend zu
machen. Alsdan muß das große Beiſpiel des
Themiſtokles uns vor Augen ſtehen, der, wie
du weißt, durch nichts, ſogar nicht durch den
aufgehobenen Stok des ſpartaniſchen Feldherrn,
ſich abſchrekken ließ, dasjenige zu behaupten, wo-
von er wußte, daß es ſeinem Vaterlande nuͤzlich
ſein wuͤrde. Schlag zu, ſagt’ er, aber ſprich,
daß ich Recht habe
!

Eben ſo kuͤhn und entſchloſſen rede und handle
auch du, mein Sohn, ſo oft es darauf ankomt,
etwas durchzuſezen, was das gemeine Beſte er-
fodert, oder wozu Pflicht und Gewiſſen dich ein-
mahl aufgerufen haben. In allen andern Faͤllen
aber, welche nicht auf Thaten, ſondern auf bloße
Rechthaberei hinauslaufen, ſei du jedesmahl der
nachgebende Theil, und erlaube dir nie einen
Widerſpruch, welcher Unwillen und Erbitterung
verurſachen kan, geſezt, daß du deiner Sache auch
noch ſo gewiß waͤreſt. Denn jeder Widerſpruch
verurſachet eine Stokkung in dem Ideenablaufe
desjenigen, den er trift, und es iſt der Natur der
menſchlichen Sele angemeſſen, daß ſie jede Hem-

mung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0203" n="173"/>
&#x017F;ers Lebens, &#x017F;elb&#x017F;t un&#x017F;erer Freiheit, geltend zu<lb/>
machen. Alsdan muß das große Bei&#x017F;piel des<lb/><hi rendition="#fr">Themi&#x017F;tokles</hi> uns vor Augen &#x017F;tehen, der, wie<lb/>
du weißt, durch nichts, &#x017F;ogar nicht durch den<lb/>
aufgehobenen Stok des &#x017F;partani&#x017F;chen Feldherrn,<lb/>
&#x017F;ich ab&#x017F;chrekken ließ, dasjenige zu behaupten, wo-<lb/>
von er wußte, daß es &#x017F;einem Vaterlande nu&#x0364;zlich<lb/>
&#x017F;ein wu&#x0364;rde. <hi rendition="#fr">Schlag zu</hi>, &#x017F;agt&#x2019; er, <hi rendition="#fr">aber &#x017F;prich,<lb/>
daß ich Recht habe</hi>!</p><lb/>
        <p>Eben &#x017F;o ku&#x0364;hn und ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en rede und handle<lb/>
auch du, mein Sohn, &#x017F;o oft es darauf ankomt,<lb/>
etwas durchzu&#x017F;ezen, was das gemeine Be&#x017F;te er-<lb/>
fodert, oder wozu Pflicht und Gewi&#x017F;&#x017F;en dich ein-<lb/>
mahl aufgerufen haben. In allen andern Fa&#x0364;llen<lb/>
aber, welche nicht auf Thaten, &#x017F;ondern auf bloße<lb/>
Rechthaberei hinauslaufen, &#x017F;ei du jedesmahl der<lb/>
nachgebende Theil, und erlaube dir nie einen<lb/>
Wider&#x017F;pruch, welcher Unwillen und Erbitterung<lb/>
verur&#x017F;achen kan, ge&#x017F;ezt, daß du deiner Sache auch<lb/>
noch &#x017F;o gewiß wa&#x0364;re&#x017F;t. Denn jeder Wider&#x017F;pruch<lb/>
verur&#x017F;achet eine Stokkung in dem Ideenablaufe<lb/>
desjenigen, den er trift, und es i&#x017F;t der Natur der<lb/>
men&#x017F;chlichen Sele angeme&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie jede Hem-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mung</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0203] ſers Lebens, ſelbſt unſerer Freiheit, geltend zu machen. Alsdan muß das große Beiſpiel des Themiſtokles uns vor Augen ſtehen, der, wie du weißt, durch nichts, ſogar nicht durch den aufgehobenen Stok des ſpartaniſchen Feldherrn, ſich abſchrekken ließ, dasjenige zu behaupten, wo- von er wußte, daß es ſeinem Vaterlande nuͤzlich ſein wuͤrde. Schlag zu, ſagt’ er, aber ſprich, daß ich Recht habe! Eben ſo kuͤhn und entſchloſſen rede und handle auch du, mein Sohn, ſo oft es darauf ankomt, etwas durchzuſezen, was das gemeine Beſte er- fodert, oder wozu Pflicht und Gewiſſen dich ein- mahl aufgerufen haben. In allen andern Faͤllen aber, welche nicht auf Thaten, ſondern auf bloße Rechthaberei hinauslaufen, ſei du jedesmahl der nachgebende Theil, und erlaube dir nie einen Widerſpruch, welcher Unwillen und Erbitterung verurſachen kan, geſezt, daß du deiner Sache auch noch ſo gewiß waͤreſt. Denn jeder Widerſpruch verurſachet eine Stokkung in dem Ideenablaufe desjenigen, den er trift, und es iſt der Natur der menſchlichen Sele angemeſſen, daß ſie jede Hem- mung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/203
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/203>, abgerufen am 19.05.2024.