Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

sich von diesem seinem Falle je wieder zu erheben. Diese Leidenschaft ist so gebieterisch, so despotisch, daß man den Betheurungen, die er für das Gegentheil aussprechen möchte, nicht wohl mehr Glauben schenken darf, selbst dann nicht, wenn seine neue Art zu leben seit langer Zeit zu seinen Gunsten zu reden scheint. Das kommt daher, der Säufer hat alle Achtung verloren; seine Lebensweise verräth ihn, wie er sich auch verstellen möge, dermaßen, daß die bürgerliche Gesellschaft ihn unwiderruflich aus ihrem Schoße verbannt hält.

"Sage mir, mit wem Du gern verkehrst," lautet das Sprichwort, "und ich werde Dir sagen, wer Du bist." Dieß ist so wahr, daß man, ohne fürchten zu müssen, sich zu täuschen, über die Moralität der Leute im Voraus aburtheilen darf, sobald man ihre Gewohnheit, in den Schenken umherzuliegen, kennt. Dort nämlich trifft man jene Individuen von beflecktem Rufe, die es sich angelegen sein lassen, unerfahrene Leute, welche ihren süßlichen Versprechungen zu widerstehen allzuschwach sind, an sich zu locken, um ihnen die Thaler, welche sie in deren Taschen wittern, im Spiele abzugewinnen. Dort auch begegnet man Individuen, welche entweder schon ruinirt sind oder es zu werden im Begriffe stehen, weil sie für ihre Angelegenheiten nie gehörig zu sorgen gewußt haben, und welche nun durch eine schimpfliche Industrie wieder zu erschnappen suchen, um was ihre Faulheit und ihr unordentliches Leben sie gebracht haben.

Eben daselbst halten sich auch jene saubern Allerweltschuldner auf, welche sich gar sehr hüten, ihren Gläubigern gerecht zu werden, weil sie stets der Hoffnung leben, derselben durch eine sociale Krisis in Bälde wohlfeilen Kaufes los und ledig zu werden. Diese Leute machen dort in den Wein- und Schnapsschenken ihre Geschäfte ab; für sie giebt es keine andere Möglichkeit, einen Handel abzuschließen, als an diesen Orten. Dort nur fädeln sie ihre Käufe und Verkäufe ein und aus. Auch sind sie, wenn man ihnen ihren beharrlichen Aufenthalt an diesen Orten zum Vorwurfe macht, sofort mit

sich von diesem seinem Falle je wieder zu erheben. Diese Leidenschaft ist so gebieterisch, so despotisch, daß man den Betheurungen, die er für das Gegentheil aussprechen möchte, nicht wohl mehr Glauben schenken darf, selbst dann nicht, wenn seine neue Art zu leben seit langer Zeit zu seinen Gunsten zu reden scheint. Das kommt daher, der Säufer hat alle Achtung verloren; seine Lebensweise verräth ihn, wie er sich auch verstellen möge, dermaßen, daß die bürgerliche Gesellschaft ihn unwiderruflich aus ihrem Schoße verbannt hält.

„Sage mir, mit wem Du gern verkehrst,“ lautet das Sprichwort, „und ich werde Dir sagen, wer Du bist.“ Dieß ist so wahr, daß man, ohne fürchten zu müssen, sich zu täuschen, über die Moralität der Leute im Voraus aburtheilen darf, sobald man ihre Gewohnheit, in den Schenken umherzuliegen, kennt. Dort nämlich trifft man jene Individuen von beflecktem Rufe, die es sich angelegen sein lassen, unerfahrene Leute, welche ihren süßlichen Versprechungen zu widerstehen allzuschwach sind, an sich zu locken, um ihnen die Thaler, welche sie in deren Taschen wittern, im Spiele abzugewinnen. Dort auch begegnet man Individuen, welche entweder schon ruinirt sind oder es zu werden im Begriffe stehen, weil sie für ihre Angelegenheiten nie gehörig zu sorgen gewußt haben, und welche nun durch eine schimpfliche Industrie wieder zu erschnappen suchen, um was ihre Faulheit und ihr unordentliches Leben sie gebracht haben.

Eben daselbst halten sich auch jene saubern Allerweltschuldner auf, welche sich gar sehr hüten, ihren Gläubigern gerecht zu werden, weil sie stets der Hoffnung leben, derselben durch eine sociale Krisis in Bälde wohlfeilen Kaufes los und ledig zu werden. Diese Leute machen dort in den Wein- und Schnapsschenken ihre Geschäfte ab; für sie giebt es keine andere Möglichkeit, einen Handel abzuschließen, als an diesen Orten. Dort nur fädeln sie ihre Käufe und Verkäufe ein und aus. Auch sind sie, wenn man ihnen ihren beharrlichen Aufenthalt an diesen Orten zum Vorwurfe macht, sofort mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0056" n="46"/>
sich von diesem seinem Falle je wieder zu                     erheben. Diese Leidenschaft ist so gebieterisch, so despotisch, daß man den                     Betheurungen, die er für das Gegentheil aussprechen möchte, nicht wohl mehr                     Glauben schenken darf, selbst dann nicht, wenn seine neue Art zu leben seit                     langer Zeit zu seinen Gunsten zu reden scheint. Das kommt daher, der Säufer hat                     alle Achtung verloren; seine Lebensweise verräth ihn, wie er sich auch                     verstellen möge, dermaßen, daß die bürgerliche Gesellschaft ihn unwiderruflich                     aus ihrem Schoße verbannt hält.</p>
        <p>&#x201E;Sage mir, mit wem Du gern verkehrst,&#x201C; lautet das Sprichwort, &#x201E;und ich werde Dir                     sagen, wer Du bist.&#x201C; Dieß ist so wahr, daß man, ohne fürchten zu müssen, sich zu                     täuschen, über die Moralität der Leute im Voraus aburtheilen darf, sobald man                     ihre Gewohnheit, in den Schenken umherzuliegen, kennt. Dort nämlich trifft man                     jene Individuen von beflecktem Rufe, die es sich angelegen sein lassen,                     unerfahrene Leute, welche ihren süßlichen <choice><sic>Versprechnugen</sic><corr>Versprechungen</corr></choice> zu widerstehen allzuschwach sind, an sich zu locken, um ihnen die                     Thaler, welche sie in deren Taschen wittern, im Spiele abzugewinnen. Dort auch                     begegnet man Individuen, welche entweder schon ruinirt sind oder es zu werden im                     Begriffe stehen, weil sie für ihre Angelegenheiten nie gehörig zu sorgen gewußt                     haben, und welche nun durch eine schimpfliche Industrie wieder zu erschnappen                     suchen, um was ihre Faulheit und ihr unordentliches Leben sie gebracht                     haben.</p>
        <p>Eben daselbst halten sich auch jene saubern Allerweltschuldner auf, welche sich                     gar sehr hüten, ihren Gläubigern gerecht zu werden, weil sie stets der Hoffnung                     leben, derselben durch eine sociale Krisis in Bälde wohlfeilen Kaufes los und                     ledig zu werden. Diese Leute machen dort in den Wein- und Schnapsschenken ihre                     Geschäfte ab; für sie giebt es keine andere Möglichkeit, einen Handel                     abzuschließen, als an diesen Orten. Dort nur fädeln sie ihre Käufe und Verkäufe                     ein und aus. Auch sind sie, wenn man ihnen ihren beharrlichen Aufenthalt an                     diesen Orten zum Vorwurfe macht, sofort mit
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0056] sich von diesem seinem Falle je wieder zu erheben. Diese Leidenschaft ist so gebieterisch, so despotisch, daß man den Betheurungen, die er für das Gegentheil aussprechen möchte, nicht wohl mehr Glauben schenken darf, selbst dann nicht, wenn seine neue Art zu leben seit langer Zeit zu seinen Gunsten zu reden scheint. Das kommt daher, der Säufer hat alle Achtung verloren; seine Lebensweise verräth ihn, wie er sich auch verstellen möge, dermaßen, daß die bürgerliche Gesellschaft ihn unwiderruflich aus ihrem Schoße verbannt hält. „Sage mir, mit wem Du gern verkehrst,“ lautet das Sprichwort, „und ich werde Dir sagen, wer Du bist.“ Dieß ist so wahr, daß man, ohne fürchten zu müssen, sich zu täuschen, über die Moralität der Leute im Voraus aburtheilen darf, sobald man ihre Gewohnheit, in den Schenken umherzuliegen, kennt. Dort nämlich trifft man jene Individuen von beflecktem Rufe, die es sich angelegen sein lassen, unerfahrene Leute, welche ihren süßlichen Versprechungen zu widerstehen allzuschwach sind, an sich zu locken, um ihnen die Thaler, welche sie in deren Taschen wittern, im Spiele abzugewinnen. Dort auch begegnet man Individuen, welche entweder schon ruinirt sind oder es zu werden im Begriffe stehen, weil sie für ihre Angelegenheiten nie gehörig zu sorgen gewußt haben, und welche nun durch eine schimpfliche Industrie wieder zu erschnappen suchen, um was ihre Faulheit und ihr unordentliches Leben sie gebracht haben. Eben daselbst halten sich auch jene saubern Allerweltschuldner auf, welche sich gar sehr hüten, ihren Gläubigern gerecht zu werden, weil sie stets der Hoffnung leben, derselben durch eine sociale Krisis in Bälde wohlfeilen Kaufes los und ledig zu werden. Diese Leute machen dort in den Wein- und Schnapsschenken ihre Geschäfte ab; für sie giebt es keine andere Möglichkeit, einen Handel abzuschließen, als an diesen Orten. Dort nur fädeln sie ihre Käufe und Verkäufe ein und aus. Auch sind sie, wenn man ihnen ihren beharrlichen Aufenthalt an diesen Orten zum Vorwurfe macht, sofort mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-01T10:28:26Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Benjamin Fiechter, Frank Wiegand: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-11-01T10:28:26Z)
Bayerische Staatsbibliothek München: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-11-01T10:28:26Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Die Transkription erfolgte nach den unter http://de.wikisource.org/wiki/Wikisource:Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855/56
Zitationshilfe: Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855/56>, abgerufen am 07.05.2024.