Leben selbst -- pflegen dieser alwirksamen Trieb- feder menschlicher Handlungen untergeordnet zu sein. Denn wo ist das Opfer, es sei so groß und so beschwerlich, als es nur immer wolle, wel- ches man diesem Gözen zu bringen noch wohl Bedenken trüge? Geld und Gut? Man sei auch noch so begierig darnach, so bald die Eitelkeit es heischt, wird sich keiner weigern, es mit vollen Händen auszuwerfen. Gemächlichkeit und Wohl- behagen? Eine Mode, welche für schön gehal- ten wird, sei auch noch so beschwerlich, sei auch noch so peinigend; die Eitelkeit verlangt Unter- werfung, und man unterwirft sich ohne Murren. Gesundheit und Leben? Sie sind uns theuer; aber zehnmahl theurer noch ist uns die angaffende Bewunderung der Menschen, und wir sind daher bereit, auch von diesen, alles andere überwie- genden Gütern, so viel zu verschwenden, als die Eitelkeit durch ihr jedesmaliges despotisches Mo- degesez von uns verlanget. Dis ist der Heroismus unserer Zeiten! Was der Spartaner und Römer ihrem Vaterlande, was die Weisen des Alterthums ihrer Jugend aufopferten, das legen wir, mit
eben
Leben ſelbſt — pflegen dieſer alwirkſamen Trieb- feder menſchlicher Handlungen untergeordnet zu ſein. Denn wo iſt das Opfer, es ſei ſo groß und ſo beſchwerlich, als es nur immer wolle, wel- ches man dieſem Goͤzen zu bringen noch wohl Bedenken truͤge? Geld und Gut? Man ſei auch noch ſo begierig darnach, ſo bald die Eitelkeit es heiſcht, wird ſich keiner weigern, es mit vollen Haͤnden auszuwerfen. Gemaͤchlichkeit und Wohl- behagen? Eine Mode, welche fuͤr ſchoͤn gehal- ten wird, ſei auch noch ſo beſchwerlich, ſei auch noch ſo peinigend; die Eitelkeit verlangt Unter- werfung, und man unterwirft ſich ohne Murren. Geſundheit und Leben? Sie ſind uns theuer; aber zehnmahl theurer noch iſt uns die angaffende Bewunderung der Menſchen, und wir ſind daher bereit, auch von dieſen, alles andere uͤberwie- genden Guͤtern, ſo viel zu verſchwenden, als die Eitelkeit durch ihr jedesmaliges despotiſches Mo- degeſez von uns verlanget. Dis iſt der Heroismus unſerer Zeiten! Was der Spartaner und Roͤmer ihrem Vaterlande, was die Weiſen des Alterthums ihrer Jugend aufopferten, das legen wir, mit
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Leben ſelbſt — pflegen dieſer alwirkſamen Trieb-
feder menſchlicher Handlungen untergeordnet zu
ſein. Denn wo iſt das Opfer, es ſei ſo groß
und ſo beſchwerlich, als es nur immer wolle, wel-
ches man dieſem Goͤzen zu bringen noch wohl
Bedenken truͤge? Geld und Gut? Man ſei auch
noch ſo begierig darnach, ſo bald die Eitelkeit es
heiſcht, wird ſich keiner weigern, es mit vollen
Haͤnden auszuwerfen. Gemaͤchlichkeit und Wohl-
behagen? Eine Mode, welche fuͤr ſchoͤn gehal-
ten wird, ſei auch noch ſo beſchwerlich, ſei auch
noch ſo peinigend; die Eitelkeit verlangt Unter-
werfung, und man unterwirft ſich ohne Murren.
Geſundheit und Leben? Sie ſind uns theuer;
aber zehnmahl theurer noch iſt uns die angaffende
Bewunderung der Menſchen, und wir ſind daher
bereit, auch von dieſen, alles andere uͤberwie-
genden Guͤtern, ſo viel zu verſchwenden, als die
Eitelkeit durch ihr jedesmaliges despotiſches Mo-
degeſez von uns verlanget. Dis iſt der Heroismus
unſerer Zeiten! Was der Spartaner und Roͤmer
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/160>, abgerufen am 25.11.2024.
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