Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916].als Negativ zurück, und dem Hörer erscheint das richtige Insoweit der Geschmack an dem Gefühle teilhat, ändert So war mit und nach Wagner eine schwelgerische Sinn- Die neueren Franzosen zeigen eine Umkehr: ihr Gefühl So bildet sich im Gefühl der "Stil", wenn der Geschmack Die "Apostel der Neunten Symphonie " ersannen in der Die Tiefe des Gefühls ist hingegen seelisch und der Natur als Negativ zurück, und dem Hörer erscheint das richtige Insoweit der Geschmack an dem Gefühle teilhat, ändert So war mit und nach Wagner eine schwelgerische Sinn- Die neueren Franzosen zeigen eine Umkehr: ihr Gefühl So bildet sich im Gefühl der „Stil“, wenn der Geschmack Die „Apostel der Neunten Symphonie “ ersannen in der Die Tiefe des Gefühls ist hingegen seelisch und der Natur <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0029" n="29"/> als Negativ zurück, und dem Hörer erscheint das richtige<lb/> Bild.</p><lb/> <p>Insoweit der Geschmack an dem Gefühle teilhat, ändert<lb/> dieses – wie alles – mit den Zeiten seine Ausdrucksformen.<lb/> Das heißt: eine oder die andere Seite des Gefühls wird<lb/> zu der einen oder der anderen Zeit bevorzugt, einseitig ge-<lb/> pflegt, besonders herausgekehrt.</p><lb/> <p>So war mit und nach <persName>Wagner</persName> eine schwelgerische Sinn-<lb/> lichkeit an die Reihe gekommen: die Form der „Steigerung“<lb/> im Affekt haben die Komponisten noch heute nicht über-<lb/> wunden. Jedem ruhigen Beginnen folgte ein rasches Auf-<lb/> wärtstreiben. Der darin unersättliche, aber nicht unerschöpf-<lb/> liche <persName>Wagner</persName> verfiel notgedrungen auf den Ausweg, nach<lb/> einem erreichten Höhepunkte wieder leise anzusetzen, um<lb/> sofort von neuem anzuwachsen.</p><lb/> <p>Die neueren Franzosen zeigen eine Umkehr: ihr Gefühl<lb/> ist eine reflexive Keuschheit, vielleicht mehr noch eine zurück-<lb/> gehaltene Sinnlichkeit: den bergigen aufsteigenden Pfaden<lb/><persName>Wagners</persName> sind monotone Ebenen von dämmernder Gleich-<lb/> mäßigkeit gefolgt.</p><lb/> <p>So bildet sich im Gefühl der „Stil“, wenn der Geschmack<lb/> es leitet.</p><lb/> <p>Die „Apostel der <title type="main">Neunten Symphonie</title> “ ersannen in der<lb/> Musik den Begriff der Tiefe. Er steht noch in vollem Werte,<lb/> zumal im germanischen Land. – Es gibt eine Tiefe des<lb/> Gefühls und eine Tiefe des Gedankens: – die letztere ist<lb/> literarisch und kann keine Anwendung auf Klänge haben.</p><lb/> <p>Die Tiefe des Gefühls ist hingegen seelisch und der Natur<lb/> der Musik durchaus zugehörig.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [29/0029]
als Negativ zurück, und dem Hörer erscheint das richtige
Bild.
Insoweit der Geschmack an dem Gefühle teilhat, ändert
dieses – wie alles – mit den Zeiten seine Ausdrucksformen.
Das heißt: eine oder die andere Seite des Gefühls wird
zu der einen oder der anderen Zeit bevorzugt, einseitig ge-
pflegt, besonders herausgekehrt.
So war mit und nach Wagner eine schwelgerische Sinn-
lichkeit an die Reihe gekommen: die Form der „Steigerung“
im Affekt haben die Komponisten noch heute nicht über-
wunden. Jedem ruhigen Beginnen folgte ein rasches Auf-
wärtstreiben. Der darin unersättliche, aber nicht unerschöpf-
liche Wagner verfiel notgedrungen auf den Ausweg, nach
einem erreichten Höhepunkte wieder leise anzusetzen, um
sofort von neuem anzuwachsen.
Die neueren Franzosen zeigen eine Umkehr: ihr Gefühl
ist eine reflexive Keuschheit, vielleicht mehr noch eine zurück-
gehaltene Sinnlichkeit: den bergigen aufsteigenden Pfaden
Wagners sind monotone Ebenen von dämmernder Gleich-
mäßigkeit gefolgt.
So bildet sich im Gefühl der „Stil“, wenn der Geschmack
es leitet.
Die „Apostel der Neunten Symphonie “ ersannen in der
Musik den Begriff der Tiefe. Er steht noch in vollem Werte,
zumal im germanischen Land. – Es gibt eine Tiefe des
Gefühls und eine Tiefe des Gedankens: – die letztere ist
literarisch und kann keine Anwendung auf Klänge haben.
Die Tiefe des Gefühls ist hingegen seelisch und der Natur
der Musik durchaus zugehörig.
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(2019-05-15T13:49:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Schaper, Maximilian Furthmüller, Theresa Menard, Vanda Hehr, Clemens Gubsch, Claudio Fuchs, Jupp Wegner, David Mews, Ullrich Scheideler: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2019-05-27T13:49:52Z)
Benjamin Fiechter: Konvertierung ins DTA-Basisformat
(2019-05-27T13:49:52Z)
Weitere Informationen:Textgrundlage von 1906 von Busoni hauptsächlich 1914 überarbeitet. Gedruckt 1916 in Altenburg; erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig als Nr. 202 der Insel-Bücherei. Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.busoni-nachlass.org/de/Projekt/E1000003.html, http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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