Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

5. Abschnitt."Alten trieben, wäre viel edler als dieß unsinnige Herum-
"rennen in Wald und Gebirge, wobei man am meisten
"den Thieren selber gleiche. Eine Erholung dürfe der-
"gleichen etwa vorstellen, nicht aber ein Lebensgeschäft".
Vollends unadlich erscheine das französische und englische
Ritterleben auf dem Lande oder in Waldschlössern, oder
gar das deutsche Raubritterthum. Der Medici nimmt hierauf
einigermaßen die Partei des Adels, aber -- bezeichnend
genug -- nicht mit Berufung auf ein angeborenes Gefühl,
sondern weil Aristoteles im V. Buch der Politica den Adel
als etwas Seiendes anerkenne und definire, nämlich eben
als beruhend auf Trefflichkeit und ererbtem Reichthum.
Allein Niccoli erwiedert: Aristoteles sage dieß nicht als seine
Ueberzeugung, sondern als allgemeine Meinung; in der
Ethik, wo er sage was denke, nenne er Denjenigen adlich,
welcher nach dem wahren Guten strebe. Umsonst hält ihm
nun der Medici den griechischen Ausdruck für Adel, näm-
lich Wohlgeborenheit, Eugeneia entgegen; Niccoli findet das
römische Wort nobilis, d. h. bemerkenswerth, richtiger, indem
selbiges den Adel von den Thaten abhängig mache 1). Außer
Der Adel in den
einzelnen Land-
schaften.
diesen Raisonnements wird die Stellung des Adels in den
verschiedenen Gegenden Italiens folgendermaßen skizzirt.
In Neapel ist der Adel träge und giebt sich weder mit
seinen Gütern noch mit dem als schmachvoll geltenden
Handel ab; entweder tagediebt er zu Hause 2) oder sitzt zu
Pferde. Auch der römische Adel verachtet den Handel, be-
wirthschaftet aber seine Güter selbst; ja wer das Land

1) Dieselbe Verachtung des Geburtsadels findet sich dann bei den Hu-
manisten häufig. Vgl. die scharfen Stellen bei Aen. Sylvius,
Opera, p. 84 (Hist. bohem. cap. 2)
und 640 (Gesch. von Lu-
cretia und Euryalus).
2) Und zwar in der Hauptstadt. Vgl. Bandello, Parte II, Nov, 7.
-- Joviani Pontani Antonius
(wo der Verfall der Adelskraft erst
von den Aragonesen an datirt wird).

5. Abſchnitt.„Alten trieben, wäre viel edler als dieß unſinnige Herum-
„rennen in Wald und Gebirge, wobei man am meiſten
„den Thieren ſelber gleiche. Eine Erholung dürfe der-
„gleichen etwa vorſtellen, nicht aber ein Lebensgeſchäft“.
Vollends unadlich erſcheine das franzöſiſche und engliſche
Ritterleben auf dem Lande oder in Waldſchlöſſern, oder
gar das deutſche Raubritterthum. Der Medici nimmt hierauf
einigermaßen die Partei des Adels, aber — bezeichnend
genug — nicht mit Berufung auf ein angeborenes Gefühl,
ſondern weil Ariſtoteles im V. Buch der Politica den Adel
als etwas Seiendes anerkenne und definire, nämlich eben
als beruhend auf Trefflichkeit und ererbtem Reichthum.
Allein Niccoli erwiedert: Ariſtoteles ſage dieß nicht als ſeine
Ueberzeugung, ſondern als allgemeine Meinung; in der
Ethik, wo er ſage was denke, nenne er Denjenigen adlich,
welcher nach dem wahren Guten ſtrebe. Umſonſt hält ihm
nun der Medici den griechiſchen Ausdruck für Adel, näm-
lich Wohlgeborenheit, Eugeneia entgegen; Niccoli findet das
römiſche Wort nobilis, d. h. bemerkenswerth, richtiger, indem
ſelbiges den Adel von den Thaten abhängig mache 1). Außer
Der Adel in den
einzelnen Land-
ſchaften.
dieſen Raiſonnements wird die Stellung des Adels in den
verſchiedenen Gegenden Italiens folgendermaßen ſkizzirt.
In Neapel iſt der Adel träge und giebt ſich weder mit
ſeinen Gütern noch mit dem als ſchmachvoll geltenden
Handel ab; entweder tagediebt er zu Hauſe 2) oder ſitzt zu
Pferde. Auch der römiſche Adel verachtet den Handel, be-
wirthſchaftet aber ſeine Güter ſelbſt; ja wer das Land

1) Dieſelbe Verachtung des Geburtsadels findet ſich dann bei den Hu-
maniſten häufig. Vgl. die ſcharfen Stellen bei Aen. Sylvius,
Opera, p. 84 (Hist. bohem. cap. 2)
und 640 (Geſch. von Lu-
cretia und Euryalus).
2) Und zwar in der Hauptſtadt. Vgl. Bandello, Parte II, Nov, 7.
— Joviani Pontani Antonius
(wo der Verfall der Adelskraft erſt
von den Aragoneſen an datirt wird).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0368" n="358"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">5. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>&#x201E;Alten trieben, wäre viel edler als dieß un&#x017F;innige Herum-<lb/>
&#x201E;rennen in Wald und Gebirge, wobei man am mei&#x017F;ten<lb/>
&#x201E;den Thieren &#x017F;elber gleiche. Eine Erholung dürfe der-<lb/>
&#x201E;gleichen etwa vor&#x017F;tellen, nicht aber ein Lebensge&#x017F;chäft&#x201C;.<lb/>
Vollends unadlich er&#x017F;cheine das franzö&#x017F;i&#x017F;che und engli&#x017F;che<lb/>
Ritterleben auf dem Lande oder in Wald&#x017F;chlö&#x017F;&#x017F;ern, oder<lb/>
gar das deut&#x017F;che Raubritterthum. Der Medici nimmt hierauf<lb/>
einigermaßen die Partei des Adels, aber &#x2014; bezeichnend<lb/>
genug &#x2014; nicht mit Berufung auf ein angeborenes Gefühl,<lb/>
&#x017F;ondern weil Ari&#x017F;toteles im <hi rendition="#aq">V.</hi> Buch der Politica den Adel<lb/>
als etwas Seiendes anerkenne und definire, nämlich eben<lb/>
als beruhend auf Trefflichkeit und ererbtem Reichthum.<lb/>
Allein Niccoli erwiedert: Ari&#x017F;toteles &#x017F;age dieß nicht als &#x017F;eine<lb/>
Ueberzeugung, &#x017F;ondern als allgemeine Meinung; in der<lb/>
Ethik, wo er &#x017F;age was denke, nenne er Denjenigen adlich,<lb/>
welcher nach dem wahren Guten &#x017F;trebe. Um&#x017F;on&#x017F;t hält ihm<lb/>
nun der Medici den griechi&#x017F;chen Ausdruck für Adel, näm-<lb/>
lich Wohlgeborenheit, Eugeneia entgegen; Niccoli findet das<lb/>
römi&#x017F;che Wort <hi rendition="#aq">nobilis</hi>, d. h. bemerkenswerth, richtiger, indem<lb/>
&#x017F;elbiges den Adel von den Thaten abhängig mache <note place="foot" n="1)">Die&#x017F;elbe Verachtung des Geburtsadels findet &#x017F;ich dann bei den Hu-<lb/>
mani&#x017F;ten häufig. Vgl. die &#x017F;charfen Stellen bei <hi rendition="#aq">Aen. Sylvius,<lb/>
Opera, p. 84 (Hist. bohem. cap. 2)</hi> und 640 (Ge&#x017F;ch. von Lu-<lb/>
cretia und Euryalus).</note>. Außer<lb/><note place="left">Der Adel in den<lb/>
einzelnen Land-<lb/>
&#x017F;chaften.</note>die&#x017F;en Rai&#x017F;onnements wird die Stellung des Adels in den<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Gegenden Italiens folgendermaßen &#x017F;kizzirt.<lb/>
In Neapel i&#x017F;t der Adel träge und giebt &#x017F;ich weder mit<lb/>
&#x017F;einen Gütern noch mit dem als &#x017F;chmachvoll geltenden<lb/>
Handel ab; entweder tagediebt er zu Hau&#x017F;e <note place="foot" n="2)">Und zwar in der Haupt&#x017F;tadt. Vgl. <hi rendition="#aq">Bandello, Parte II, Nov, 7.<lb/>
&#x2014; Joviani Pontani Antonius</hi> (wo der Verfall der Adelskraft er&#x017F;t<lb/>
von den Aragone&#x017F;en an datirt wird).</note> oder &#x017F;itzt zu<lb/>
Pferde. Auch der römi&#x017F;che Adel verachtet den Handel, be-<lb/>
wirth&#x017F;chaftet aber &#x017F;eine Güter &#x017F;elb&#x017F;t; ja wer das Land<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0368] „Alten trieben, wäre viel edler als dieß unſinnige Herum- „rennen in Wald und Gebirge, wobei man am meiſten „den Thieren ſelber gleiche. Eine Erholung dürfe der- „gleichen etwa vorſtellen, nicht aber ein Lebensgeſchäft“. Vollends unadlich erſcheine das franzöſiſche und engliſche Ritterleben auf dem Lande oder in Waldſchlöſſern, oder gar das deutſche Raubritterthum. Der Medici nimmt hierauf einigermaßen die Partei des Adels, aber — bezeichnend genug — nicht mit Berufung auf ein angeborenes Gefühl, ſondern weil Ariſtoteles im V. Buch der Politica den Adel als etwas Seiendes anerkenne und definire, nämlich eben als beruhend auf Trefflichkeit und ererbtem Reichthum. Allein Niccoli erwiedert: Ariſtoteles ſage dieß nicht als ſeine Ueberzeugung, ſondern als allgemeine Meinung; in der Ethik, wo er ſage was denke, nenne er Denjenigen adlich, welcher nach dem wahren Guten ſtrebe. Umſonſt hält ihm nun der Medici den griechiſchen Ausdruck für Adel, näm- lich Wohlgeborenheit, Eugeneia entgegen; Niccoli findet das römiſche Wort nobilis, d. h. bemerkenswerth, richtiger, indem ſelbiges den Adel von den Thaten abhängig mache 1). Außer dieſen Raiſonnements wird die Stellung des Adels in den verſchiedenen Gegenden Italiens folgendermaßen ſkizzirt. In Neapel iſt der Adel träge und giebt ſich weder mit ſeinen Gütern noch mit dem als ſchmachvoll geltenden Handel ab; entweder tagediebt er zu Hauſe 2) oder ſitzt zu Pferde. Auch der römiſche Adel verachtet den Handel, be- wirthſchaftet aber ſeine Güter ſelbſt; ja wer das Land 5. Abſchnitt. Der Adel in den einzelnen Land- ſchaften. 1) Dieſelbe Verachtung des Geburtsadels findet ſich dann bei den Hu- maniſten häufig. Vgl. die ſcharfen Stellen bei Aen. Sylvius, Opera, p. 84 (Hist. bohem. cap. 2) und 640 (Geſch. von Lu- cretia und Euryalus). 2) Und zwar in der Hauptſtadt. Vgl. Bandello, Parte II, Nov, 7. — Joviani Pontani Antonius (wo der Verfall der Adelskraft erſt von den Aragoneſen an datirt wird).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/368
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/368>, abgerufen am 19.04.2024.