Vorposten des entfesselten Individualismus kennen lernten,6. Abschnitt. entwickelten in der Regel einen solchen Character, daß uns selbst ihre Religiosität, die bisweilen mit sehr bestimmten Ansprüchen auftritt, gleichgültig sein darf. In den Ruf von Atheisten gelangten sie etwa, wenn sie indifferent wa- ren und dabei ruchlose Reden gegen die Kirche führten; einen irgendwie speculativ begründeten Ueberzeugungsatheis- mus hat keiner aufgestellt, 1) noch aufzustellen wagen dür- fen. Wenn sie sich auf einen leitenden Gedanken besannen, so wird es am ehesten eine Art von oberflächlichem Ratio- nalismus gewesen sein, ein flüchtiger Niederschlag aus den vielen widersprechenden Ideen der Alten, womit sie sich be- schäftigen mußten, und aus der Verachtung der Kirche und ihrer Lehre. Dieser Art war wohl jenes Raisonnement, welches den Galeottus Martius 2) beinahe auf den Scheiter- haufen brachte, wenn ihn nicht sein früherer Schüler Papst Sixtus IV. eilends aus den Händen der Inquisition heraus- gerissen hätte. Galeotto hatte nämlich geschrieben: wer sich recht aufführe und nach dem innern, angeborenen Gesetz handle, aus welchem Volk er auch sei, der komme in den Himmel.
Betrachten wir beispielsweise das religiöse VerhaltenReligion des Codrus Urceus. eines der geringern aus der großen Schaar, des Codrus Urceus, 3) der erst Hauslehrer des letzten Ordelaffo, Fürsten von Forli, und dann lange Jahre Professor in Bologna gewesen ist. Ueber Hierarchie und Mönche bringt er die obligaten Lästerungen im vollsten Maß; sein Ton im All- gemeinen ist höchst frevelhaft, dazu erlaubt er sich eine be- ständige Einmischung seiner Person nebst Stadtgeschichten und Possen. Aber er kann auch erbaulich von dem wahren
1) Ueber Pomponazzo vgl. die Specialwerke, u. a. Ritter, Gesch. der Philosophie, Bd. IX.
2)Paul. Jovii Elogia lit.
3)Codri Urcei opera, vorn sein Leben von Bart. Bianchini, dann in seinen philologischen Vorlesungen p. 65. 151. 278 etc.
Vorpoſten des entfeſſelten Individualismus kennen lernten,6. Abſchnitt. entwickelten in der Regel einen ſolchen Character, daß uns ſelbſt ihre Religioſität, die bisweilen mit ſehr beſtimmten Anſprüchen auftritt, gleichgültig ſein darf. In den Ruf von Atheiſten gelangten ſie etwa, wenn ſie indifferent wa- ren und dabei ruchloſe Reden gegen die Kirche führten; einen irgendwie ſpeculativ begründeten Ueberzeugungsatheis- mus hat keiner aufgeſtellt, 1) noch aufzuſtellen wagen dür- fen. Wenn ſie ſich auf einen leitenden Gedanken beſannen, ſo wird es am eheſten eine Art von oberflächlichem Ratio- nalismus geweſen ſein, ein flüchtiger Niederſchlag aus den vielen widerſprechenden Ideen der Alten, womit ſie ſich be- ſchäftigen mußten, und aus der Verachtung der Kirche und ihrer Lehre. Dieſer Art war wohl jenes Raiſonnement, welches den Galeottus Martius 2) beinahe auf den Scheiter- haufen brachte, wenn ihn nicht ſein früherer Schüler Papſt Sixtus IV. eilends aus den Händen der Inquiſition heraus- geriſſen hätte. Galeotto hatte nämlich geſchrieben: wer ſich recht aufführe und nach dem innern, angeborenen Geſetz handle, aus welchem Volk er auch ſei, der komme in den Himmel.
Betrachten wir beiſpielsweiſe das religiöſe VerhaltenReligion des Codrus Urceus. eines der geringern aus der großen Schaar, des Codrus Urceus, 3) der erſt Hauslehrer des letzten Ordelaffo, Fürſten von Forli, und dann lange Jahre Profeſſor in Bologna geweſen iſt. Ueber Hierarchie und Mönche bringt er die obligaten Läſterungen im vollſten Maß; ſein Ton im All- gemeinen iſt höchſt frevelhaft, dazu erlaubt er ſich eine be- ſtändige Einmiſchung ſeiner Perſon nebſt Stadtgeſchichten und Poſſen. Aber er kann auch erbaulich von dem wahren
1) Ueber Pomponazzo vgl. die Specialwerke, u. a. Ritter, Geſch. der Philoſophie, Bd. IX.
2)Paul. Jovii Elogia lit.
3)Codri Urcei opera, vorn ſein Leben von Bart. Bianchini, dann in ſeinen philologiſchen Vorleſungen p. 65. 151. 278 etc.
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Vorpoſten des entfeſſelten Individualismus kennen lernten,
entwickelten in der Regel einen ſolchen Character, daß uns
ſelbſt ihre Religioſität, die bisweilen mit ſehr beſtimmten
Anſprüchen auftritt, gleichgültig ſein darf. In den Ruf
von Atheiſten gelangten ſie etwa, wenn ſie indifferent wa-
ren und dabei ruchloſe Reden gegen die Kirche führten;
einen irgendwie ſpeculativ begründeten Ueberzeugungsatheis-
mus hat keiner aufgeſtellt, 1) noch aufzuſtellen wagen dür-
fen. Wenn ſie ſich auf einen leitenden Gedanken beſannen,
ſo wird es am eheſten eine Art von oberflächlichem Ratio-
nalismus geweſen ſein, ein flüchtiger Niederſchlag aus den
vielen widerſprechenden Ideen der Alten, womit ſie ſich be-
ſchäftigen mußten, und aus der Verachtung der Kirche und
ihrer Lehre. Dieſer Art war wohl jenes Raiſonnement,
welches den Galeottus Martius 2) beinahe auf den Scheiter-
haufen brachte, wenn ihn nicht ſein früherer Schüler Papſt
Sixtus IV. eilends aus den Händen der Inquiſition heraus-
geriſſen hätte. Galeotto hatte nämlich geſchrieben: wer ſich
recht aufführe und nach dem innern, angeborenen Geſetz
handle, aus welchem Volk er auch ſei, der komme in den
Himmel.
6. Abſchnitt.
Betrachten wir beiſpielsweiſe das religiöſe Verhalten
eines der geringern aus der großen Schaar, des Codrus
Urceus, 3) der erſt Hauslehrer des letzten Ordelaffo, Fürſten
von Forli, und dann lange Jahre Profeſſor in Bologna
geweſen iſt. Ueber Hierarchie und Mönche bringt er die
obligaten Läſterungen im vollſten Maß; ſein Ton im All-
gemeinen iſt höchſt frevelhaft, dazu erlaubt er ſich eine be-
ſtändige Einmiſchung ſeiner Perſon nebſt Stadtgeſchichten
und Poſſen. Aber er kann auch erbaulich von dem wahren
Religion des
Codrus Urceus.
1) Ueber Pomponazzo vgl. die Specialwerke, u. a. Ritter, Geſch. der
Philoſophie, Bd. IX.
2) Paul. Jovii Elogia lit.
3) Codri Urcei opera, vorn ſein Leben von Bart. Bianchini, dann in
ſeinen philologiſchen Vorleſungen p. 65. 151. 278 etc.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/515>, abgerufen am 24.11.2024.
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