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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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nicht mehr und schon das spätere Alterthum hatte von seiner6. Abschnitt.
Lehre einen mehr oder weniger einseitigen Begriff; immerhin
aber genügte schon diejenige Gestalt des Epicureismus,
welche man aus Lucretius und ganz besonders aus Cicero
studiren konnte, um eine völlig entgötterte Welt kennen zu
lernen. Wie weit man die Doctrin buchstäblich faßte, und
ob nicht der Name des räthselhaften griechischen Weisen
ein bequemes Schlagwort für die Menge wurde, ist schwer
zu sagen; wahrscheinlich hat die dominicanische Inquisition
das Wort auch gegen solche gebraucht, welchen man sonst
auf keine andere Weise beikommen konnte. Es sind haupt-
sächlich frühentwickelte Verächter der Kirche, welche man
doch schwer wegen bestimmter ketzerischer Lehren und Aus-
sagen belangen konnte; ein mäßiger Grad von Wohlleben
mag dann genügt haben, um jene Anklage hervorzubringen.
In diesem conventionellen Sinne braucht z. B. Giovanni
Villani das Wort, wenn er 1) bereits die florentinischen
Feuersbrünste von 1115 und 1117 als göttliche Strafe für
die Ketzereien geltend macht, "unter andern wegen der lie-
derlichen und schwelgerischen Secte der Epicureer". Von
Manfred sagt er: "Sein Leben war epicureisch, indem er
nicht an Gott noch an die Heiligen und überhaupt nur an
leibliches Vergnügen glaubte".

Deutlicher redet Dante im neunten und zehnten Ge-Dante und die
Epicureer.

sang der Hölle. Das furchtbare, von Flammen durchzogene
Gräberfeld mit den halb offenen Sarkophagen, aus welchen
Töne des tiefsten Jammers hervordringen, beherbergt die
zwei großen Kategorien der von der Kirche im XIII. Jahr-
hundert Besiegten oder Ausgestoßenen. Die Einen waren
Ketzer und setzten sich der Kirche entgegen durch bestimmte
mit Absicht verbreitete Irrlehren; die Andern waren Epi-
cureer und ihre Sünde gegen die Kirche lag in einer all-
gemeinen Gesinnung, welche sich in dem Satze sammelt,

1) Gio. Villani III, 29. VI, 46. Der Name kommt auch im Norden
sehr früh vor, aber nur in conventionellem Sinn.

nicht mehr und ſchon das ſpätere Alterthum hatte von ſeiner6. Abſchnitt.
Lehre einen mehr oder weniger einſeitigen Begriff; immerhin
aber genügte ſchon diejenige Geſtalt des Epicureismus,
welche man aus Lucretius und ganz beſonders aus Cicero
ſtudiren konnte, um eine völlig entgötterte Welt kennen zu
lernen. Wie weit man die Doctrin buchſtäblich faßte, und
ob nicht der Name des räthſelhaften griechiſchen Weiſen
ein bequemes Schlagwort für die Menge wurde, iſt ſchwer
zu ſagen; wahrſcheinlich hat die dominicaniſche Inquiſition
das Wort auch gegen ſolche gebraucht, welchen man ſonſt
auf keine andere Weiſe beikommen konnte. Es ſind haupt-
ſächlich frühentwickelte Verächter der Kirche, welche man
doch ſchwer wegen beſtimmter ketzeriſcher Lehren und Aus-
ſagen belangen konnte; ein mäßiger Grad von Wohlleben
mag dann genügt haben, um jene Anklage hervorzubringen.
In dieſem conventionellen Sinne braucht z. B. Giovanni
Villani das Wort, wenn er 1) bereits die florentiniſchen
Feuersbrünſte von 1115 und 1117 als göttliche Strafe für
die Ketzereien geltend macht, „unter andern wegen der lie-
derlichen und ſchwelgeriſchen Secte der Epicureer“. Von
Manfred ſagt er: „Sein Leben war epicureiſch, indem er
nicht an Gott noch an die Heiligen und überhaupt nur an
leibliches Vergnügen glaubte“.

Deutlicher redet Dante im neunten und zehnten Ge-Dante und die
Epicureer.

ſang der Hölle. Das furchtbare, von Flammen durchzogene
Gräberfeld mit den halb offenen Sarkophagen, aus welchen
Töne des tiefſten Jammers hervordringen, beherbergt die
zwei großen Kategorien der von der Kirche im XIII. Jahr-
hundert Beſiegten oder Ausgeſtoßenen. Die Einen waren
Ketzer und ſetzten ſich der Kirche entgegen durch beſtimmte
mit Abſicht verbreitete Irrlehren; die Andern waren Epi-
cureer und ihre Sünde gegen die Kirche lag in einer all-
gemeinen Geſinnung, welche ſich in dem Satze ſammelt,

1) Gio. Villani III, 29. VI, 46. Der Name kommt auch im Norden
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[501/0511] nicht mehr und ſchon das ſpätere Alterthum hatte von ſeiner Lehre einen mehr oder weniger einſeitigen Begriff; immerhin aber genügte ſchon diejenige Geſtalt des Epicureismus, welche man aus Lucretius und ganz beſonders aus Cicero ſtudiren konnte, um eine völlig entgötterte Welt kennen zu lernen. Wie weit man die Doctrin buchſtäblich faßte, und ob nicht der Name des räthſelhaften griechiſchen Weiſen ein bequemes Schlagwort für die Menge wurde, iſt ſchwer zu ſagen; wahrſcheinlich hat die dominicaniſche Inquiſition das Wort auch gegen ſolche gebraucht, welchen man ſonſt auf keine andere Weiſe beikommen konnte. Es ſind haupt- ſächlich frühentwickelte Verächter der Kirche, welche man doch ſchwer wegen beſtimmter ketzeriſcher Lehren und Aus- ſagen belangen konnte; ein mäßiger Grad von Wohlleben mag dann genügt haben, um jene Anklage hervorzubringen. In dieſem conventionellen Sinne braucht z. B. Giovanni Villani das Wort, wenn er 1) bereits die florentiniſchen Feuersbrünſte von 1115 und 1117 als göttliche Strafe für die Ketzereien geltend macht, „unter andern wegen der lie- derlichen und ſchwelgeriſchen Secte der Epicureer“. Von Manfred ſagt er: „Sein Leben war epicureiſch, indem er nicht an Gott noch an die Heiligen und überhaupt nur an leibliches Vergnügen glaubte“. 6. Abſchnitt. Deutlicher redet Dante im neunten und zehnten Ge- ſang der Hölle. Das furchtbare, von Flammen durchzogene Gräberfeld mit den halb offenen Sarkophagen, aus welchen Töne des tiefſten Jammers hervordringen, beherbergt die zwei großen Kategorien der von der Kirche im XIII. Jahr- hundert Beſiegten oder Ausgeſtoßenen. Die Einen waren Ketzer und ſetzten ſich der Kirche entgegen durch beſtimmte mit Abſicht verbreitete Irrlehren; die Andern waren Epi- cureer und ihre Sünde gegen die Kirche lag in einer all- gemeinen Geſinnung, welche ſich in dem Satze ſammelt, Dante und die Epicureer. 1) Gio. Villani III, 29. VI, 46. Der Name kommt auch im Norden ſehr früh vor, aber nur in conventionellem Sinn.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/511>, abgerufen am 04.05.2024.