Daneben aber, ja noch in der ersten Hälfte des XIII.4. Abschnitt. Jahrhunderts, bildet sich eine von den vielen strenggemessenenDas Sonett, Strophenformen, die das Abendland damals hervorbrachte, für Italien zu einer herrschenden Durchschnittsform aus: das Sonett. Die Reimstellung und sogar der Zahl der Verse schwankt 1) noch hundert Jahre lang, bis Petrarca die bleibende Normalgestalt durchsetzte. In diese Form wird Anfangs jeder höhere lyrische und contemplative, später jeder mögliche Inhalt gegossen, so daß Madrigale, Sestinen und selbst die Canzonen daneben nur eine untergeordnete Stelle einnehmen. Spätere Italiener haben selber bald scherzend bald mißmuthig geklagt über diese unvermeidliche Schablone, dieses vierzehnzeilige Procrustesbett der Gefühle und Gedanken. Andere waren und sind gerade mit dieser Form sehr zufrieden und brauchen sie viel tausendmal um darin Reminiscenzen und müßigen Singsang ohne allen tiefern Ernst und ohne Nothwendigkeit niederzulegen. Deß- halb giebt es sehr viel mehr unbedeutende und schlechte Sonette als gute.
Nichtsdestoweniger erscheint uns das Sonett als einund sein Werth. ungeheurer Segen für die italienische Poesie. Die Klarheit und Schönheit seines Baues, die Aufforderung zur Stei- gerung des Inhaltes in der lebhafter gegliederten zweiten Hälfte, dann die Leichtigkeit des Auswendiglernens, mußten es auch den größten Meistern immer von Neuem lieb und werth machen. Oder meint man im Ernst, dieselben hätten es bis auf unser Jahrhundert beibehalten, wenn sie nicht von seinem hohen Werthe wären durchdrungen gewesen? Nun hätten allerdings diese Meister ersten Ranges auch in andern Formen der verschiedensten Art dieselbe Macht äußern können. Allein weil sie das Sonett zur lyrischen Haupt- form erhoben, wurden auch sehr viele Andere von hoher,
1) Man vgl. z. B. die sehr auffallenden Formen bei Dante, Vita nuova, p. 10 und 12.
20*
Daneben aber, ja noch in der erſten Hälfte des XIII.4. Abſchnitt. Jahrhunderts, bildet ſich eine von den vielen ſtrenggemeſſenenDas Sonett, Strophenformen, die das Abendland damals hervorbrachte, für Italien zu einer herrſchenden Durchſchnittsform aus: das Sonett. Die Reimſtellung und ſogar der Zahl der Verſe ſchwankt 1) noch hundert Jahre lang, bis Petrarca die bleibende Normalgeſtalt durchſetzte. In dieſe Form wird Anfangs jeder höhere lyriſche und contemplative, ſpäter jeder mögliche Inhalt gegoſſen, ſo daß Madrigale, Seſtinen und ſelbſt die Canzonen daneben nur eine untergeordnete Stelle einnehmen. Spätere Italiener haben ſelber bald ſcherzend bald mißmuthig geklagt über dieſe unvermeidliche Schablone, dieſes vierzehnzeilige Procruſtesbett der Gefühle und Gedanken. Andere waren und ſind gerade mit dieſer Form ſehr zufrieden und brauchen ſie viel tauſendmal um darin Reminiscenzen und müßigen Singſang ohne allen tiefern Ernſt und ohne Nothwendigkeit niederzulegen. Deß- halb giebt es ſehr viel mehr unbedeutende und ſchlechte Sonette als gute.
Nichtsdeſtoweniger erſcheint uns das Sonett als einund ſein Werth. ungeheurer Segen für die italieniſche Poeſie. Die Klarheit und Schönheit ſeines Baues, die Aufforderung zur Stei- gerung des Inhaltes in der lebhafter gegliederten zweiten Hälfte, dann die Leichtigkeit des Auswendiglernens, mußten es auch den größten Meiſtern immer von Neuem lieb und werth machen. Oder meint man im Ernſt, dieſelben hätten es bis auf unſer Jahrhundert beibehalten, wenn ſie nicht von ſeinem hohen Werthe wären durchdrungen geweſen? Nun hätten allerdings dieſe Meiſter erſten Ranges auch in andern Formen der verſchiedenſten Art dieſelbe Macht äußern können. Allein weil ſie das Sonett zur lyriſchen Haupt- form erhoben, wurden auch ſehr viele Andere von hoher,
1) Man vgl. z. B. die ſehr auffallenden Formen bei Dante, Vita nuova, p. 10 und 12.
20*
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0317"n="307"/><p>Daneben aber, ja noch in der erſten Hälfte des <hirendition="#aq">XIII.</hi><noteplace="right"><hirendition="#b"><hirendition="#u">4. Abſchnitt.</hi></hi></note><lb/>
Jahrhunderts, bildet ſich eine von den vielen ſtrenggemeſſenen<noteplace="right">Das Sonett,</note><lb/>
Strophenformen, die das Abendland damals hervorbrachte,<lb/>
für Italien zu einer herrſchenden Durchſchnittsform aus:<lb/>
das Sonett. Die Reimſtellung und ſogar der Zahl der<lb/>
Verſe ſchwankt <noteplace="foot"n="1)">Man vgl. z. B. die ſehr auffallenden Formen bei Dante, <hirendition="#aq">Vita<lb/>
nuova, p. 10</hi> und 12.</note> noch hundert Jahre lang, bis Petrarca<lb/>
die bleibende Normalgeſtalt durchſetzte. In dieſe Form wird<lb/>
Anfangs jeder höhere lyriſche und contemplative, ſpäter<lb/>
jeder mögliche Inhalt gegoſſen, ſo daß Madrigale, Seſtinen<lb/>
und ſelbſt die Canzonen daneben nur eine untergeordnete<lb/>
Stelle einnehmen. Spätere Italiener haben ſelber bald<lb/>ſcherzend bald mißmuthig geklagt über dieſe unvermeidliche<lb/>
Schablone, dieſes vierzehnzeilige Procruſtesbett der Gefühle<lb/>
und Gedanken. Andere waren und ſind gerade mit dieſer<lb/>
Form ſehr zufrieden und brauchen ſie viel tauſendmal um<lb/>
darin Reminiscenzen und müßigen Singſang ohne allen<lb/>
tiefern Ernſt und ohne Nothwendigkeit niederzulegen. Deß-<lb/>
halb giebt es ſehr viel mehr unbedeutende und ſchlechte<lb/>
Sonette als gute.</p><lb/><p>Nichtsdeſtoweniger erſcheint uns das Sonett als ein<noteplace="right">und ſein Werth.</note><lb/>
ungeheurer Segen für die italieniſche Poeſie. Die Klarheit<lb/>
und Schönheit ſeines Baues, die Aufforderung zur Stei-<lb/>
gerung des Inhaltes in der lebhafter gegliederten zweiten<lb/>
Hälfte, dann die Leichtigkeit des Auswendiglernens, mußten<lb/>
es auch den größten Meiſtern immer von Neuem lieb und<lb/>
werth machen. Oder meint man im Ernſt, dieſelben hätten<lb/>
es bis auf unſer Jahrhundert beibehalten, wenn ſie nicht<lb/>
von ſeinem hohen Werthe wären durchdrungen geweſen?<lb/>
Nun hätten allerdings dieſe Meiſter erſten Ranges auch in<lb/>
andern Formen der verſchiedenſten Art dieſelbe Macht äußern<lb/>
können. Allein weil ſie das Sonett zur lyriſchen Haupt-<lb/>
form erhoben, wurden auch ſehr viele Andere von hoher,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">20*</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[307/0317]
Daneben aber, ja noch in der erſten Hälfte des XIII.
Jahrhunderts, bildet ſich eine von den vielen ſtrenggemeſſenen
Strophenformen, die das Abendland damals hervorbrachte,
für Italien zu einer herrſchenden Durchſchnittsform aus:
das Sonett. Die Reimſtellung und ſogar der Zahl der
Verſe ſchwankt 1) noch hundert Jahre lang, bis Petrarca
die bleibende Normalgeſtalt durchſetzte. In dieſe Form wird
Anfangs jeder höhere lyriſche und contemplative, ſpäter
jeder mögliche Inhalt gegoſſen, ſo daß Madrigale, Seſtinen
und ſelbſt die Canzonen daneben nur eine untergeordnete
Stelle einnehmen. Spätere Italiener haben ſelber bald
ſcherzend bald mißmuthig geklagt über dieſe unvermeidliche
Schablone, dieſes vierzehnzeilige Procruſtesbett der Gefühle
und Gedanken. Andere waren und ſind gerade mit dieſer
Form ſehr zufrieden und brauchen ſie viel tauſendmal um
darin Reminiscenzen und müßigen Singſang ohne allen
tiefern Ernſt und ohne Nothwendigkeit niederzulegen. Deß-
halb giebt es ſehr viel mehr unbedeutende und ſchlechte
Sonette als gute.
4. Abſchnitt.
Das Sonett,
Nichtsdeſtoweniger erſcheint uns das Sonett als ein
ungeheurer Segen für die italieniſche Poeſie. Die Klarheit
und Schönheit ſeines Baues, die Aufforderung zur Stei-
gerung des Inhaltes in der lebhafter gegliederten zweiten
Hälfte, dann die Leichtigkeit des Auswendiglernens, mußten
es auch den größten Meiſtern immer von Neuem lieb und
werth machen. Oder meint man im Ernſt, dieſelben hätten
es bis auf unſer Jahrhundert beibehalten, wenn ſie nicht
von ſeinem hohen Werthe wären durchdrungen geweſen?
Nun hätten allerdings dieſe Meiſter erſten Ranges auch in
andern Formen der verſchiedenſten Art dieſelbe Macht äußern
können. Allein weil ſie das Sonett zur lyriſchen Haupt-
form erhoben, wurden auch ſehr viele Andere von hoher,
und ſein Werth.
1) Man vgl. z. B. die ſehr auffallenden Formen bei Dante, Vita
nuova, p. 10 und 12.
20*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/317>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.