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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Da ferner die Italiener die ersten neuern Europäer6. Abschnitt.
waren, welche sich schrankenlos dem Nachdenken über Frei-Versuch einer
Synthese.

heit und Nothwendigkeit hingaben, da sie dieß thaten unter
gewaltsamen, rechtlosen politischen Verhältnissen, die oft
einem glänzenden und dauernden Siege des Bösen ähnlich
sahen, so wurde ihr Gottesbewußtsein schwankend, ihre
Weltanschauung theilweise fatalistisch. Und wenn ihre
Leidenschaftlichkeit bei dem Ungewissen nicht wollte stehen
bleiben, so nahmen Manche vorlieb mit einer Ergänzung
aus dem antiken, orientalischen und mittelalterlichen Aber-
glauben
; sie wurden Astrologen und Magier.

Endlich aber zeigen die geistig Mächtigen, die Träger
der Renaissance in religiöser Beziehung eine häufige Eigen-
schaft jugendlicher Naturen: sie unterscheiden recht scharf
zwischen gut und böse, aber sie kennen keine Sünde; jede
Störung der innern Harmonie getrauen sie sich vermöge
ihrer plastischen Kraft wiederherzustellen und kennen deßhalb
keine Reue; da verblaßt denn auch das Bedürfniß der Er-
lösung, während zugleich vor dem Ehrgeiz und der Geistes-
anstrengung des Tages der Gedanke an das Jenseits ent-
weder völlig verschwindet oder eine poetische Gestalt annimmt
statt der dogmatischen.

Denkt man sich dieses Alles vermittelt und theilweise
verwirrt durch die allherrschende Phantasie, so ergiebt
sich ein Geistesbild jener Zeit, das wenigstens der Wahrheit
näher kommt als bloße unbestimmte Klagen über mo-
dernes Heidenthum. Und bei näherm Forschen wird man
erst noch inne werden, daß unter der Hülle dieses Zustandes
ein starker Trieb echter Religiosität lebendig blieb.

Die nähere Ausführung des Gesagten muß sich hier
auf die wesentlichsten Belege beschränken.

Daß die Religion überhaupt wieder mehr Sache desSubjectivität
der Religion.

einzelnen Subjectes und seiner besondern Auffassung wurde,
war gegenüber der ausgearteten, tyrannisch behaupteten

Da ferner die Italiener die erſten neuern Europäer6. Abſchnitt.
waren, welche ſich ſchrankenlos dem Nachdenken über Frei-Verſuch einer
Syntheſe.

heit und Nothwendigkeit hingaben, da ſie dieß thaten unter
gewaltſamen, rechtloſen politiſchen Verhältniſſen, die oft
einem glänzenden und dauernden Siege des Böſen ähnlich
ſahen, ſo wurde ihr Gottesbewußtſein ſchwankend, ihre
Weltanſchauung theilweiſe fataliſtiſch. Und wenn ihre
Leidenſchaftlichkeit bei dem Ungewiſſen nicht wollte ſtehen
bleiben, ſo nahmen Manche vorlieb mit einer Ergänzung
aus dem antiken, orientaliſchen und mittelalterlichen Aber-
glauben
; ſie wurden Aſtrologen und Magier.

Endlich aber zeigen die geiſtig Mächtigen, die Träger
der Renaiſſance in religiöſer Beziehung eine häufige Eigen-
ſchaft jugendlicher Naturen: ſie unterſcheiden recht ſcharf
zwiſchen gut und böſe, aber ſie kennen keine Sünde; jede
Störung der innern Harmonie getrauen ſie ſich vermöge
ihrer plaſtiſchen Kraft wiederherzuſtellen und kennen deßhalb
keine Reue; da verblaßt denn auch das Bedürfniß der Er-
löſung, während zugleich vor dem Ehrgeiz und der Geiſtes-
anſtrengung des Tages der Gedanke an das Jenſeits ent-
weder völlig verſchwindet oder eine poetiſche Geſtalt annimmt
ſtatt der dogmatiſchen.

Denkt man ſich dieſes Alles vermittelt und theilweiſe
verwirrt durch die allherrſchende Phantaſie, ſo ergiebt
ſich ein Geiſtesbild jener Zeit, das wenigſtens der Wahrheit
näher kommt als bloße unbeſtimmte Klagen über mo-
dernes Heidenthum. Und bei näherm Forſchen wird man
erſt noch inne werden, daß unter der Hülle dieſes Zuſtandes
ein ſtarker Trieb echter Religioſität lebendig blieb.

Die nähere Ausführung des Geſagten muß ſich hier
auf die weſentlichſten Belege beſchränken.

Daß die Religion überhaupt wieder mehr Sache desSubjectivität
der Religion.

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war gegenüber der ausgearteten, tyranniſch behaupteten

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[495/0505] Da ferner die Italiener die erſten neuern Europäer waren, welche ſich ſchrankenlos dem Nachdenken über Frei- heit und Nothwendigkeit hingaben, da ſie dieß thaten unter gewaltſamen, rechtloſen politiſchen Verhältniſſen, die oft einem glänzenden und dauernden Siege des Böſen ähnlich ſahen, ſo wurde ihr Gottesbewußtſein ſchwankend, ihre Weltanſchauung theilweiſe fataliſtiſch. Und wenn ihre Leidenſchaftlichkeit bei dem Ungewiſſen nicht wollte ſtehen bleiben, ſo nahmen Manche vorlieb mit einer Ergänzung aus dem antiken, orientaliſchen und mittelalterlichen Aber- glauben; ſie wurden Aſtrologen und Magier. 6. Abſchnitt. Verſuch einer Syntheſe. Endlich aber zeigen die geiſtig Mächtigen, die Träger der Renaiſſance in religiöſer Beziehung eine häufige Eigen- ſchaft jugendlicher Naturen: ſie unterſcheiden recht ſcharf zwiſchen gut und böſe, aber ſie kennen keine Sünde; jede Störung der innern Harmonie getrauen ſie ſich vermöge ihrer plaſtiſchen Kraft wiederherzuſtellen und kennen deßhalb keine Reue; da verblaßt denn auch das Bedürfniß der Er- löſung, während zugleich vor dem Ehrgeiz und der Geiſtes- anſtrengung des Tages der Gedanke an das Jenſeits ent- weder völlig verſchwindet oder eine poetiſche Geſtalt annimmt ſtatt der dogmatiſchen. Denkt man ſich dieſes Alles vermittelt und theilweiſe verwirrt durch die allherrſchende Phantaſie, ſo ergiebt ſich ein Geiſtesbild jener Zeit, das wenigſtens der Wahrheit näher kommt als bloße unbeſtimmte Klagen über mo- dernes Heidenthum. Und bei näherm Forſchen wird man erſt noch inne werden, daß unter der Hülle dieſes Zuſtandes ein ſtarker Trieb echter Religioſität lebendig blieb. Die nähere Ausführung des Geſagten muß ſich hier auf die weſentlichſten Belege beſchränken. Daß die Religion überhaupt wieder mehr Sache des einzelnen Subjectes und ſeiner beſondern Auffaſſung wurde, war gegenüber der ausgearteten, tyranniſch behaupteten Subjectivität der Religion.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/505>, abgerufen am 24.11.2024.