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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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5. Abschnitt.scheidenden Schritt in die Tonsprache der modernen Welt
hinein gethan haben, wird nicht so erörtert, daß der Laie
sich einen Begriff von dem Thatbestand machen könnte.
Indem wir daher die Geschichte der musicalischen Compo-
sition gänzlich auf sich beruhen lassen, suchen wir die
Stellung der Musik zur damaligen Gesellschaft auszumitteln.

Reichthum an
Instrumenten.
Höchst bezeichnend für die Renaissance und für Italien
ist vor Allem die reiche Specialisirung des Orchesters, das
Suchen nach neuen Instrumenten d. h. Klangarten, und --
in engem Zusammenhang damit -- das Virtuosenthum,
d. h. das Eindringen des Individuellen im Verhältniß zu
bestimmten Zweigen der Musik und zu bestimmten In-
strumenten.

Von denjenigen Tonwerkzeugen, welche eine ganze Har-
monie ausdrücken können, ist nicht nur die Orgel frühe
sehr verbreitet und vervollkommnet, sondern auch das ent-
sprechende Saiteninstrument, das gravicembalo oder cla-
vicembalo
; Stücke von solchen aus dem Beginn des XVI.
Jahrhunderts werden bekanntlich noch aufbewahrt, weil die
größten Maler sie mit Bildern schmückten. Sonst nahm
die Geige den ersten Rang ein und gewährte bereits große
persönliche Celebrität. Bei Leo X., der schon als Cardinal
sein Haus voller Sänger und Musiker gehabt hatte und
der als Kenner und Mitspieler eine hohe Reputation ge-
Virtuosen.noß, wurden der Jude Giovan Maria und Jacopo San-
secondo berühmt; ersterem gab Leo den Grafentitel und ein
Städtchen 1); letztern glaubt man in dem Apoll auf Rafaels

der noch frühere Componist Josquin des Pres das Höchste waren,
wofür man schwärmte; die Hauptwerke des letztern werden genannt.
Derselbe Autor (Folengo) legt auch in seinem (unter dem Namen
Limerno Pitocco herausgegebenen) Orlandino III, 23, s. einen ganz
modernen Musikfanatismus an den Tag.
1) Leonis vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 171.
Ob dieß vielleicht der Violinspieler der Galerie Sciarra ist? --

5. Abſchnitt.ſcheidenden Schritt in die Tonſprache der modernen Welt
hinein gethan haben, wird nicht ſo erörtert, daß der Laie
ſich einen Begriff von dem Thatbeſtand machen könnte.
Indem wir daher die Geſchichte der muſicaliſchen Compo-
ſition gänzlich auf ſich beruhen laſſen, ſuchen wir die
Stellung der Muſik zur damaligen Geſellſchaft auszumitteln.

Reichthum an
Inſtrumenten.
Höchſt bezeichnend für die Renaiſſance und für Italien
iſt vor Allem die reiche Specialiſirung des Orcheſters, das
Suchen nach neuen Inſtrumenten d. h. Klangarten, und —
in engem Zuſammenhang damit — das Virtuoſenthum,
d. h. das Eindringen des Individuellen im Verhältniß zu
beſtimmten Zweigen der Muſik und zu beſtimmten In-
ſtrumenten.

Von denjenigen Tonwerkzeugen, welche eine ganze Har-
monie ausdrücken können, iſt nicht nur die Orgel frühe
ſehr verbreitet und vervollkommnet, ſondern auch das ent-
ſprechende Saiteninſtrument, das gravicembalo oder cla-
vicembalo
; Stücke von ſolchen aus dem Beginn des XVI.
Jahrhunderts werden bekanntlich noch aufbewahrt, weil die
größten Maler ſie mit Bildern ſchmückten. Sonſt nahm
die Geige den erſten Rang ein und gewährte bereits große
perſönliche Celebrität. Bei Leo X., der ſchon als Cardinal
ſein Haus voller Sänger und Muſiker gehabt hatte und
der als Kenner und Mitſpieler eine hohe Reputation ge-
Virtuoſen.noß, wurden der Jude Giovan Maria und Jacopo San-
ſecondo berühmt; erſterem gab Leo den Grafentitel und ein
Städtchen 1); letztern glaubt man in dem Apoll auf Rafaels

der noch frühere Componiſt Josquin des Prés das Höchſte waren,
wofür man ſchwärmte; die Hauptwerke des letztern werden genannt.
Derſelbe Autor (Folengo) legt auch in ſeinem (unter dem Namen
Limerno Pitocco herausgegebenen) Orlandino III, 23, s. einen ganz
modernen Muſikfanatismus an den Tag.
1) Leonis vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 171.
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[388/0398] ſcheidenden Schritt in die Tonſprache der modernen Welt hinein gethan haben, wird nicht ſo erörtert, daß der Laie ſich einen Begriff von dem Thatbeſtand machen könnte. Indem wir daher die Geſchichte der muſicaliſchen Compo- ſition gänzlich auf ſich beruhen laſſen, ſuchen wir die Stellung der Muſik zur damaligen Geſellſchaft auszumitteln. 5. Abſchnitt. Höchſt bezeichnend für die Renaiſſance und für Italien iſt vor Allem die reiche Specialiſirung des Orcheſters, das Suchen nach neuen Inſtrumenten d. h. Klangarten, und — in engem Zuſammenhang damit — das Virtuoſenthum, d. h. das Eindringen des Individuellen im Verhältniß zu beſtimmten Zweigen der Muſik und zu beſtimmten In- ſtrumenten. Reichthum an Inſtrumenten. Von denjenigen Tonwerkzeugen, welche eine ganze Har- monie ausdrücken können, iſt nicht nur die Orgel frühe ſehr verbreitet und vervollkommnet, ſondern auch das ent- ſprechende Saiteninſtrument, das gravicembalo oder cla- vicembalo; Stücke von ſolchen aus dem Beginn des XVI. Jahrhunderts werden bekanntlich noch aufbewahrt, weil die größten Maler ſie mit Bildern ſchmückten. Sonſt nahm die Geige den erſten Rang ein und gewährte bereits große perſönliche Celebrität. Bei Leo X., der ſchon als Cardinal ſein Haus voller Sänger und Muſiker gehabt hatte und der als Kenner und Mitſpieler eine hohe Reputation ge- noß, wurden der Jude Giovan Maria und Jacopo San- ſecondo berühmt; erſterem gab Leo den Grafentitel und ein Städtchen 1); letztern glaubt man in dem Apoll auf Rafaels 1) Virtuoſen. 1) Leonis vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 171. Ob dieß vielleicht der Violinſpieler der Galerie Sciarra iſt? — 1) der noch frühere Componiſt Josquin des Prés das Höchſte waren, wofür man ſchwärmte; die Hauptwerke des letztern werden genannt. Derſelbe Autor (Folengo) legt auch in ſeinem (unter dem Namen Limerno Pitocco herausgegebenen) Orlandino III, 23, s. einen ganz modernen Muſikfanatismus an den Tag.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/398>, abgerufen am 22.11.2024.