4. Abschnitt.Auch die epische Poesie, welche z. B. Trachten und Waffen so genau bezeichnet, bleibt in der Schilderung der Oert- lichkeit skizzenhaft und der große Wolfram von Eschenbach erweckt kaum irgend ein genügendes Bild von der Scene, auf welcher seine handelnden Personen sich bewegen. Aus den Gesängen würde vollends Niemand errathen, daß dieser dichtende Adel aller Länder tausend hochgelegene, weit- schauende Schlösser bewohnte oder besuchte und kannte. Auch in jenen lateinischen Dichtungen der fahrenden Cle- riker (S. 174) fehlt noch der Blick in die Ferne, die eigentliche Landschaft, aber die Nähe wird bisweilen mit einer so glühenden Farbenpracht geschildert, wie sie vielleicht kein ritterlicher Minnedichter wiedergiebt. Oder existirt noch eine Schilderung vom Haine des Amor wie bei jenem, wie wir annehmen, italienischen Dichter des XII. Jahrhunderts?
Immortalis fieret Ibi manens homo; Arbor ibi quaelibet Suo gaudet pomo; Viae myrrha, cinnamo Fragrant, et amomo -- Coniectari poterat Dominus ex domo1)etc.
Für Italiener jedenfalls ist die Natur längst entsündigt und von jeder dämonischen Einwirkung befreit. San Fran- cesco von Assisi preist in seinem Sonnenhymnus den Herrn ganz harmlos um der Schöpfung der Himmelslichter und der vier Elemente willen.
Dante.Aber die festen Beweise für eine tiefere Wirkung großer landschaftlicher Anblicke auf das Gemüth beginnen mit Dante. Er schildert nicht nur überzeugend in wenigen Zeilen die Morgenlüfte mit dem fernzitternden Licht des sanft bewegten Meeres, den Sturm im Walde, u. dgl.,
1)Carmina Burana p. 162, de Phyllide et Flora, str. 66.
4. Abſchnitt.Auch die epiſche Poeſie, welche z. B. Trachten und Waffen ſo genau bezeichnet, bleibt in der Schilderung der Oert- lichkeit ſkizzenhaft und der große Wolfram von Eſchenbach erweckt kaum irgend ein genügendes Bild von der Scene, auf welcher ſeine handelnden Perſonen ſich bewegen. Aus den Geſängen würde vollends Niemand errathen, daß dieſer dichtende Adel aller Länder tauſend hochgelegene, weit- ſchauende Schlöſſer bewohnte oder beſuchte und kannte. Auch in jenen lateiniſchen Dichtungen der fahrenden Cle- riker (S. 174) fehlt noch der Blick in die Ferne, die eigentliche Landſchaft, aber die Nähe wird bisweilen mit einer ſo glühenden Farbenpracht geſchildert, wie ſie vielleicht kein ritterlicher Minnedichter wiedergiebt. Oder exiſtirt noch eine Schilderung vom Haine des Amor wie bei jenem, wie wir annehmen, italieniſchen Dichter des XII. Jahrhunderts?
Immortalis fieret Ibi manens homo; Arbor ibi quælibet Suo gaudet pomo; Viæ myrrha, cinnamo Fragrant, et amomo — Coniectari poterat Dominus ex domo1)etc.
Für Italiener jedenfalls iſt die Natur längſt entſündigt und von jeder dämoniſchen Einwirkung befreit. San Fran- cesco von Aſſiſi preist in ſeinem Sonnenhymnus den Herrn ganz harmlos um der Schöpfung der Himmelslichter und der vier Elemente willen.
Dante.Aber die feſten Beweiſe für eine tiefere Wirkung großer landſchaftlicher Anblicke auf das Gemüth beginnen mit Dante. Er ſchildert nicht nur überzeugend in wenigen Zeilen die Morgenlüfte mit dem fernzitternden Licht des ſanft bewegten Meeres, den Sturm im Walde, u. dgl.,
1)Carmina Burana p. 162, de Phyllide et Flora, str. 66.
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Auch die epiſche Poeſie, welche z. B. Trachten und Waffen
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lichkeit ſkizzenhaft und der große Wolfram von Eſchenbach
erweckt kaum irgend ein genügendes Bild von der Scene,
auf welcher ſeine handelnden Perſonen ſich bewegen. Aus
den Geſängen würde vollends Niemand errathen, daß dieſer
dichtende Adel aller Länder tauſend hochgelegene, weit-
ſchauende Schlöſſer bewohnte oder beſuchte und kannte.
Auch in jenen lateiniſchen Dichtungen der fahrenden Cle-
riker (S. 174) fehlt noch der Blick in die Ferne, die
eigentliche Landſchaft, aber die Nähe wird bisweilen mit
einer ſo glühenden Farbenpracht geſchildert, wie ſie vielleicht
kein ritterlicher Minnedichter wiedergiebt. Oder exiſtirt noch
eine Schilderung vom Haine des Amor wie bei jenem, wie
wir annehmen, italieniſchen Dichter des XII. Jahrhunderts?
4. Abſchnitt.
Immortalis fieret
Ibi manens homo;
Arbor ibi quælibet
Suo gaudet pomo;
Viæ myrrha, cinnamo
Fragrant, et amomo —
Coniectari poterat
Dominus ex domo 1) etc.
Für Italiener jedenfalls iſt die Natur längſt entſündigt
und von jeder dämoniſchen Einwirkung befreit. San Fran-
cesco von Aſſiſi preist in ſeinem Sonnenhymnus den Herrn
ganz harmlos um der Schöpfung der Himmelslichter und
der vier Elemente willen.
Aber die feſten Beweiſe für eine tiefere Wirkung großer
landſchaftlicher Anblicke auf das Gemüth beginnen mit
Dante. Er ſchildert nicht nur überzeugend in wenigen
Zeilen die Morgenlüfte mit dem fernzitternden Licht des
ſanft bewegten Meeres, den Sturm im Walde, u. dgl.,
Dante.
1) Carmina Burana p. 162, de Phyllide et Flora, str. 66.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/304>, abgerufen am 22.11.2024.
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