Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieser Grad von Trunksucht kommt am Häufigsten vor, eben weil man sein Bestehen oft gar nicht gewahr wird, und er ist es denn auch, welchen man in allen Ständen, namentlich in den arbeitenden Classen, vorzugsweise antrifft.

Den Trunkenbold vom ersten Grade erkennt man leicht an der rothen Färbung seines Antlitzes, das mitunter auch in der Nasen- und Stirngegend mit Rubinflecken besäet ist, an der lebhaften Wärme seiner Haut, an der Härte, Völle und Häufigkeit seines Pulses, an der etwas an Narrheit gränzenden Fröhlichkeit seines Characters, welche ihn zugleich auch zu Tollheiten und Zornausbrüchen verleitet. Sein Athem ist, während er spricht, heiß und von einem eigenthümlichen Geruche. Diese Unglücklichen fallen größtentheils einer unseligen Täuschung zum Opfer; weil sie nämlich die Folgen ihrer so traurigen Gewohnheit nicht unmittelbar an sich wahrnehmen, überreden sie sich, daß ihnen das Trinken ganz und gar nicht schade, ja sie leben, im Gegentheil, wegen der täuschenden, augenblicklichen Spannkraft, welche die alkoholhaltigen Getränke dem Nervensysteme verleihen, der Meinung, daß es ihnen als ihre Constitution stärkend von großem Nutzen sei. Aber ach! derjenige, welcher, seiner ganzen kräftigen Leibesbeschaffenheit nach, ein Achtziger zu werden versprach, wird von der Sichel des Todes schon im vierzigsten oder funfzigsten Jahre gemäht, während einem Anderen, der bei einem weniger robusten Körper seinen Lebensfaden doch bis zu funfzig oder sechszig Jahren auszuspinnen hätte hoffen können, derselbe schon mit dreißig oder vierzig Jahren abgeschnitten wird etc. Und der Eine wie der Andere können sich dann sogar noch glücklich schätzen, daß der Mißbrauch des Trinkens, indem er zu einer hitzigen Krankheit den Grund legte, sie nicht schon in einem minder vorgerückten Alter dahingerafft hat.

Zweiter Grad. Der erste Grad der Trunksucht führt, wenn nicht immer, doch mindestens sehr oft zu dem zweiten, und dieser ist eben nichts Anderes als der

Dieser Grad von Trunksucht kommt am Häufigsten vor, eben weil man sein Bestehen oft gar nicht gewahr wird, und er ist es denn auch, welchen man in allen Ständen, namentlich in den arbeitenden Classen, vorzugsweise antrifft.

Den Trunkenbold vom ersten Grade erkennt man leicht an der rothen Färbung seines Antlitzes, das mitunter auch in der Nasen- und Stirngegend mit Rubinflecken besäet ist, an der lebhaften Wärme seiner Haut, an der Härte, Völle und Häufigkeit seines Pulses, an der etwas an Narrheit gränzenden Fröhlichkeit seines Characters, welche ihn zugleich auch zu Tollheiten und Zornausbrüchen verleitet. Sein Athem ist, während er spricht, heiß und von einem eigenthümlichen Geruche. Diese Unglücklichen fallen größtentheils einer unseligen Täuschung zum Opfer; weil sie nämlich die Folgen ihrer so traurigen Gewohnheit nicht unmittelbar an sich wahrnehmen, überreden sie sich, daß ihnen das Trinken ganz und gar nicht schade, ja sie leben, im Gegentheil, wegen der täuschenden, augenblicklichen Spannkraft, welche die alkoholhaltigen Getränke dem Nervensysteme verleihen, der Meinung, daß es ihnen als ihre Constitution stärkend von großem Nutzen sei. Aber ach! derjenige, welcher, seiner ganzen kräftigen Leibesbeschaffenheit nach, ein Achtziger zu werden versprach, wird von der Sichel des Todes schon im vierzigsten oder funfzigsten Jahre gemäht, während einem Anderen, der bei einem weniger robusten Körper seinen Lebensfaden doch bis zu funfzig oder sechszig Jahren auszuspinnen hätte hoffen können, derselbe schon mit dreißig oder vierzig Jahren abgeschnitten wird etc. Und der Eine wie der Andere können sich dann sogar noch glücklich schätzen, daß der Mißbrauch des Trinkens, indem er zu einer hitzigen Krankheit den Grund legte, sie nicht schon in einem minder vorgerückten Alter dahingerafft hat.

Zweiter Grad. Der erste Grad der Trunksucht führt, wenn nicht immer, doch mindestens sehr oft zu dem zweiten, und dieser ist eben nichts Anderes als der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0023" n="13"/>
        <p> Dieser Grad von Trunksucht kommt am Häufigsten vor, eben weil man sein Bestehen                     oft gar nicht gewahr wird, und er ist es denn auch, welchen man in allen                     Ständen, namentlich in den arbeitenden Classen, vorzugsweise antrifft.</p>
        <p>Den Trunkenbold vom ersten Grade erkennt man leicht an der rothen Färbung seines                     Antlitzes, das mitunter auch in der Nasen- und Stirngegend mit Rubinflecken                     besäet ist, an der lebhaften Wärme seiner Haut, an der Härte, Völle und                     Häufigkeit seines Pulses, an der etwas an Narrheit gränzenden Fröhlichkeit                     seines Characters, welche ihn zugleich auch zu Tollheiten und Zornausbrüchen                     verleitet. Sein Athem ist, während er spricht, heiß und von einem                     eigenthümlichen Geruche. Diese Unglücklichen fallen größtentheils einer                     unseligen Täuschung zum Opfer; weil sie nämlich die Folgen ihrer so traurigen                     Gewohnheit nicht unmittelbar an sich wahrnehmen, überreden sie sich, daß ihnen                     das Trinken ganz und gar nicht schade, ja sie leben, im Gegentheil, wegen der                     täuschenden, augenblicklichen Spannkraft, welche die alkoholhaltigen Getränke                     dem Nervensysteme verleihen, der Meinung, daß es ihnen als ihre Constitution                     stärkend von großem Nutzen sei. Aber ach! derjenige, welcher, seiner ganzen                     kräftigen Leibesbeschaffenheit nach, ein Achtziger zu werden versprach, wird von                     der Sichel des Todes schon im vierzigsten oder funfzigsten Jahre gemäht, während                     einem Anderen, der bei einem weniger robusten Körper seinen Lebensfaden doch bis                     zu funfzig oder sechszig Jahren auszuspinnen hätte hoffen können, derselbe schon                     mit dreißig oder vierzig Jahren abgeschnitten wird etc. Und der Eine wie der                     Andere können sich dann sogar noch glücklich schätzen, daß der Mißbrauch des                     Trinkens, indem er zu einer hitzigen Krankheit den Grund legte, sie nicht schon                     in einem minder vorgerückten Alter dahingerafft hat.</p>
        <p><hi rendition="#g">Zweiter Grad</hi>. Der erste Grad der Trunksucht führt, wenn                     nicht immer, doch mindestens sehr oft zu dem zweiten, und dieser ist eben nichts                     Anderes als der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0023] Dieser Grad von Trunksucht kommt am Häufigsten vor, eben weil man sein Bestehen oft gar nicht gewahr wird, und er ist es denn auch, welchen man in allen Ständen, namentlich in den arbeitenden Classen, vorzugsweise antrifft. Den Trunkenbold vom ersten Grade erkennt man leicht an der rothen Färbung seines Antlitzes, das mitunter auch in der Nasen- und Stirngegend mit Rubinflecken besäet ist, an der lebhaften Wärme seiner Haut, an der Härte, Völle und Häufigkeit seines Pulses, an der etwas an Narrheit gränzenden Fröhlichkeit seines Characters, welche ihn zugleich auch zu Tollheiten und Zornausbrüchen verleitet. Sein Athem ist, während er spricht, heiß und von einem eigenthümlichen Geruche. Diese Unglücklichen fallen größtentheils einer unseligen Täuschung zum Opfer; weil sie nämlich die Folgen ihrer so traurigen Gewohnheit nicht unmittelbar an sich wahrnehmen, überreden sie sich, daß ihnen das Trinken ganz und gar nicht schade, ja sie leben, im Gegentheil, wegen der täuschenden, augenblicklichen Spannkraft, welche die alkoholhaltigen Getränke dem Nervensysteme verleihen, der Meinung, daß es ihnen als ihre Constitution stärkend von großem Nutzen sei. Aber ach! derjenige, welcher, seiner ganzen kräftigen Leibesbeschaffenheit nach, ein Achtziger zu werden versprach, wird von der Sichel des Todes schon im vierzigsten oder funfzigsten Jahre gemäht, während einem Anderen, der bei einem weniger robusten Körper seinen Lebensfaden doch bis zu funfzig oder sechszig Jahren auszuspinnen hätte hoffen können, derselbe schon mit dreißig oder vierzig Jahren abgeschnitten wird etc. Und der Eine wie der Andere können sich dann sogar noch glücklich schätzen, daß der Mißbrauch des Trinkens, indem er zu einer hitzigen Krankheit den Grund legte, sie nicht schon in einem minder vorgerückten Alter dahingerafft hat. Zweiter Grad. Der erste Grad der Trunksucht führt, wenn nicht immer, doch mindestens sehr oft zu dem zweiten, und dieser ist eben nichts Anderes als der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-01T10:28:26Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Benjamin Fiechter, Frank Wiegand: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-11-01T10:28:26Z)
Bayerische Staatsbibliothek München: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-11-01T10:28:26Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Die Transkription erfolgte nach den unter http://de.wikisource.org/wiki/Wikisource:Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855/23
Zitationshilfe: Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855/23>, abgerufen am 03.12.2024.