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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.und Rede. Der Norden bringt eine Imitatio Christi her-
vor, welche im Stillen, anfangs nur in Klöstern, aber auf
Jahrhunderte wirkt; der Süden producirt Menschen, welche
auf Menschen einen colossalen Eindruck des Augenblickes
machen.

Dieser Eindruck beruht wesentlich auf Erregung des
Gewissens. Es sind Moralpredigten, ohne Abstraction, voll
specieller Anwendung, unterstützt von einer geweihten, as-
cetischen Persönlichkeit, woran sich dann von selbst durch die
erregte Phantasie das Mirakel anschließt, auch gegen den
Willen des Predigers 1). Das gewaltigste Argument war
weniger die Drohung mit Fegefeuer und Hölle, als viel-
mehr die höchst lebendige Entwicklung der maledizione,
des zeitlichen, in der Person wirkenden Fluches, der sich an
das Böse knüpft. Die Betrübung Christi und der Heiligen
hat ihre Folgen im Leben. Nur so konnte man die in
Leidenschaft, Racheschwüre und Verbrechen verrannten Men-
schen zur Sühne und Buße bringen, was bei Weitem der
wichtigste Zweck war.

So predigten im XV. Jahrhundert Bernardino da
Siena, Alberto da Sarzana, Giovanni Capistrano, Jacopo
della Marca, Roberto da Lecce (S. 409) und Andere;
endlich Girolamo Savonarola. Es gab kein stärkeres Vor-
urtheil als dasjenige gegen die Bettelmönche; sie überwanden
es. Der hochmüthige Humanismus critisirte und höhnte2);
wenn sie ihre Stimme erhoben, so dachte man seiner nicht

1) Capistrano z. B. begnügte sich, über die Tausende von Kranken, die
man ihm brachte, das Kreuz zu machen und sie im Namen der
Dreieinigkeit und seines Meisters S. Bernardino zu segnen, worauf
hie und da eine wirkliche Genesung erfolgte, wie in solchen Fällen
zu geschehen pflegt. Der Chronist von Brescia deutet dieß so an:
"er that schöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war".
2) So z. B. Poggio, de avaritia, in den Opera, fol. 2. Er findet,
sie hätten es leicht, da sie in jeder Stadt dasselbe vorbrächten und
das Volk dümmer entlassen dürften als es gekommen sei etc.

6. Abſchnitt.und Rede. Der Norden bringt eine Imitatio Christi her-
vor, welche im Stillen, anfangs nur in Klöſtern, aber auf
Jahrhunderte wirkt; der Süden producirt Menſchen, welche
auf Menſchen einen coloſſalen Eindruck des Augenblickes
machen.

Dieſer Eindruck beruht weſentlich auf Erregung des
Gewiſſens. Es ſind Moralpredigten, ohne Abſtraction, voll
ſpecieller Anwendung, unterſtützt von einer geweihten, as-
cetiſchen Perſönlichkeit, woran ſich dann von ſelbſt durch die
erregte Phantaſie das Mirakel anſchließt, auch gegen den
Willen des Predigers 1). Das gewaltigſte Argument war
weniger die Drohung mit Fegefeuer und Hölle, als viel-
mehr die höchſt lebendige Entwicklung der maledizione,
des zeitlichen, in der Perſon wirkenden Fluches, der ſich an
das Böſe knüpft. Die Betrübung Chriſti und der Heiligen
hat ihre Folgen im Leben. Nur ſo konnte man die in
Leidenſchaft, Racheſchwüre und Verbrechen verrannten Men-
ſchen zur Sühne und Buße bringen, was bei Weitem der
wichtigſte Zweck war.

So predigten im XV. Jahrhundert Bernardino da
Siena, Alberto da Sarzana, Giovanni Capiſtrano, Jacopo
della Marca, Roberto da Lecce (S. 409) und Andere;
endlich Girolamo Savonarola. Es gab kein ſtärkeres Vor-
urtheil als dasjenige gegen die Bettelmönche; ſie überwanden
es. Der hochmüthige Humanismus critiſirte und höhnte2);
wenn ſie ihre Stimme erhoben, ſo dachte man ſeiner nicht

1) Capiſtrano z. B. begnügte ſich, über die Tauſende von Kranken, die
man ihm brachte, das Kreuz zu machen und ſie im Namen der
Dreieinigkeit und ſeines Meiſters S. Bernardino zu ſegnen, worauf
hie und da eine wirkliche Geneſung erfolgte, wie in ſolchen Fällen
zu geſchehen pflegt. Der Chroniſt von Brescia deutet dieß ſo an:
„er that ſchöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war“.
2) So z. B. Poggio, de avaritia, in den Opera, fol. 2. Er findet,
ſie hätten es leicht, da ſie in jeder Stadt daſſelbe vorbrächten und
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[468/0478] und Rede. Der Norden bringt eine Imitatio Christi her- vor, welche im Stillen, anfangs nur in Klöſtern, aber auf Jahrhunderte wirkt; der Süden producirt Menſchen, welche auf Menſchen einen coloſſalen Eindruck des Augenblickes machen. 6. Abſchnitt. Dieſer Eindruck beruht weſentlich auf Erregung des Gewiſſens. Es ſind Moralpredigten, ohne Abſtraction, voll ſpecieller Anwendung, unterſtützt von einer geweihten, as- cetiſchen Perſönlichkeit, woran ſich dann von ſelbſt durch die erregte Phantaſie das Mirakel anſchließt, auch gegen den Willen des Predigers 1). Das gewaltigſte Argument war weniger die Drohung mit Fegefeuer und Hölle, als viel- mehr die höchſt lebendige Entwicklung der maledizione, des zeitlichen, in der Perſon wirkenden Fluches, der ſich an das Böſe knüpft. Die Betrübung Chriſti und der Heiligen hat ihre Folgen im Leben. Nur ſo konnte man die in Leidenſchaft, Racheſchwüre und Verbrechen verrannten Men- ſchen zur Sühne und Buße bringen, was bei Weitem der wichtigſte Zweck war. So predigten im XV. Jahrhundert Bernardino da Siena, Alberto da Sarzana, Giovanni Capiſtrano, Jacopo della Marca, Roberto da Lecce (S. 409) und Andere; endlich Girolamo Savonarola. Es gab kein ſtärkeres Vor- urtheil als dasjenige gegen die Bettelmönche; ſie überwanden es. Der hochmüthige Humanismus critiſirte und höhnte 2); wenn ſie ihre Stimme erhoben, ſo dachte man ſeiner nicht 1) Capiſtrano z. B. begnügte ſich, über die Tauſende von Kranken, die man ihm brachte, das Kreuz zu machen und ſie im Namen der Dreieinigkeit und ſeines Meiſters S. Bernardino zu ſegnen, worauf hie und da eine wirkliche Geneſung erfolgte, wie in ſolchen Fällen zu geſchehen pflegt. Der Chroniſt von Brescia deutet dieß ſo an: „er that ſchöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war“. 2) So z. B. Poggio, de avaritia, in den Opera, fol. 2. Er findet, ſie hätten es leicht, da ſie in jeder Stadt daſſelbe vorbrächten und das Volk dümmer entlaſſen dürften als es gekommen ſei ꝛc.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/478>, abgerufen am 26.04.2024.