ihrer ganzen erheiternden Kraft auf meine Nerven fließe: denn, was ich nun dir noch zu sagen habe, betrift die Menschen, mit denen du künftig leben wirst; und ach, mein Sohn! es ist so schwer, von ihnen zu reden, ohne bitter zu werden! Der Man von gutem Herzen, der sie kent, solte nie anders, als in freier Luft, bei ofnen Fenstern wenigstens, sie zu schildern wagen.
Kleon öfnete die Fenster, und Theophron fuhr mit heiterer Miene fort:
Von Natur, mein Sohn, sind die Men- schen fürwahr! ein gutartiges Geschlecht. Wären sie das nicht, und hätten diejenigen, welche uns die Menschheit, so wie sie noch jezt aus den Händen ihres Schöpfers komt, mit so traurigen und gehässigen Farben schildern, recht gesehn: wie wär' es doch möglich, daß bei so vielen geselschaft- lichen Einrichtungen, welche gradezu darauf ab- zielen, uns zu verschlimmern, von guten Menschen noch gehört würde, halbgute Menschen wirklich so häufig noch zu finden wären? Dis allein, daß die Menschen noch nicht alle Teufel sind, welche leiden und Leiden machen, da in kultivierten Staa-
ten
ihrer ganzen erheiternden Kraft auf meine Nerven fließe: denn, was ich nun dir noch zu ſagen habe, betrift die Menſchen, mit denen du kuͤnftig leben wirſt; und ach, mein Sohn! es iſt ſo ſchwer, von ihnen zu reden, ohne bitter zu werden! Der Man von gutem Herzen, der ſie kent, ſolte nie anders, als in freier Luft, bei ofnen Fenſtern wenigſtens, ſie zu ſchildern wagen.
Kleon oͤfnete die Fenſter, und Theophron fuhr mit heiterer Miene fort:
Von Natur, mein Sohn, ſind die Men- ſchen fuͤrwahr! ein gutartiges Geſchlecht. Waͤren ſie das nicht, und haͤtten diejenigen, welche uns die Menſchheit, ſo wie ſie noch jezt aus den Haͤnden ihres Schoͤpfers komt, mit ſo traurigen und gehaͤſſigen Farben ſchildern, recht geſehn: wie waͤr’ es doch moͤglich, daß bei ſo vielen geſelſchaft- lichen Einrichtungen, welche gradezu darauf ab- zielen, uns zu verſchlimmern, von guten Menſchen noch gehoͤrt wuͤrde, halbgute Menſchen wirklich ſo haͤufig noch zu finden waͤren? Dis allein, daß die Menſchen noch nicht alle Teufel ſind, welche leiden und Leiden machen, da in kultivierten Staa-
ten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0123"n="93"/>
ihrer ganzen erheiternden Kraft auf meine Nerven<lb/>
fließe: denn, was ich nun dir noch zu ſagen habe,<lb/>
betrift die <hirendition="#fr">Menſchen</hi>, mit denen du kuͤnftig leben<lb/>
wirſt; und ach, mein Sohn! es iſt ſo ſchwer, von<lb/>
ihnen zu reden, ohne bitter zu werden! Der Man<lb/>
von gutem Herzen, der ſie kent, ſolte nie anders,<lb/>
als in freier Luft, bei ofnen Fenſtern wenigſtens,<lb/>ſie zu ſchildern wagen.</p><lb/><p>Kleon oͤfnete die Fenſter, und Theophron<lb/>
fuhr mit heiterer Miene fort:</p><lb/><p><hirendition="#fr">Von Natur</hi>, mein Sohn, <hirendition="#fr">ſind die Men-<lb/>ſchen fuͤrwahr! ein gutartiges Geſchlecht</hi>.<lb/>
Waͤren ſie das nicht, und haͤtten diejenigen, welche<lb/>
uns die Menſchheit, ſo wie ſie noch jezt aus den<lb/>
Haͤnden ihres Schoͤpfers komt, mit ſo traurigen<lb/>
und gehaͤſſigen Farben ſchildern, recht geſehn: wie<lb/>
waͤr’ es doch moͤglich, daß bei ſo vielen geſelſchaft-<lb/>
lichen Einrichtungen, welche gradezu darauf ab-<lb/>
zielen, uns zu verſchlimmern, von guten Menſchen<lb/>
noch gehoͤrt wuͤrde, halbgute Menſchen wirklich ſo<lb/><choice><sic>haͤnfig</sic><corr>haͤufig</corr></choice> noch zu finden waͤren? Dis allein, daß<lb/>
die Menſchen noch nicht alle Teufel ſind, welche<lb/>
leiden und Leiden machen, da in kultivierten Staa-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ten</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[93/0123]
ihrer ganzen erheiternden Kraft auf meine Nerven
fließe: denn, was ich nun dir noch zu ſagen habe,
betrift die Menſchen, mit denen du kuͤnftig leben
wirſt; und ach, mein Sohn! es iſt ſo ſchwer, von
ihnen zu reden, ohne bitter zu werden! Der Man
von gutem Herzen, der ſie kent, ſolte nie anders,
als in freier Luft, bei ofnen Fenſtern wenigſtens,
ſie zu ſchildern wagen.
Kleon oͤfnete die Fenſter, und Theophron
fuhr mit heiterer Miene fort:
Von Natur, mein Sohn, ſind die Men-
ſchen fuͤrwahr! ein gutartiges Geſchlecht.
Waͤren ſie das nicht, und haͤtten diejenigen, welche
uns die Menſchheit, ſo wie ſie noch jezt aus den
Haͤnden ihres Schoͤpfers komt, mit ſo traurigen
und gehaͤſſigen Farben ſchildern, recht geſehn: wie
waͤr’ es doch moͤglich, daß bei ſo vielen geſelſchaft-
lichen Einrichtungen, welche gradezu darauf ab-
zielen, uns zu verſchlimmern, von guten Menſchen
noch gehoͤrt wuͤrde, halbgute Menſchen wirklich ſo
haͤufig noch zu finden waͤren? Dis allein, daß
die Menſchen noch nicht alle Teufel ſind, welche
leiden und Leiden machen, da in kultivierten Staa-
ten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/123>, abgerufen am 18.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.