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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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5. Abschnitt.destens seit dem XII. Jahrhundert 1), wodurch Schicksale
und Vergnügungen gemeinschaftlich wurden und die An-
schauung der Welt vom Bergschloß aus von vornherein am
Entstehen verhindert war. Sodann ließ sich die Kirche in
Italien niemals zur Apanagirung der jüngern Söhne des
Adels brauchen wie im Norden; Bisthümer, Domherrn-
stellen und Abteien wurden oft nach den unwürdigsten
Rücksichten, aber doch nicht wesentlich nach Stammtafeln
vergeben, und wenn die Bischöfe viel zahlreicher, ärmer und
aller weltlichen Fürstenhoheit in der Regel baar und ledig
waren, so blieben sie dafür in der Stadt wohnen wo ihre
Cathedrale stand, und bildeten sammt ihrem Domcapitel
ein Element der gebildeten Bevölkerung derselben. Als
hierauf absolute Fürsten und Tyrannen emporkamen, hatte
der Adel in den meisten Städten allen Anlaß und alle
Muße, sich ein Privatleben zu schaffen (S. 133), welches
politisch gefahrlos und mit jeglichem feinern Lebensgenusse
u. Ausgleichung
der Stände.
geschmückt, dabei übrigens von dem der reichen Bürger ge-
wiß kaum zu unterscheiden war. Und als die neue Poesie
und Literatur seit Dante Sache eines Jeden 2) wurde, als
vollends die Bildung im Sinne des Alterthums und das
Interesse für den Menschen als solchen hinzutrat, während
Condottieren Fürsten wurden und nicht nur die Ebenbür-
tigkeit, sondern auch die eheliche Geburt aufhörten Requisite
des Thrones zu sein (S. 19), da konnte man glauben,
ein Zeitalter der Gleichheit sei angebrochen, der Begriff
des Adels völlig verflüchtigt.

Die Theorie, wenn sie sich auf das Alterthum berief,
konnte schon aus dem einen Aristoteles die Berechtigung

1) Bei dem piemontesischen Adel fiel das Wohnen auf den Landschlössern
als eine Ausnahme auf. Bandello, Parte II, Nov. 12.
2) Dieß schon lange vor dem Bücherdruck. Eine Menge Manuscripte,
und von den besten, gehörten florentinischen Arbeitern. Ohne Sa-
vonarola's Opferbrand wären noch viel mehr davon vorhanden.
Vgl. S. 198.

5. Abſchnitt.deſtens ſeit dem XII. Jahrhundert 1), wodurch Schickſale
und Vergnügungen gemeinſchaftlich wurden und die An-
ſchauung der Welt vom Bergſchloß aus von vornherein am
Entſtehen verhindert war. Sodann ließ ſich die Kirche in
Italien niemals zur Apanagirung der jüngern Söhne des
Adels brauchen wie im Norden; Bisthümer, Domherrn-
ſtellen und Abteien wurden oft nach den unwürdigſten
Rückſichten, aber doch nicht weſentlich nach Stammtafeln
vergeben, und wenn die Biſchöfe viel zahlreicher, ärmer und
aller weltlichen Fürſtenhoheit in der Regel baar und ledig
waren, ſo blieben ſie dafür in der Stadt wohnen wo ihre
Cathedrale ſtand, und bildeten ſammt ihrem Domcapitel
ein Element der gebildeten Bevölkerung derſelben. Als
hierauf abſolute Fürſten und Tyrannen emporkamen, hatte
der Adel in den meiſten Städten allen Anlaß und alle
Muße, ſich ein Privatleben zu ſchaffen (S. 133), welches
politiſch gefahrlos und mit jeglichem feinern Lebensgenuſſe
u. Ausgleichung
der Stände.
geſchmückt, dabei übrigens von dem der reichen Bürger ge-
wiß kaum zu unterſcheiden war. Und als die neue Poeſie
und Literatur ſeit Dante Sache eines Jeden 2) wurde, als
vollends die Bildung im Sinne des Alterthums und das
Intereſſe für den Menſchen als ſolchen hinzutrat, während
Condottieren Fürſten wurden und nicht nur die Ebenbür-
tigkeit, ſondern auch die eheliche Geburt aufhörten Requiſite
des Thrones zu ſein (S. 19), da konnte man glauben,
ein Zeitalter der Gleichheit ſei angebrochen, der Begriff
des Adels völlig verflüchtigt.

Die Theorie, wenn ſie ſich auf das Alterthum berief,
konnte ſchon aus dem einen Ariſtoteles die Berechtigung

1) Bei dem piemonteſiſchen Adel fiel das Wohnen auf den Landſchlöſſern
als eine Ausnahme auf. Bandello, Parte II, Nov. 12.
2) Dieß ſchon lange vor dem Bücherdruck. Eine Menge Manuſcripte,
und von den beſten, gehörten florentiniſchen Arbeitern. Ohne Sa-
vonarola's Opferbrand wären noch viel mehr davon vorhanden.
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[356/0366] deſtens ſeit dem XII. Jahrhundert 1), wodurch Schickſale und Vergnügungen gemeinſchaftlich wurden und die An- ſchauung der Welt vom Bergſchloß aus von vornherein am Entſtehen verhindert war. Sodann ließ ſich die Kirche in Italien niemals zur Apanagirung der jüngern Söhne des Adels brauchen wie im Norden; Bisthümer, Domherrn- ſtellen und Abteien wurden oft nach den unwürdigſten Rückſichten, aber doch nicht weſentlich nach Stammtafeln vergeben, und wenn die Biſchöfe viel zahlreicher, ärmer und aller weltlichen Fürſtenhoheit in der Regel baar und ledig waren, ſo blieben ſie dafür in der Stadt wohnen wo ihre Cathedrale ſtand, und bildeten ſammt ihrem Domcapitel ein Element der gebildeten Bevölkerung derſelben. Als hierauf abſolute Fürſten und Tyrannen emporkamen, hatte der Adel in den meiſten Städten allen Anlaß und alle Muße, ſich ein Privatleben zu ſchaffen (S. 133), welches politiſch gefahrlos und mit jeglichem feinern Lebensgenuſſe geſchmückt, dabei übrigens von dem der reichen Bürger ge- wiß kaum zu unterſcheiden war. Und als die neue Poeſie und Literatur ſeit Dante Sache eines Jeden 2) wurde, als vollends die Bildung im Sinne des Alterthums und das Intereſſe für den Menſchen als ſolchen hinzutrat, während Condottieren Fürſten wurden und nicht nur die Ebenbür- tigkeit, ſondern auch die eheliche Geburt aufhörten Requiſite des Thrones zu ſein (S. 19), da konnte man glauben, ein Zeitalter der Gleichheit ſei angebrochen, der Begriff des Adels völlig verflüchtigt. 5. Abſchnitt. u. Ausgleichung der Stände. Die Theorie, wenn ſie ſich auf das Alterthum berief, konnte ſchon aus dem einen Ariſtoteles die Berechtigung 1) Bei dem piemonteſiſchen Adel fiel das Wohnen auf den Landſchlöſſern als eine Ausnahme auf. Bandello, Parte II, Nov. 12. 2) Dieß ſchon lange vor dem Bücherdruck. Eine Menge Manuſcripte, und von den beſten, gehörten florentiniſchen Arbeitern. Ohne Sa- vonarola's Opferbrand wären noch viel mehr davon vorhanden. Vgl. S. 198.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/366>, abgerufen am 25.04.2024.