4. Abschnitt.nehmen kaum bemerklich, die Farbe "candidissimo" sein. Firenzuola's Ideal.Das Bein soll lang und an dem untern Theil zart, doch am Schienbein nicht zu fleischlos und überdieß mit starken weißen Waden versehen sein. Den Fuß will er klein, doch nicht mager, die Spannung (scheint es) hoch, die Farbe weiß wie Alabaster. Die Arme sollen weiß sein und sich an den erhöhten Theilen leise röthen; ihre Consistenz be- schreibt er als fleischig und musculös, doch sanft wie die der Pallas, da sie vor dem Hirten auf Ida stand, mit einem Worte: saftig, frisch und fest. Die Hand verlangt er weiß, besonders oben, aber groß und etwas voll, und anzufühlen wie feine Seide, das rosige Innere mit wenigen, aber deutlichen, nicht gekreuzten Linien und nicht zu hohen Hügeln versehen, den Raum zwischen Daumen und Zeige- finger lebhaft gefärbt und ohne Runzeln, die Finger lang, zart und gegen das Ende hin kaum merklich dünner, mit hellen, wenig gebogenen und nicht zu langen noch zu vier- eckigen Nägeln, die beschnitten sein sollen nur bis auf die Breite eines Messerrückens.
Neben dieser speciellen Aesthetik nimmt die allgemeine nur eine untergeordnete Stelle ein. Die tiefsten Gründe des Schönfindens, nach welchen das Auge "senza appello" richtet, sind auch für Firenzuola ein Geheimniß wie er offen eingesteht, und seine Definitionen von Leggiadria, Grazia, Vaghezza, Venusta, Aria, Maesta sind zum Theil, wie bemerkt, philologisch erworben, zum Theil ein vergeb- liches Ringen mit dem Unaussprechlichen. Das Lachen definirt er -- wahrscheinlich nach einem alten Autor -- recht hübsch als ein Erglänzen der Seele.
Alle Literaturen werden am Ausgange des Mittelalters einzelne Versuche aufweisen, die Schönheit gleichsam dog- matisch festzustellen 1). Allein neben Firenzuola wird schwer-
1) Das Schönheitsideal der Minnesinger s. bei Falke, die deutsche Trach- ten- und Modenwelt, I, S. 85, ff.
4. Abſchnitt.nehmen kaum bemerklich, die Farbe „candidissimo“ ſein. Firenzuola's Ideal.Das Bein ſoll lang und an dem untern Theil zart, doch am Schienbein nicht zu fleiſchlos und überdieß mit ſtarken weißen Waden verſehen ſein. Den Fuß will er klein, doch nicht mager, die Spannung (ſcheint es) hoch, die Farbe weiß wie Alabaſter. Die Arme ſollen weiß ſein und ſich an den erhöhten Theilen leiſe röthen; ihre Conſiſtenz be- ſchreibt er als fleiſchig und musculös, doch ſanft wie die der Pallas, da ſie vor dem Hirten auf Ida ſtand, mit einem Worte: ſaftig, friſch und feſt. Die Hand verlangt er weiß, beſonders oben, aber groß und etwas voll, und anzufühlen wie feine Seide, das roſige Innere mit wenigen, aber deutlichen, nicht gekreuzten Linien und nicht zu hohen Hügeln verſehen, den Raum zwiſchen Daumen und Zeige- finger lebhaft gefärbt und ohne Runzeln, die Finger lang, zart und gegen das Ende hin kaum merklich dünner, mit hellen, wenig gebogenen und nicht zu langen noch zu vier- eckigen Nägeln, die beſchnitten ſein ſollen nur bis auf die Breite eines Meſſerrückens.
Neben dieſer ſpeciellen Aeſthetik nimmt die allgemeine nur eine untergeordnete Stelle ein. Die tiefſten Gründe des Schönfindens, nach welchen das Auge „senza appello“ richtet, ſind auch für Firenzuola ein Geheimniß wie er offen eingeſteht, und ſeine Definitionen von Leggiadria, Grazia, Vaghezza, Venustà, Aria, Maestà ſind zum Theil, wie bemerkt, philologiſch erworben, zum Theil ein vergeb- liches Ringen mit dem Unausſprechlichen. Das Lachen definirt er — wahrſcheinlich nach einem alten Autor — recht hübſch als ein Erglänzen der Seele.
Alle Literaturen werden am Ausgange des Mittelalters einzelne Verſuche aufweiſen, die Schönheit gleichſam dog- matiſch feſtzuſtellen 1). Allein neben Firenzuola wird ſchwer-
1) Das Schönheitsideal der Minneſinger ſ. bei Falke, die deutſche Trach- ten- und Modenwelt, I, S. 85, ff.
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nehmen kaum bemerklich, die Farbe „candidissimo“ ſein.
Das Bein ſoll lang und an dem untern Theil zart, doch
am Schienbein nicht zu fleiſchlos und überdieß mit ſtarken
weißen Waden verſehen ſein. Den Fuß will er klein, doch
nicht mager, die Spannung (ſcheint es) hoch, die Farbe
weiß wie Alabaſter. Die Arme ſollen weiß ſein und ſich
an den erhöhten Theilen leiſe röthen; ihre Conſiſtenz be-
ſchreibt er als fleiſchig und musculös, doch ſanft wie die
der Pallas, da ſie vor dem Hirten auf Ida ſtand, mit
einem Worte: ſaftig, friſch und feſt. Die Hand verlangt
er weiß, beſonders oben, aber groß und etwas voll, und
anzufühlen wie feine Seide, das roſige Innere mit wenigen,
aber deutlichen, nicht gekreuzten Linien und nicht zu hohen
Hügeln verſehen, den Raum zwiſchen Daumen und Zeige-
finger lebhaft gefärbt und ohne Runzeln, die Finger lang,
zart und gegen das Ende hin kaum merklich dünner, mit
hellen, wenig gebogenen und nicht zu langen noch zu vier-
eckigen Nägeln, die beſchnitten ſein ſollen nur bis auf die
Breite eines Meſſerrückens.
4. Abſchnitt.
Firenzuola's
Ideal.
Neben dieſer ſpeciellen Aeſthetik nimmt die allgemeine
nur eine untergeordnete Stelle ein. Die tiefſten Gründe
des Schönfindens, nach welchen das Auge „senza appello“
richtet, ſind auch für Firenzuola ein Geheimniß wie er
offen eingeſteht, und ſeine Definitionen von Leggiadria,
Grazia, Vaghezza, Venustà, Aria, Maestà ſind zum Theil,
wie bemerkt, philologiſch erworben, zum Theil ein vergeb-
liches Ringen mit dem Unausſprechlichen. Das Lachen
definirt er — wahrſcheinlich nach einem alten Autor —
recht hübſch als ein Erglänzen der Seele.
Alle Literaturen werden am Ausgange des Mittelalters
einzelne Verſuche aufweiſen, die Schönheit gleichſam dog-
matiſch feſtzuſtellen 1). Allein neben Firenzuola wird ſchwer-
1) Das Schönheitsideal der Minneſinger ſ. bei Falke, die deutſche Trach-
ten- und Modenwelt, I, S. 85, ff.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/356>, abgerufen am 23.11.2024.
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