Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstlich mußt du wissen, daß ich das Bild,
welches ich jezt darstellen wil, nicht nach Origina-
len aus der niedrigen, das heißt, der bessern
Klasse der Menschen, sondern nach solchen machen
werde, welche zu den gesitteten, das heißt, ver-
feinerten
und zugleich verderbteren Ständen
gehören. Hüte dich also, daß du nicht auf den
ganzen Stam und auf alle Aeste deutest, was nur
von einigen durch Kunst verwahrloseten Zweigen
gesagt werden sol!

Zweitens: ich selbst habe, Gott sei Dank!
mehr, als einen guten Menschen, auch in diesen
verderbteren Ständen, gekant und geliebt, dessen
moralische Phisiognomie von den meisten Zügen
meines Bildes eine liebenswürdige Ausnahme
machte. Hüte dich also, daß du nicht an der
Möglichkeit verzweifelst, auch unter denen, mit
welchen die götliche Vorsehung dich in Verbindung
bringen wird, je zuweilen eine ähnliche Ausnahme
zu finden!

Drittens: ohngeachtet bei weitem die mei-
sten Menschen aus diesen sogenanten gesitteten
Ständen die meisten Züge meines Bildes an sich

tragen:
G 4

Erſtlich mußt du wiſſen, daß ich das Bild,
welches ich jezt darſtellen wil, nicht nach Origina-
len aus der niedrigen, das heißt, der beſſern
Klaſſe der Menſchen, ſondern nach ſolchen machen
werde, welche zu den geſitteten, das heißt, ver-
feinerten
und zugleich verderbteren Staͤnden
gehoͤren. Huͤte dich alſo, daß du nicht auf den
ganzen Stam und auf alle Aeſte deuteſt, was nur
von einigen durch Kunſt verwahrloſeten Zweigen
geſagt werden ſol!

Zweitens: ich ſelbſt habe, Gott ſei Dank!
mehr, als einen guten Menſchen, auch in dieſen
verderbteren Staͤnden, gekant und geliebt, deſſen
moraliſche Phiſiognomie von den meiſten Zuͤgen
meines Bildes eine liebenswuͤrdige Ausnahme
machte. Huͤte dich alſo, daß du nicht an der
Moͤglichkeit verzweifelſt, auch unter denen, mit
welchen die goͤtliche Vorſehung dich in Verbindung
bringen wird, je zuweilen eine aͤhnliche Ausnahme
zu finden!

Drittens: ohngeachtet bei weitem die mei-
ſten Menſchen aus dieſen ſogenanten geſitteten
Staͤnden die meiſten Zuͤge meines Bildes an ſich

tragen:
G 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0133" n="103"/>
        <p><hi rendition="#fr">Er&#x017F;tlich</hi> mußt du wi&#x017F;&#x017F;en, daß ich das Bild,<lb/>
welches ich jezt dar&#x017F;tellen wil, nicht nach Origina-<lb/>
len aus der niedrigen, das heißt, der <hi rendition="#fr">be&#x017F;&#x017F;ern</hi><lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;e der Men&#x017F;chen, &#x017F;ondern nach &#x017F;olchen machen<lb/>
werde, welche zu den ge&#x017F;itteten, das heißt, <hi rendition="#fr">ver-<lb/>
feinerten</hi> und zugleich <hi rendition="#fr">verderbteren</hi> Sta&#x0364;nden<lb/>
geho&#x0364;ren. Hu&#x0364;te dich al&#x017F;o, daß du nicht auf den<lb/>
ganzen Stam und auf alle Ae&#x017F;te deute&#x017F;t, was nur<lb/>
von einigen durch Kun&#x017F;t verwahrlo&#x017F;eten Zweigen<lb/>
ge&#x017F;agt werden &#x017F;ol!</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Zweitens</hi>: ich &#x017F;elb&#x017F;t habe, Gott &#x017F;ei Dank!<lb/>
mehr, als einen guten Men&#x017F;chen, auch in die&#x017F;en<lb/>
verderbteren Sta&#x0364;nden, gekant und geliebt, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
morali&#x017F;che Phi&#x017F;iognomie von den mei&#x017F;ten Zu&#x0364;gen<lb/>
meines Bildes eine liebenswu&#x0364;rdige Ausnahme<lb/>
machte. Hu&#x0364;te dich al&#x017F;o, daß du nicht an der<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit verzweifel&#x017F;t, auch unter denen, mit<lb/>
welchen die go&#x0364;tliche Vor&#x017F;ehung dich in Verbindung<lb/>
bringen wird, je zuweilen eine a&#x0364;hnliche Ausnahme<lb/>
zu finden!</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Drittens</hi>: ohngeachtet bei weitem die mei-<lb/>
&#x017F;ten Men&#x017F;chen aus die&#x017F;en &#x017F;ogenanten ge&#x017F;itteten<lb/>
Sta&#x0364;nden die mei&#x017F;ten Zu&#x0364;ge meines Bildes an &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 4</fw><fw place="bottom" type="catch">tragen:</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0133] Erſtlich mußt du wiſſen, daß ich das Bild, welches ich jezt darſtellen wil, nicht nach Origina- len aus der niedrigen, das heißt, der beſſern Klaſſe der Menſchen, ſondern nach ſolchen machen werde, welche zu den geſitteten, das heißt, ver- feinerten und zugleich verderbteren Staͤnden gehoͤren. Huͤte dich alſo, daß du nicht auf den ganzen Stam und auf alle Aeſte deuteſt, was nur von einigen durch Kunſt verwahrloſeten Zweigen geſagt werden ſol! Zweitens: ich ſelbſt habe, Gott ſei Dank! mehr, als einen guten Menſchen, auch in dieſen verderbteren Staͤnden, gekant und geliebt, deſſen moraliſche Phiſiognomie von den meiſten Zuͤgen meines Bildes eine liebenswuͤrdige Ausnahme machte. Huͤte dich alſo, daß du nicht an der Moͤglichkeit verzweifelſt, auch unter denen, mit welchen die goͤtliche Vorſehung dich in Verbindung bringen wird, je zuweilen eine aͤhnliche Ausnahme zu finden! Drittens: ohngeachtet bei weitem die mei- ſten Menſchen aus dieſen ſogenanten geſitteten Staͤnden die meiſten Zuͤge meines Bildes an ſich tragen: G 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/133
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/133>, abgerufen am 19.05.2024.