Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

6. Abschnitt.und der Herzog selber führte sie bei der Ankunft in Ferrara
in ein bereitgehaltenes Kloster ein. Thun wir ihm Unrecht,
wenn wir in all diesen Dingen die stärkste politische Ab-
sichtlichkeit voraussetzen? Zu der Herrscheridee des Hauses
Este, wie sie oben (S. 46 u. ff.) nachgewiesen wurde,
gehört eine solche Mitbenützung und Dienstbarmachung des
Religiösen beinahe schon nach den Gesetzen der Logik.


Versuch einer
Synthese.
Um aber zu den entscheidenden Schlüssen über die Re-
ligiosität der Menschen der Renaissance zu gelangen, müssen
wir einen andern Weg einschlagen. Aus der geistigen Hal-
tung derselben überhaupt muß ihr Verhältniß sowohl zu
der bestehenden Landesreligion als zu der Idee des Gött-
lichen klar werden.

Diese modernen Menschen, die Träger der Bildung
des damaligen Italiens, sind religiös geboren wie die Abend-
länder des Mittelalters, aber ihr mächtiger Individualismus
macht sie darin wie in andern Dingen völlig subjectiv,
und die Fülle von Reiz, welche die Entdeckung der äußern
und der geistigen Welt auf sie ausübt, macht sie überhaupt
vorwiegend weltlich. Im übrigen Europa dagegen bleibt
die Religion noch länger ein objectiv Gegebenes und im
Leben wechselt Selbstsucht und Sinnengenuß unmittelbar
mit Andacht und Buße; letztere hat noch keine geistige
Concurrenz wie in Italien, oder doch eine unendlich geringere.

Ferner hatte von jeher der häufige und nahe Contact
mit Byzantinern und mit Mohammedanern eine neutrale
Toleranz aufrecht erhalten, vor welcher der ethnogra-
phische Begriff einer bevorrechteten abendländischen Christen-
heit einigermaßen zurücktrat. Und als vollends das classische
Alterthum mit seinen Menschen und Einrichtungen ein
Ideal des Lebens wurde, weil es die größte Erinnerung
Italiens war, da überwältigte die antike Speculation und
Skepsis bisweilen den Geist der Italiener vollständig.

6. Abſchnitt.und der Herzog ſelber führte ſie bei der Ankunft in Ferrara
in ein bereitgehaltenes Kloſter ein. Thun wir ihm Unrecht,
wenn wir in all dieſen Dingen die ſtärkſte politiſche Ab-
ſichtlichkeit vorausſetzen? Zu der Herrſcheridee des Hauſes
Eſte, wie ſie oben (S. 46 u. ff.) nachgewieſen wurde,
gehört eine ſolche Mitbenützung und Dienſtbarmachung des
Religiöſen beinahe ſchon nach den Geſetzen der Logik.


Verſuch einer
Syntheſe.
Um aber zu den entſcheidenden Schlüſſen über die Re-
ligioſität der Menſchen der Renaiſſance zu gelangen, müſſen
wir einen andern Weg einſchlagen. Aus der geiſtigen Hal-
tung derſelben überhaupt muß ihr Verhältniß ſowohl zu
der beſtehenden Landesreligion als zu der Idee des Gött-
lichen klar werden.

Dieſe modernen Menſchen, die Träger der Bildung
des damaligen Italiens, ſind religiös geboren wie die Abend-
länder des Mittelalters, aber ihr mächtiger Individualismus
macht ſie darin wie in andern Dingen völlig ſubjectiv,
und die Fülle von Reiz, welche die Entdeckung der äußern
und der geiſtigen Welt auf ſie ausübt, macht ſie überhaupt
vorwiegend weltlich. Im übrigen Europa dagegen bleibt
die Religion noch länger ein objectiv Gegebenes und im
Leben wechſelt Selbſtſucht und Sinnengenuß unmittelbar
mit Andacht und Buße; letztere hat noch keine geiſtige
Concurrenz wie in Italien, oder doch eine unendlich geringere.

Ferner hatte von jeher der häufige und nahe Contact
mit Byzantinern und mit Mohammedanern eine neutrale
Toleranz aufrecht erhalten, vor welcher der ethnogra-
phiſche Begriff einer bevorrechteten abendländiſchen Chriſten-
heit einigermaßen zurücktrat. Und als vollends das claſſiſche
Alterthum mit ſeinen Menſchen und Einrichtungen ein
Ideal des Lebens wurde, weil es die größte Erinnerung
Italiens war, da überwältigte die antike Speculation und
Skepſis bisweilen den Geiſt der Italiener vollſtändig.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0504" n="494"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">6. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>und der Herzog &#x017F;elber führte &#x017F;ie bei der Ankunft in Ferrara<lb/>
in ein bereitgehaltenes Klo&#x017F;ter ein. Thun wir ihm Unrecht,<lb/>
wenn wir in all die&#x017F;en Dingen die &#x017F;tärk&#x017F;te politi&#x017F;che Ab-<lb/>
&#x017F;ichtlichkeit voraus&#x017F;etzen? Zu der Herr&#x017F;cheridee des Hau&#x017F;es<lb/>
E&#x017F;te, wie &#x017F;ie oben (S. 46 u. ff.) nachgewie&#x017F;en wurde,<lb/>
gehört eine &#x017F;olche Mitbenützung und Dien&#x017F;tbarmachung des<lb/>
Religiö&#x017F;en beinahe &#x017F;chon nach den Ge&#x017F;etzen der Logik.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><note place="left">Ver&#x017F;uch einer<lb/>
Synthe&#x017F;e.</note>Um aber zu den ent&#x017F;cheidenden Schlü&#x017F;&#x017F;en über die Re-<lb/>
ligio&#x017F;ität der Men&#x017F;chen der Renai&#x017F;&#x017F;ance zu gelangen, mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wir einen andern Weg ein&#x017F;chlagen. Aus der gei&#x017F;tigen Hal-<lb/>
tung der&#x017F;elben überhaupt muß ihr Verhältniß &#x017F;owohl zu<lb/>
der be&#x017F;tehenden Landesreligion als zu der Idee des Gött-<lb/>
lichen klar werden.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e modernen Men&#x017F;chen, die Träger der Bildung<lb/>
des damaligen Italiens, &#x017F;ind religiös geboren wie die Abend-<lb/>
länder des Mittelalters, aber ihr mächtiger Individualismus<lb/>
macht &#x017F;ie darin wie in andern Dingen völlig <hi rendition="#g">&#x017F;ubjectiv</hi>,<lb/>
und die Fülle von Reiz, welche die Entdeckung der äußern<lb/>
und der gei&#x017F;tigen Welt auf &#x017F;ie ausübt, macht &#x017F;ie überhaupt<lb/>
vorwiegend <hi rendition="#g">weltlich</hi>. Im übrigen Europa dagegen bleibt<lb/>
die Religion noch länger ein objectiv Gegebenes und im<lb/>
Leben wech&#x017F;elt Selb&#x017F;t&#x017F;ucht und Sinnengenuß unmittelbar<lb/>
mit Andacht und Buße; letztere hat noch keine gei&#x017F;tige<lb/>
Concurrenz wie in Italien, oder doch eine unendlich geringere.</p><lb/>
        <p>Ferner hatte von jeher der häufige und nahe Contact<lb/>
mit Byzantinern und mit Mohammedanern eine neutrale<lb/><hi rendition="#g">Toleranz</hi> aufrecht erhalten, vor welcher der ethnogra-<lb/>
phi&#x017F;che Begriff einer bevorrechteten abendländi&#x017F;chen Chri&#x017F;ten-<lb/>
heit einigermaßen zurücktrat. Und als vollends das cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Alterthum mit &#x017F;einen Men&#x017F;chen und Einrichtungen ein<lb/>
Ideal des Lebens wurde, weil es die größte Erinnerung<lb/>
Italiens war, da überwältigte die antike <choice><sic>Spcculation</sic><corr>Speculation</corr></choice> und<lb/><hi rendition="#g">Skep&#x017F;is</hi> bisweilen den Gei&#x017F;t der Italiener voll&#x017F;tändig.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[494/0504] und der Herzog ſelber führte ſie bei der Ankunft in Ferrara in ein bereitgehaltenes Kloſter ein. Thun wir ihm Unrecht, wenn wir in all dieſen Dingen die ſtärkſte politiſche Ab- ſichtlichkeit vorausſetzen? Zu der Herrſcheridee des Hauſes Eſte, wie ſie oben (S. 46 u. ff.) nachgewieſen wurde, gehört eine ſolche Mitbenützung und Dienſtbarmachung des Religiöſen beinahe ſchon nach den Geſetzen der Logik. 6. Abſchnitt. Um aber zu den entſcheidenden Schlüſſen über die Re- ligioſität der Menſchen der Renaiſſance zu gelangen, müſſen wir einen andern Weg einſchlagen. Aus der geiſtigen Hal- tung derſelben überhaupt muß ihr Verhältniß ſowohl zu der beſtehenden Landesreligion als zu der Idee des Gött- lichen klar werden. Verſuch einer Syntheſe. Dieſe modernen Menſchen, die Träger der Bildung des damaligen Italiens, ſind religiös geboren wie die Abend- länder des Mittelalters, aber ihr mächtiger Individualismus macht ſie darin wie in andern Dingen völlig ſubjectiv, und die Fülle von Reiz, welche die Entdeckung der äußern und der geiſtigen Welt auf ſie ausübt, macht ſie überhaupt vorwiegend weltlich. Im übrigen Europa dagegen bleibt die Religion noch länger ein objectiv Gegebenes und im Leben wechſelt Selbſtſucht und Sinnengenuß unmittelbar mit Andacht und Buße; letztere hat noch keine geiſtige Concurrenz wie in Italien, oder doch eine unendlich geringere. Ferner hatte von jeher der häufige und nahe Contact mit Byzantinern und mit Mohammedanern eine neutrale Toleranz aufrecht erhalten, vor welcher der ethnogra- phiſche Begriff einer bevorrechteten abendländiſchen Chriſten- heit einigermaßen zurücktrat. Und als vollends das claſſiſche Alterthum mit ſeinen Menſchen und Einrichtungen ein Ideal des Lebens wurde, weil es die größte Erinnerung Italiens war, da überwältigte die antike Speculation und Skepſis bisweilen den Geiſt der Italiener vollſtändig.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/504
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/504>, abgerufen am 04.05.2024.