denkbar, das Nämliche mit vorsätzlichem und zugleich mit fahrlässigem Willen zu wollen. Aber wenn das Gewollte sich in einem weiteren, nicht gewollten, Umfang verwirklicht, so ist es nicht mehr das Nämliche. Es liegen vielmehr in diesem Falle zwei Objecte für den Willen und somit auch zwei verschiedene Willensbestimmungen vor -- eine vor- sätzliche, welche so weit reicht, als das Geschehene wirklich gewollt war, und eine fahrlässige, welche das über dieses Gewollte hinausreichende Mehr umfaßt. Hat dieses Mehr freilich keine selbstständige rechtliche Bedeutung, so kann es auch nicht als Concurrenzfall zum Gegenstand einer besonderen Bestrafung werden. Das ist der Fall, wenn noch ein zweites Gebäude abbrennt, obwohl nur eins hatte zerstört werden sollen. Jmmerhin aber beibt die mehrfache in der Handlung enthaltene Willensbestimmung -- die vorsätzliche und die culpose -- bestehen. Und sie würde sofort zur rechtlichen Geltung kommen, wenn das Gesetz, was ja nicht unmöglich wäre, seine Bestrafung der Brandstiftung nach der Größe des angerichteten Schadens abgestuft hätte. Nach dem Hessi- schen Strafgesetzbuch bildete der Betrag des Diebstahls von 15 Gulden die Grenze zwischen dem kleinen und einfachen Diebstahl, welcher letztere mit anderen, schwereren, Strafen bedroht war, als der erstere. Sollte nun Derjenige, welcher aus Jrrthum über 15 Gulden wegnimmt, während er unter 15 Gulden stehlen wollte, mit den schwereren Strafen des einfachen Diebstahls bestraft werden? Jn dem Beispiele Hälschners erscheint der Dolus des Diebes ausdrücklich auch auf das Mehr gerichtet. Entwendet aber ein sonst treues Dienstmädchen, dessen Aeltern auf 10 Gulden gepfändet sind, um denselben aus dringendster Noth zu helfen, eine Geldrolle, in welcher es gerade 10 Gulden in Sechskreuzerstücken ver- muthet, bei näherem Nachsehen finde es aber, daß es sich
denkbar, das Nämliche mit vorſätzlichem und zugleich mit fahrläſſigem Willen zu wollen. Aber wenn das Gewollte ſich in einem weiteren, nicht gewollten, Umfang verwirklicht, ſo iſt es nicht mehr das Nämliche. Es liegen vielmehr in dieſem Falle zwei Objecte für den Willen und ſomit auch zwei verſchiedene Willensbeſtimmungen vor — eine vor- ſätzliche, welche ſo weit reicht, als das Geſchehene wirklich gewollt war, und eine fahrläſſige, welche das über dieſes Gewollte hinausreichende Mehr umfaßt. Hat dieſes Mehr freilich keine ſelbſtſtändige rechtliche Bedeutung, ſo kann es auch nicht als Concurrenzfall zum Gegenſtand einer beſonderen Beſtrafung werden. Das iſt der Fall, wenn noch ein zweites Gebäude abbrennt, obwohl nur eins hatte zerſtört werden ſollen. Jmmerhin aber beibt die mehrfache in der Handlung enthaltene Willensbeſtimmung — die vorſätzliche und die culpoſe — beſtehen. Und ſie würde ſofort zur rechtlichen Geltung kommen, wenn das Geſetz, was ja nicht unmöglich wäre, ſeine Beſtrafung der Brandſtiftung nach der Größe des angerichteten Schadens abgeſtuft hätte. Nach dem Heſſi- ſchen Strafgeſetzbuch bildete der Betrag des Diebſtahls von 15 Gulden die Grenze zwiſchen dem kleinen und einfachen Diebſtahl, welcher letztere mit anderen, ſchwereren, Strafen bedroht war, als der erſtere. Sollte nun Derjenige, welcher aus Jrrthum über 15 Gulden wegnimmt, während er unter 15 Gulden ſtehlen wollte, mit den ſchwereren Strafen des einfachen Diebſtahls beſtraft werden? Jn dem Beiſpiele Hälſchners erſcheint der Dolus des Diebes ausdrücklich auch auf das Mehr gerichtet. Entwendet aber ein ſonſt treues Dienſtmädchen, deſſen Aeltern auf 10 Gulden gepfändet ſind, um denſelben aus dringendſter Noth zu helfen, eine Geldrolle, in welcher es gerade 10 Gulden in Sechskreuzerſtücken ver- muthet, bei näherem Nachſehen finde es aber, daß es ſich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0049"n="45"/>
denkbar, das Nämliche mit vorſätzlichem und zugleich mit<lb/>
fahrläſſigem Willen zu wollen. Aber wenn das Gewollte<lb/>ſich in einem weiteren, nicht gewollten, Umfang verwirklicht,<lb/>ſo iſt es nicht mehr das Nämliche. Es liegen vielmehr in<lb/>
dieſem Falle zwei Objecte für den Willen und ſomit auch<lb/>
zwei verſchiedene Willensbeſtimmungen vor — eine vor-<lb/>ſätzliche, welche ſo weit reicht, als das Geſchehene wirklich<lb/>
gewollt war, und eine fahrläſſige, welche das über dieſes<lb/>
Gewollte hinausreichende Mehr umfaßt. Hat dieſes Mehr<lb/>
freilich keine ſelbſtſtändige rechtliche Bedeutung, ſo kann es<lb/>
auch nicht als Concurrenzfall zum Gegenſtand einer beſonderen<lb/>
Beſtrafung werden. Das iſt der Fall, wenn noch ein zweites<lb/>
Gebäude abbrennt, obwohl nur eins hatte zerſtört werden<lb/>ſollen. Jmmerhin aber beibt die mehrfache in der Handlung<lb/>
enthaltene Willensbeſtimmung — die vorſätzliche und die<lb/>
culpoſe — beſtehen. Und ſie würde ſofort zur rechtlichen<lb/>
Geltung kommen, wenn das Geſetz, was ja nicht unmöglich<lb/>
wäre, ſeine Beſtrafung der Brandſtiftung nach der Größe<lb/>
des angerichteten Schadens abgeſtuft hätte. Nach dem Heſſi-<lb/>ſchen Strafgeſetzbuch bildete der Betrag des Diebſtahls von<lb/>
15 Gulden die Grenze zwiſchen dem kleinen und einfachen<lb/>
Diebſtahl, welcher letztere mit anderen, ſchwereren, Strafen<lb/>
bedroht war, als der erſtere. Sollte nun Derjenige, welcher<lb/>
aus Jrrthum über 15 Gulden wegnimmt, während er unter<lb/>
15 Gulden ſtehlen wollte, mit den ſchwereren Strafen des<lb/>
einfachen Diebſtahls beſtraft werden? Jn dem Beiſpiele<lb/>
Hälſchners erſcheint der Dolus des Diebes ausdrücklich auch<lb/>
auf das Mehr gerichtet. Entwendet aber ein ſonſt treues<lb/>
Dienſtmädchen, deſſen Aeltern auf 10 Gulden gepfändet ſind,<lb/>
um denſelben aus dringendſter Noth zu helfen, eine Geldrolle,<lb/>
in welcher es gerade 10 Gulden in Sechskreuzerſtücken ver-<lb/>
muthet, bei näherem Nachſehen finde es aber, daß es ſich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[45/0049]
denkbar, das Nämliche mit vorſätzlichem und zugleich mit
fahrläſſigem Willen zu wollen. Aber wenn das Gewollte
ſich in einem weiteren, nicht gewollten, Umfang verwirklicht,
ſo iſt es nicht mehr das Nämliche. Es liegen vielmehr in
dieſem Falle zwei Objecte für den Willen und ſomit auch
zwei verſchiedene Willensbeſtimmungen vor — eine vor-
ſätzliche, welche ſo weit reicht, als das Geſchehene wirklich
gewollt war, und eine fahrläſſige, welche das über dieſes
Gewollte hinausreichende Mehr umfaßt. Hat dieſes Mehr
freilich keine ſelbſtſtändige rechtliche Bedeutung, ſo kann es
auch nicht als Concurrenzfall zum Gegenſtand einer beſonderen
Beſtrafung werden. Das iſt der Fall, wenn noch ein zweites
Gebäude abbrennt, obwohl nur eins hatte zerſtört werden
ſollen. Jmmerhin aber beibt die mehrfache in der Handlung
enthaltene Willensbeſtimmung — die vorſätzliche und die
culpoſe — beſtehen. Und ſie würde ſofort zur rechtlichen
Geltung kommen, wenn das Geſetz, was ja nicht unmöglich
wäre, ſeine Beſtrafung der Brandſtiftung nach der Größe
des angerichteten Schadens abgeſtuft hätte. Nach dem Heſſi-
ſchen Strafgeſetzbuch bildete der Betrag des Diebſtahls von
15 Gulden die Grenze zwiſchen dem kleinen und einfachen
Diebſtahl, welcher letztere mit anderen, ſchwereren, Strafen
bedroht war, als der erſtere. Sollte nun Derjenige, welcher
aus Jrrthum über 15 Gulden wegnimmt, während er unter
15 Gulden ſtehlen wollte, mit den ſchwereren Strafen des
einfachen Diebſtahls beſtraft werden? Jn dem Beiſpiele
Hälſchners erſcheint der Dolus des Diebes ausdrücklich auch
auf das Mehr gerichtet. Entwendet aber ein ſonſt treues
Dienſtmädchen, deſſen Aeltern auf 10 Gulden gepfändet ſind,
um denſelben aus dringendſter Noth zu helfen, eine Geldrolle,
in welcher es gerade 10 Gulden in Sechskreuzerſtücken ver-
muthet, bei näherem Nachſehen finde es aber, daß es ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873/49>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.