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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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spätern Zeiten des Mittelalters, sobald die Mittel reichen,5. Abschnitt.
auf ähnlichen Wegen, allein es ist dabei theils in kindlicher,
bunter Spielerei, theils in den Fesseln des einseitigen go-
thischen Decorationsstyles befangen, während die Renaissance
sich frei bewegt, sich nach dem Sinn jeder Aufgabe richtet
und für einen viel größern Kreis von Theilnehmern und
Bestellern arbeitet. Womit dann auch der leichte Sieg
dieser italienischen Zierformen jeder Art über die nordischen
im Lauf des XVI. Jahrhunderts zusammenhängt, obwohl
derselbe noch seine größern und allgemeinern Ursachen hat.


Die höhere Geselligkeit, die hier als Kunstwerk, alsDie Sprache d.
Gesellschaft.

eine höchste und bewußte Schöpfung des Volkslebens auf-
tritt, hat ihre wichtigste Vorbedingung und Grundlage in
der Sprache.

In der Blüthezeit des Mittelalters hatte der Adel der
abendländischen Nationen eine "höfische" Sprache für den
Umgang wie für die Poesie zu behaupten gesucht. So gab
es auch in Italien, dessen Dialecte schon frühe so weit
auseinander gingen, im XIII. Jahrhundert ein sogenanntes
"Curiale", welches den Höfen und ihren Dichtern gemein-
sam war. Die entscheidende Thatsache ist nun, daß man
dasselbe mit bewußter Anstrengung zur Sprache aller Ge-
bildeten und zur Schiftsprache zu machen suchte. Die
Einleitung der noch vor 1300 redigirten "hundert alten
Novellen" gesteht diesen Zweck offen zu. Und zwar wird
hier die Sprache ausdrücklich als von der Poesie emancipirt
behandelt; das Höchste ist der einfach klare, geistig schöne
Ausdruck in kurzen Reden, Sprüchen und Antworten.
Dieser genießt eine Verehrung wie nur je bei Griechen und
Arabern: "Wie viele haben in einem langen Leben doch
kaum ein einziges bel parlare zu Tage gebracht!"

Allein die Angelegenheit, um welche es sich handelte,
war um so schwieriger, je eifriger man sie von sehr ver-

ſpätern Zeiten des Mittelalters, ſobald die Mittel reichen,5. Abſchnitt.
auf ähnlichen Wegen, allein es iſt dabei theils in kindlicher,
bunter Spielerei, theils in den Feſſeln des einſeitigen go-
thiſchen Decorationsſtyles befangen, während die Renaiſſance
ſich frei bewegt, ſich nach dem Sinn jeder Aufgabe richtet
und für einen viel größern Kreis von Theilnehmern und
Beſtellern arbeitet. Womit dann auch der leichte Sieg
dieſer italieniſchen Zierformen jeder Art über die nordiſchen
im Lauf des XVI. Jahrhunderts zuſammenhängt, obwohl
derſelbe noch ſeine größern und allgemeinern Urſachen hat.


Die höhere Geſelligkeit, die hier als Kunſtwerk, alsDie Sprache d.
Geſellſchaft.

eine höchſte und bewußte Schöpfung des Volkslebens auf-
tritt, hat ihre wichtigſte Vorbedingung und Grundlage in
der Sprache.

In der Blüthezeit des Mittelalters hatte der Adel der
abendländiſchen Nationen eine „höfiſche“ Sprache für den
Umgang wie für die Poeſie zu behaupten geſucht. So gab
es auch in Italien, deſſen Dialecte ſchon frühe ſo weit
auseinander gingen, im XIII. Jahrhundert ein ſogenanntes
Curiale“, welches den Höfen und ihren Dichtern gemein-
ſam war. Die entſcheidende Thatſache iſt nun, daß man
daſſelbe mit bewußter Anſtrengung zur Sprache aller Ge-
bildeten und zur Schiftſprache zu machen ſuchte. Die
Einleitung der noch vor 1300 redigirten „hundert alten
Novellen“ geſteht dieſen Zweck offen zu. Und zwar wird
hier die Sprache ausdrücklich als von der Poeſie emancipirt
behandelt; das Höchſte iſt der einfach klare, geiſtig ſchöne
Ausdruck in kurzen Reden, Sprüchen und Antworten.
Dieſer genießt eine Verehrung wie nur je bei Griechen und
Arabern: „Wie viele haben in einem langen Leben doch
kaum ein einziges bel parlare zu Tage gebracht!“

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[373/0383] ſpätern Zeiten des Mittelalters, ſobald die Mittel reichen, auf ähnlichen Wegen, allein es iſt dabei theils in kindlicher, bunter Spielerei, theils in den Feſſeln des einſeitigen go- thiſchen Decorationsſtyles befangen, während die Renaiſſance ſich frei bewegt, ſich nach dem Sinn jeder Aufgabe richtet und für einen viel größern Kreis von Theilnehmern und Beſtellern arbeitet. Womit dann auch der leichte Sieg dieſer italieniſchen Zierformen jeder Art über die nordiſchen im Lauf des XVI. Jahrhunderts zuſammenhängt, obwohl derſelbe noch ſeine größern und allgemeinern Urſachen hat. 5. Abſchnitt. Die höhere Geſelligkeit, die hier als Kunſtwerk, als eine höchſte und bewußte Schöpfung des Volkslebens auf- tritt, hat ihre wichtigſte Vorbedingung und Grundlage in der Sprache. Die Sprache d. Geſellſchaft. In der Blüthezeit des Mittelalters hatte der Adel der abendländiſchen Nationen eine „höfiſche“ Sprache für den Umgang wie für die Poeſie zu behaupten geſucht. So gab es auch in Italien, deſſen Dialecte ſchon frühe ſo weit auseinander gingen, im XIII. Jahrhundert ein ſogenanntes „Curiale“, welches den Höfen und ihren Dichtern gemein- ſam war. Die entſcheidende Thatſache iſt nun, daß man daſſelbe mit bewußter Anſtrengung zur Sprache aller Ge- bildeten und zur Schiftſprache zu machen ſuchte. Die Einleitung der noch vor 1300 redigirten „hundert alten Novellen“ geſteht dieſen Zweck offen zu. Und zwar wird hier die Sprache ausdrücklich als von der Poeſie emancipirt behandelt; das Höchſte iſt der einfach klare, geiſtig ſchöne Ausdruck in kurzen Reden, Sprüchen und Antworten. Dieſer genießt eine Verehrung wie nur je bei Griechen und Arabern: „Wie viele haben in einem langen Leben doch kaum ein einziges bel parlare zu Tage gebracht!“ Allein die Angelegenheit, um welche es ſich handelte, war um ſo ſchwieriger, je eifriger man ſie von ſehr ver-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/383>, abgerufen am 24.11.2024.