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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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5. Abschnitt.macht, sollte auch das Weib vollkommen machen. Active
literarische Thätigkeit verlangt man nicht von ihr, und
wenn sie Dichterin ist, so erwartet man wohl irgend einen
mächtigen Klang der Seele, aber keine speciellen Intimitä-
ten in Form von Tagebüchern und Romanen. An das
Publicum dachten diese Frauen nicht; sie mußten vor Allem
bedeutenden Männern imponiren 1) und deren Willkür in
Schranken halten.

Die Virago.Das Ruhmvollste was damals von den großen Ita-
lienerinnen gesagt wird, ist, daß sie einen männlichen Geist,
ein männliches Gemüth hätten. Man braucht nur die
völlig männliche Haltung der meisten Weiber in den Helden-
gedichten, zumal bei Bojardo und Ariosto, zu beachten, um
zu wissen, daß es sich hier um ein bestimmtes Ideal handelt.
Der Titel einer "virago", den unser Jahrhundert für ein
sehr zweideutiges Compliment hält, war damals reiner
Ruhm. Ihn trug mit vollem Glanze Caterina Sforza,
Gemahlin, dann Wittwe des Girolamo Riario, dessen Erbe
Forli sie zuerst gegen die Partei seiner Mörder, dann später
gegen Cesare Borgia mit allen Kräften vertheidigte; sie
unterlag, behielt aber doch die Bewunderung aller ihrer
Landsleute und den Namen der "prima donna d'Italia" 2).
Eine heroische Ader dieser Art erkennt man noch in ver-
schiedenen Frauen der Renaissance, wenn auch keine mehr
solchen Anlaß fand, sich als Heldin zu bethätigen. Isabella
Gonzaga (S. 44) verräth diesen Zug ganz deutlich.

1) Ant. Galateo, epist. 3, an die junge Bona Sforza, die spätere
Gemahlin des Sigismund von Polen: Incipe aliquid de viro sa-
pere, quoniam ad imperandum viris nata es ... Ita fac, ut
sapientibus viris placeas, ut te prudentes et graves viri admi-
rentur, et vulgi et muliercularum studia et iudicia despicias etc.

Auch sonst ein merkwürdiger Brief. (Mai, Spicileg. rom. VIII, p. 532.)
2) So heißt sie in dem Hauptbericht Chron. venetum bei Murat. XXIV,
Col. 128, s.
Vgl. Infessura bei Eccard, scriptt. II, Col. 1981
und Arch. stor. Append. II, p. 250.

5. Abſchnitt.macht, ſollte auch das Weib vollkommen machen. Active
literariſche Thätigkeit verlangt man nicht von ihr, und
wenn ſie Dichterin iſt, ſo erwartet man wohl irgend einen
mächtigen Klang der Seele, aber keine ſpeciellen Intimitä-
ten in Form von Tagebüchern und Romanen. An das
Publicum dachten dieſe Frauen nicht; ſie mußten vor Allem
bedeutenden Männern imponiren 1) und deren Willkür in
Schranken halten.

Die Virago.Das Ruhmvollſte was damals von den großen Ita-
lienerinnen geſagt wird, iſt, daß ſie einen männlichen Geiſt,
ein männliches Gemüth hätten. Man braucht nur die
völlig männliche Haltung der meiſten Weiber in den Helden-
gedichten, zumal bei Bojardo und Arioſto, zu beachten, um
zu wiſſen, daß es ſich hier um ein beſtimmtes Ideal handelt.
Der Titel einer „virago“, den unſer Jahrhundert für ein
ſehr zweideutiges Compliment hält, war damals reiner
Ruhm. Ihn trug mit vollem Glanze Caterina Sforza,
Gemahlin, dann Wittwe des Girolamo Riario, deſſen Erbe
Forli ſie zuerſt gegen die Partei ſeiner Mörder, dann ſpäter
gegen Ceſare Borgia mit allen Kräften vertheidigte; ſie
unterlag, behielt aber doch die Bewunderung aller ihrer
Landsleute und den Namen der „prima donna d'Italia2).
Eine heroiſche Ader dieſer Art erkennt man noch in ver-
ſchiedenen Frauen der Renaiſſance, wenn auch keine mehr
ſolchen Anlaß fand, ſich als Heldin zu bethätigen. Iſabella
Gonzaga (S. 44) verräth dieſen Zug ganz deutlich.

1) Ant. Galateo, epist. 3, an die junge Bona Sforza, die ſpätere
Gemahlin des Sigismund von Polen: Incipe aliquid de viro sa-
pere, quoniam ad imperandum viris nata es … Ita fac, ut
sapientibus viris placeas, ut te prudentes et graves viri admi-
rentur, et vulgi et muliercularum studia et iudicia despicias etc.

Auch ſonſt ein merkwürdiger Brief. (Mai, Spicileg. rom. VIII, p. 532.)
2) So heißt ſie in dem Hauptbericht Chron. venetum bei Murat. XXIV,
Col. 128, s.
Vgl. Infessura bei Eccard, scriptt. II, Col. 1981
und Arch. stor. Append. II, p. 250.
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[394/0404] macht, ſollte auch das Weib vollkommen machen. Active literariſche Thätigkeit verlangt man nicht von ihr, und wenn ſie Dichterin iſt, ſo erwartet man wohl irgend einen mächtigen Klang der Seele, aber keine ſpeciellen Intimitä- ten in Form von Tagebüchern und Romanen. An das Publicum dachten dieſe Frauen nicht; ſie mußten vor Allem bedeutenden Männern imponiren 1) und deren Willkür in Schranken halten. 5. Abſchnitt. Das Ruhmvollſte was damals von den großen Ita- lienerinnen geſagt wird, iſt, daß ſie einen männlichen Geiſt, ein männliches Gemüth hätten. Man braucht nur die völlig männliche Haltung der meiſten Weiber in den Helden- gedichten, zumal bei Bojardo und Arioſto, zu beachten, um zu wiſſen, daß es ſich hier um ein beſtimmtes Ideal handelt. Der Titel einer „virago“, den unſer Jahrhundert für ein ſehr zweideutiges Compliment hält, war damals reiner Ruhm. Ihn trug mit vollem Glanze Caterina Sforza, Gemahlin, dann Wittwe des Girolamo Riario, deſſen Erbe Forli ſie zuerſt gegen die Partei ſeiner Mörder, dann ſpäter gegen Ceſare Borgia mit allen Kräften vertheidigte; ſie unterlag, behielt aber doch die Bewunderung aller ihrer Landsleute und den Namen der „prima donna d'Italia“ 2). Eine heroiſche Ader dieſer Art erkennt man noch in ver- ſchiedenen Frauen der Renaiſſance, wenn auch keine mehr ſolchen Anlaß fand, ſich als Heldin zu bethätigen. Iſabella Gonzaga (S. 44) verräth dieſen Zug ganz deutlich. Die Virago. 1) Ant. Galateo, epist. 3, an die junge Bona Sforza, die ſpätere Gemahlin des Sigismund von Polen: Incipe aliquid de viro sa- pere, quoniam ad imperandum viris nata es … Ita fac, ut sapientibus viris placeas, ut te prudentes et graves viri admi- rentur, et vulgi et muliercularum studia et iudicia despicias etc. Auch ſonſt ein merkwürdiger Brief. (Mai, Spicileg. rom. VIII, p. 532.) 2) So heißt ſie in dem Hauptbericht Chron. venetum bei Murat. XXIV, Col. 128, s. Vgl. Infessura bei Eccard, scriptt. II, Col. 1981 und Arch. stor. Append. II, p. 250.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/404>, abgerufen am 08.05.2024.