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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Vorstellung von dem zu erwecken, was er zu sagen hat.4. Abschnitt.
Als specieller Gelehrter tritt er dann vorzüglich in der
Astronomie auf, wenn gleich nicht zu verkennen ist, daßPopuläre
Sternkunde.

manche astronomische Stelle in dem großen Gedichte, die
uns jetzt gelehrt erscheint, damals allgemein verständlich
gewesen sein muß. Dante appellirt, abgesehen von seiner
Gelehrsamkeit, an eine populäre Himmelskunde, welche die
damaligen Italiener, schon als Seefahrer, mit den Alten
gemein[ ]hatten. Diese Kenntniß des Aufganges und Nie-
derganges der Sternbilder ist für die neuere Welt durch
Uhren und Kalender entbehrlich geworden, und mit ihr
ging verloren was sich sonst von astronomischem Interesse
im Volke entwickelt hatte. Gegenwärtig fehlt es nicht an
Handbüchern und Gymnasialunterricht, und jedes Kind
weiß, daß die Erde sich um die Sonne bewegt, was Dante
nicht wußte, aber die Theilnahme an der Sache ist der
vollkommensten Gleichgültigkeit gewichen, mit Ausnahme
der Fachleute.

Die Wahnwissenschaft, welche sich an die Sterne hing,
beweist nichts gegen den empirischen Sinn der damaligen
Italiener; derselbe wurde nur durchkreuzt und überwältigt
durch die Leidenschaft, den heftigen Wunsch die Zukunft
zu wissen. Auch wird von der Astrologie bei Anlaß des
sittlichen und religiösen Characters der Nation zu reden sein.

Die Kirche war gegen diese und andere falsche Wissen-Einmischung
der Kirche,

schaften fast immer tolerant und auch gegen die echte Na-
turforschung schritt sie wohl nur dann ein, wenn die An-
klage -- wahr oder unwahr -- zugleich auf Ketzerei und
Necromantie lautete, was denn allerdings ziemlich nahe lag.
Der Punkt, auf welchen es ankömmt, wäre: zu ermitteln,
ob und in welchen Fällen die dominicanischen Inquisitoren
(und auch wohl die Franciscaner) in Italien sich der Falsch-
heit dieser Anklagen bewußt waren und dennoch verurtheilten,
sei es aus Connivenz gegen Feinde des Betreffenden, oder
aus stillem Haß gegen die Naturbeobachtung überhaupt

Vorſtellung von dem zu erwecken, was er zu ſagen hat.4. Abſchnitt.
Als ſpecieller Gelehrter tritt er dann vorzüglich in der
Aſtronomie auf, wenn gleich nicht zu verkennen iſt, daßPopuläre
Sternkunde.

manche aſtronomiſche Stelle in dem großen Gedichte, die
uns jetzt gelehrt erſcheint, damals allgemein verſtändlich
geweſen ſein muß. Dante appellirt, abgeſehen von ſeiner
Gelehrſamkeit, an eine populäre Himmelskunde, welche die
damaligen Italiener, ſchon als Seefahrer, mit den Alten
gemein[ ]hatten. Dieſe Kenntniß des Aufganges und Nie-
derganges der Sternbilder iſt für die neuere Welt durch
Uhren und Kalender entbehrlich geworden, und mit ihr
ging verloren was ſich ſonſt von aſtronomiſchem Intereſſe
im Volke entwickelt hatte. Gegenwärtig fehlt es nicht an
Handbüchern und Gymnaſialunterricht, und jedes Kind
weiß, daß die Erde ſich um die Sonne bewegt, was Dante
nicht wußte, aber die Theilnahme an der Sache iſt der
vollkommenſten Gleichgültigkeit gewichen, mit Ausnahme
der Fachleute.

Die Wahnwiſſenſchaft, welche ſich an die Sterne hing,
beweist nichts gegen den empiriſchen Sinn der damaligen
Italiener; derſelbe wurde nur durchkreuzt und überwältigt
durch die Leidenſchaft, den heftigen Wunſch die Zukunft
zu wiſſen. Auch wird von der Aſtrologie bei Anlaß des
ſittlichen und religiöſen Characters der Nation zu reden ſein.

Die Kirche war gegen dieſe und andere falſche Wiſſen-Einmiſchung
der Kirche,

ſchaften faſt immer tolerant und auch gegen die echte Na-
turforſchung ſchritt ſie wohl nur dann ein, wenn die An-
klage — wahr oder unwahr — zugleich auf Ketzerei und
Necromantie lautete, was denn allerdings ziemlich nahe lag.
Der Punkt, auf welchen es ankömmt, wäre: zu ermitteln,
ob und in welchen Fällen die dominicaniſchen Inquiſitoren
(und auch wohl die Franciscaner) in Italien ſich der Falſch-
heit dieſer Anklagen bewußt waren und dennoch verurtheilten,
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[285/0295] Vorſtellung von dem zu erwecken, was er zu ſagen hat. Als ſpecieller Gelehrter tritt er dann vorzüglich in der Aſtronomie auf, wenn gleich nicht zu verkennen iſt, daß manche aſtronomiſche Stelle in dem großen Gedichte, die uns jetzt gelehrt erſcheint, damals allgemein verſtändlich geweſen ſein muß. Dante appellirt, abgeſehen von ſeiner Gelehrſamkeit, an eine populäre Himmelskunde, welche die damaligen Italiener, ſchon als Seefahrer, mit den Alten gemein hatten. Dieſe Kenntniß des Aufganges und Nie- derganges der Sternbilder iſt für die neuere Welt durch Uhren und Kalender entbehrlich geworden, und mit ihr ging verloren was ſich ſonſt von aſtronomiſchem Intereſſe im Volke entwickelt hatte. Gegenwärtig fehlt es nicht an Handbüchern und Gymnaſialunterricht, und jedes Kind weiß, daß die Erde ſich um die Sonne bewegt, was Dante nicht wußte, aber die Theilnahme an der Sache iſt der vollkommenſten Gleichgültigkeit gewichen, mit Ausnahme der Fachleute. 4. Abſchnitt. Populäre Sternkunde. Die Wahnwiſſenſchaft, welche ſich an die Sterne hing, beweist nichts gegen den empiriſchen Sinn der damaligen Italiener; derſelbe wurde nur durchkreuzt und überwältigt durch die Leidenſchaft, den heftigen Wunſch die Zukunft zu wiſſen. Auch wird von der Aſtrologie bei Anlaß des ſittlichen und religiöſen Characters der Nation zu reden ſein. Die Kirche war gegen dieſe und andere falſche Wiſſen- ſchaften faſt immer tolerant und auch gegen die echte Na- turforſchung ſchritt ſie wohl nur dann ein, wenn die An- klage — wahr oder unwahr — zugleich auf Ketzerei und Necromantie lautete, was denn allerdings ziemlich nahe lag. Der Punkt, auf welchen es ankömmt, wäre: zu ermitteln, ob und in welchen Fällen die dominicaniſchen Inquiſitoren (und auch wohl die Franciscaner) in Italien ſich der Falſch- heit dieſer Anklagen bewußt waren und dennoch verurtheilten, ſei es aus Connivenz gegen Feinde des Betreffenden, oder aus ſtillem Haß gegen die Naturbeobachtung überhaupt Einmiſchung der Kirche,

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/295>, abgerufen am 28.03.2024.