Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916].Selbst eine und dieselbe Pflanzengattung wächst an Aus- Das Klangmotiv des programmusikalischen Werkes Fürwahr, eine begrenzte, primitive Kunst! Gewiß gibt Selbst eine und dieselbe Pflanzengattung wächst an Aus- Das Klangmotiv des programmusikalischen Werkes Fürwahr, eine begrenzte, primitive Kunst! Gewiß gibt <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0014" n="14"/> <p>Selbst eine und dieselbe Pflanzengattung wächst an Aus-<lb/> dehnung, Gestalt und Kraft, in jedem Exemplar selbständig<lb/> geartet. So liegt in jedem Motiv schon seine vollgereifte<lb/> Form vorbestimmt; jedes einzelne muß sich anders entfalten,<lb/> doch jedes folgt darin der Notwendigkeit der ewigen Har-<lb/> monie. Diese Form bleibt unzerstörbar, doch niemals sich<lb/> gleich.</p><lb/> <p>Das Klangmotiv des programmusikalischen Werkes<lb/> birgt die nämlichen Bedingungen in sich; es muß aber –<lb/> schon bei seiner nächsten Entwicklungsphase – sich nicht<lb/> nach dem eigenen Gesetz, sondern nach dem des „Program-<lb/> mes“ formen, vielmehr „krümmen“. Dergestalt, gleich in<lb/> der ersten Bildung aus dem naturgesetzlichen Wege ge-<lb/> bracht, gelangt es schließlich zu einem ganz unerwarteten<lb/> Gipfel, wohin nicht seine Organisation, sondern das Pro-<lb/> gramm, die Handlung, die philosophische Idee vorsätzlich es<lb/> geführt.</p><lb/> <p>Fürwahr, eine begrenzte, primitive Kunst! Gewiß gibt<lb/> es nicht mißzudeutende, tonmalende Ausdrücke – (sie haben<lb/> die Veranlassung zu dem ganzen Prinzip gegeben) –, aber<lb/> es sind wenige und kleine Mittel, die einen ganz geringen<lb/> Teil der Tonkunst ausmachen. Das wahrnehmbarste von<lb/> ihnen, die Erniedrigung des Klanges zu Schall, bei Nach-<lb/> ahmung von Naturgeräuschen: das Rollen des Don-<lb/> ners, das Rauschen der Bäume und die Tierlaute; und<lb/> schon weniger wahrnehmbar, symbolisch, die dem Gesichts-<lb/> sinn entnommenen Nachbildungen, wie Blitzesleuchten,<lb/> Sprungbewegungen, Vogelflug; nur durch Übertragung<lb/> des reflektierenden Gehirns verständlich: das Trompeten-<lb/> signal als kriegerisches Symbol, die Schalmei als ländliches<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0014]
Selbst eine und dieselbe Pflanzengattung wächst an Aus-
dehnung, Gestalt und Kraft, in jedem Exemplar selbständig
geartet. So liegt in jedem Motiv schon seine vollgereifte
Form vorbestimmt; jedes einzelne muß sich anders entfalten,
doch jedes folgt darin der Notwendigkeit der ewigen Har-
monie. Diese Form bleibt unzerstörbar, doch niemals sich
gleich.
Das Klangmotiv des programmusikalischen Werkes
birgt die nämlichen Bedingungen in sich; es muß aber –
schon bei seiner nächsten Entwicklungsphase – sich nicht
nach dem eigenen Gesetz, sondern nach dem des „Program-
mes“ formen, vielmehr „krümmen“. Dergestalt, gleich in
der ersten Bildung aus dem naturgesetzlichen Wege ge-
bracht, gelangt es schließlich zu einem ganz unerwarteten
Gipfel, wohin nicht seine Organisation, sondern das Pro-
gramm, die Handlung, die philosophische Idee vorsätzlich es
geführt.
Fürwahr, eine begrenzte, primitive Kunst! Gewiß gibt
es nicht mißzudeutende, tonmalende Ausdrücke – (sie haben
die Veranlassung zu dem ganzen Prinzip gegeben) –, aber
es sind wenige und kleine Mittel, die einen ganz geringen
Teil der Tonkunst ausmachen. Das wahrnehmbarste von
ihnen, die Erniedrigung des Klanges zu Schall, bei Nach-
ahmung von Naturgeräuschen: das Rollen des Don-
ners, das Rauschen der Bäume und die Tierlaute; und
schon weniger wahrnehmbar, symbolisch, die dem Gesichts-
sinn entnommenen Nachbildungen, wie Blitzesleuchten,
Sprungbewegungen, Vogelflug; nur durch Übertragung
des reflektierenden Gehirns verständlich: das Trompeten-
signal als kriegerisches Symbol, die Schalmei als ländliches
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften, herausgegeben von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Humboldt-Universität zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2019-05-15T13:49:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Schaper, Maximilian Furthmüller, Theresa Menard, Vanda Hehr, Clemens Gubsch, Claudio Fuchs, Jupp Wegner, David Mews, Ullrich Scheideler: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2019-05-27T13:49:52Z)
Benjamin Fiechter: Konvertierung ins DTA-Basisformat
(2019-05-27T13:49:52Z)
Weitere Informationen:Textgrundlage von 1906 von Busoni hauptsächlich 1914 überarbeitet. Gedruckt 1916 in Altenburg; erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig als Nr. 202 der Insel-Bücherei. Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.busoni-nachlass.org/de/Projekt/E1000003.html, http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |