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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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4. Abschnitt.classen ihre Geltung verloren. Gewiß trug hiezu viel bei,
daß man hier zuerst die Menschen und die Menschheit in
ihrem tiefern Wesen vollständig erkannt hatte. Schon dieses
eine Resultat der Renaissance darf uns mit ewigem Dank-
gefühl erfüllen. Den logischen Begriff der Menschheit hatte
man von jeher gehabt, aber sie kannte die Sache.

Der Begriff des
Menschen.
Die höchsten Ahnungen auf diesem Gebiete spricht
Pico della Mirandola aus in seiner Rede von der Würde
des Menschen 1), welche wohl eines der edelsten Vermächt-
nisse jener Culturepoche heißen darf. Gott hat am Ende
der Schöpfungstage den Menschen geschaffen, damit derselbe
die Gesetze des Weltalls erkenne, dessen Schönheit liebe,
dessen Größe bewundere. Er band denselben an keinen
festen Sitz, an kein bestimmtes Thun, an keine Nothwen-
digkeiten, sondern er gab ihm Beweglichkeit und freien
Willen. "Mitten in die Welt", spricht der Schöpfer zu
Adam, "habe ich dich gestellt, damit du um so leichter um
dich schauest und sehest alles was darinnen ist. Ich schuf
dich als ein Wesen weder himmlisch noch irdisch, weder
sterblich noch unsterblich all ein, damit du dein eigener freier
Bildner und Ueberwinder seiest; du kannst zum Thier ent-
arten und zum gottähnlichen Wesen dich wiedergebären.
Die Thiere bringen aus dem Mutterleibe mit was sie haben
sollen, die höhern Geister sind von Anfang an oder doch
bald hernach 2) was sie in Ewigkeit bleiben werden. Du
allein hast eine Entwicklung, ein Wachsen nach freiem
Willen, du hast Keime eines allartigen Lebens in dir."


1) Jo. Pici oratio de hominis dignitate, in den Opera und in be-
sondern Abdrücken.
2) Eine Anspielung auf den Sturz Lucifers und seiner Genossen.

4. Abſchnitt.claſſen ihre Geltung verloren. Gewiß trug hiezu viel bei,
daß man hier zuerſt die Menſchen und die Menſchheit in
ihrem tiefern Weſen vollſtändig erkannt hatte. Schon dieſes
eine Reſultat der Renaiſſance darf uns mit ewigem Dank-
gefühl erfüllen. Den logiſchen Begriff der Menſchheit hatte
man von jeher gehabt, aber ſie kannte die Sache.

Der Begriff des
Menſchen.
Die höchſten Ahnungen auf dieſem Gebiete ſpricht
Pico della Mirandola aus in ſeiner Rede von der Würde
des Menſchen 1), welche wohl eines der edelſten Vermächt-
niſſe jener Culturepoche heißen darf. Gott hat am Ende
der Schöpfungstage den Menſchen geſchaffen, damit derſelbe
die Geſetze des Weltalls erkenne, deſſen Schönheit liebe,
deſſen Größe bewundere. Er band denſelben an keinen
feſten Sitz, an kein beſtimmtes Thun, an keine Nothwen-
digkeiten, ſondern er gab ihm Beweglichkeit und freien
Willen. „Mitten in die Welt“, ſpricht der Schöpfer zu
Adam, „habe ich dich geſtellt, damit du um ſo leichter um
dich ſchaueſt und ſeheſt alles was darinnen iſt. Ich ſchuf
dich als ein Weſen weder himmliſch noch irdiſch, weder
ſterblich noch unſterblich all ein, damit du dein eigener freier
Bildner und Ueberwinder ſeieſt; du kannſt zum Thier ent-
arten und zum gottähnlichen Weſen dich wiedergebären.
Die Thiere bringen aus dem Mutterleibe mit was ſie haben
ſollen, die höhern Geiſter ſind von Anfang an oder doch
bald hernach 2) was ſie in Ewigkeit bleiben werden. Du
allein haſt eine Entwicklung, ein Wachſen nach freiem
Willen, du haſt Keime eines allartigen Lebens in dir.“


1) Jo. Pici oratio de hominis dignitate, in den Opera und in be-
ſondern Abdrücken.
2) Eine Anſpielung auf den Sturz Lucifers und ſeiner Genoſſen.
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[354/0364] claſſen ihre Geltung verloren. Gewiß trug hiezu viel bei, daß man hier zuerſt die Menſchen und die Menſchheit in ihrem tiefern Weſen vollſtändig erkannt hatte. Schon dieſes eine Reſultat der Renaiſſance darf uns mit ewigem Dank- gefühl erfüllen. Den logiſchen Begriff der Menſchheit hatte man von jeher gehabt, aber ſie kannte die Sache. 4. Abſchnitt. Die höchſten Ahnungen auf dieſem Gebiete ſpricht Pico della Mirandola aus in ſeiner Rede von der Würde des Menſchen 1), welche wohl eines der edelſten Vermächt- niſſe jener Culturepoche heißen darf. Gott hat am Ende der Schöpfungstage den Menſchen geſchaffen, damit derſelbe die Geſetze des Weltalls erkenne, deſſen Schönheit liebe, deſſen Größe bewundere. Er band denſelben an keinen feſten Sitz, an kein beſtimmtes Thun, an keine Nothwen- digkeiten, ſondern er gab ihm Beweglichkeit und freien Willen. „Mitten in die Welt“, ſpricht der Schöpfer zu Adam, „habe ich dich geſtellt, damit du um ſo leichter um dich ſchaueſt und ſeheſt alles was darinnen iſt. Ich ſchuf dich als ein Weſen weder himmliſch noch irdiſch, weder ſterblich noch unſterblich all ein, damit du dein eigener freier Bildner und Ueberwinder ſeieſt; du kannſt zum Thier ent- arten und zum gottähnlichen Weſen dich wiedergebären. Die Thiere bringen aus dem Mutterleibe mit was ſie haben ſollen, die höhern Geiſter ſind von Anfang an oder doch bald hernach 2) was ſie in Ewigkeit bleiben werden. Du allein haſt eine Entwicklung, ein Wachſen nach freiem Willen, du haſt Keime eines allartigen Lebens in dir.“ Der Begriff des Menſchen. 1) Jo. Pici oratio de hominis dignitate, in den Opera und in be- ſondern Abdrücken. 2) Eine Anſpielung auf den Sturz Lucifers und ſeiner Genoſſen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/364>, abgerufen am 24.11.2024.