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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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moderne Vornehmheit, wobei doch Bildung und Reichthum5. Abschnitt.
schon überall die Gradmesser des gesellschaftlichen Werthes
sind, und zwar der Reichthum nur insofern er es möglich
macht, das Leben der Bildung zu widmen und deren In-
teressen im Großen zu fördern.

Je weniger nun die Unterschiede der Geburt einenVollendung des
Individuums.

bestimmten Vorzug verliehen, desto mehr war das Indivi-
duum als solches aufgefordert, all seine Vortheile geltend
zu machen; desto mehr mußte auch die Geselligkeit sich aus
eigener Kraft beschränken und veredeln. Das Auftreten des
Einzelnen und die höhere Form der Geselligkeit werden ein
freies, bewußtes Kunstwerk.

Schon die äußere Erscheinung und Umgebung des
Menschen und die Sitte des täglichen Lebens ist vollkom-
mener, schöner, mehr verfeinert als bei den Völkern außer-
halb Italiens. Von der Wohnung der höhern Stände
handelt die Kunstgeschichte; hier ist nur hervorzuheben, wie
sehr dieselbe an Bequemlichkeit und harmonischer, vernünf-
tiger Anlage das Schloß und den Stadthof oder Stadtpalast
der nordischen Großen übertraf. Die Kleidung wechselteKleidung und
Moden.

dergestalt, daß es unmöglich ist, eine durchgehende Parallele
mit den Moden anderer Länder zu ziehen, zumal da man
sich seit Ende des XV. Jahrhunderts häufig den letztern
anschloß. Was die italienischen Maler als Zeittracht dar-
stellen, ist insgemein das Schönste und Kleidsamste was
damals in Europa vorkam, allein man weiß nicht sicher,
ob sie das Herrschende und ob sie es genau darstellen.
So viel bleibt aber doch wohl außer Zweifel, daß nirgends
ein so großer Werth auf die Tracht gelegt wurde wie in
Italien. Die Nation war und ist eitel; außerdem aber
rechneten auch ernste Leute die möglichst schöne und günstige
Kleidung mit zur Vollendung der Persönlichkeit. Einst gab
es ja in Florenz einen Augenblick, da die Tracht etwas
Individuelles war, da Jeder seine eigene Mode trug
(S. 132, Anm.), und noch bis tief ins XVI. Jahrhundert gab

moderne Vornehmheit, wobei doch Bildung und Reichthum5. Abſchnitt.
ſchon überall die Gradmeſſer des geſellſchaftlichen Werthes
ſind, und zwar der Reichthum nur inſofern er es möglich
macht, das Leben der Bildung zu widmen und deren In-
tereſſen im Großen zu fördern.

Je weniger nun die Unterſchiede der Geburt einenVollendung des
Individuums.

beſtimmten Vorzug verliehen, deſto mehr war das Indivi-
duum als ſolches aufgefordert, all ſeine Vortheile geltend
zu machen; deſto mehr mußte auch die Geſelligkeit ſich aus
eigener Kraft beſchränken und veredeln. Das Auftreten des
Einzelnen und die höhere Form der Geſelligkeit werden ein
freies, bewußtes Kunſtwerk.

Schon die äußere Erſcheinung und Umgebung des
Menſchen und die Sitte des täglichen Lebens iſt vollkom-
mener, ſchöner, mehr verfeinert als bei den Völkern außer-
halb Italiens. Von der Wohnung der höhern Stände
handelt die Kunſtgeſchichte; hier iſt nur hervorzuheben, wie
ſehr dieſelbe an Bequemlichkeit und harmoniſcher, vernünf-
tiger Anlage das Schloß und den Stadthof oder Stadtpalaſt
der nordiſchen Großen übertraf. Die Kleidung wechſelteKleidung und
Moden.

dergeſtalt, daß es unmöglich iſt, eine durchgehende Parallele
mit den Moden anderer Länder zu ziehen, zumal da man
ſich ſeit Ende des XV. Jahrhunderts häufig den letztern
anſchloß. Was die italieniſchen Maler als Zeittracht dar-
ſtellen, iſt insgemein das Schönſte und Kleidſamſte was
damals in Europa vorkam, allein man weiß nicht ſicher,
ob ſie das Herrſchende und ob ſie es genau darſtellen.
So viel bleibt aber doch wohl außer Zweifel, daß nirgends
ein ſo großer Werth auf die Tracht gelegt wurde wie in
Italien. Die Nation war und iſt eitel; außerdem aber
rechneten auch ernſte Leute die möglichſt ſchöne und günſtige
Kleidung mit zur Vollendung der Perſönlichkeit. Einſt gab
es ja in Florenz einen Augenblick, da die Tracht etwas
Individuelles war, da Jeder ſeine eigene Mode trug
(S. 132, Anm.), und noch bis tief ins XVI. Jahrhundert gab

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[365/0375] moderne Vornehmheit, wobei doch Bildung und Reichthum ſchon überall die Gradmeſſer des geſellſchaftlichen Werthes ſind, und zwar der Reichthum nur inſofern er es möglich macht, das Leben der Bildung zu widmen und deren In- tereſſen im Großen zu fördern. 5. Abſchnitt. Je weniger nun die Unterſchiede der Geburt einen beſtimmten Vorzug verliehen, deſto mehr war das Indivi- duum als ſolches aufgefordert, all ſeine Vortheile geltend zu machen; deſto mehr mußte auch die Geſelligkeit ſich aus eigener Kraft beſchränken und veredeln. Das Auftreten des Einzelnen und die höhere Form der Geſelligkeit werden ein freies, bewußtes Kunſtwerk. Vollendung des Individuums. Schon die äußere Erſcheinung und Umgebung des Menſchen und die Sitte des täglichen Lebens iſt vollkom- mener, ſchöner, mehr verfeinert als bei den Völkern außer- halb Italiens. Von der Wohnung der höhern Stände handelt die Kunſtgeſchichte; hier iſt nur hervorzuheben, wie ſehr dieſelbe an Bequemlichkeit und harmoniſcher, vernünf- tiger Anlage das Schloß und den Stadthof oder Stadtpalaſt der nordiſchen Großen übertraf. Die Kleidung wechſelte dergeſtalt, daß es unmöglich iſt, eine durchgehende Parallele mit den Moden anderer Länder zu ziehen, zumal da man ſich ſeit Ende des XV. Jahrhunderts häufig den letztern anſchloß. Was die italieniſchen Maler als Zeittracht dar- ſtellen, iſt insgemein das Schönſte und Kleidſamſte was damals in Europa vorkam, allein man weiß nicht ſicher, ob ſie das Herrſchende und ob ſie es genau darſtellen. So viel bleibt aber doch wohl außer Zweifel, daß nirgends ein ſo großer Werth auf die Tracht gelegt wurde wie in Italien. Die Nation war und iſt eitel; außerdem aber rechneten auch ernſte Leute die möglichſt ſchöne und günſtige Kleidung mit zur Vollendung der Perſönlichkeit. Einſt gab es ja in Florenz einen Augenblick, da die Tracht etwas Individuelles war, da Jeder ſeine eigene Mode trug (S. 132, Anm.), und noch bis tief ins XVI. Jahrhundert gab Kleidung und Moden.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/375>, abgerufen am 19.04.2024.