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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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ganze große Seite der Erde lag dann gleichsam schon ent-4. Abschnitt.
deckt vor ihnen. Oder sie geriethen, wie die Polo von
Venedig, in die Wellenschläge der mongolischen Welt hinein
und wurden weiter getragen bis an die Stufen des Thrones
des Großchans. Frühe finden wir einzelne Italiener auch
schon im atlantischen Meere als Theilnehmer von Ent-
deckungen, wie denn z. B. Genuesen im XIII. Jahrhundert
bereits die canarischen Inseln fanden 1); Columbus ist nur
der Größte einer ganzen Reihe von Italienern, welche im
Dienste der Westvölker in ferne Meere fuhren. Nun ist
aber der wahre Entdecker nicht der, welcher zufällig zuerst
irgendwohin geräth, sondern der, welcher gesucht hat und
findet; ein solcher allein wird auch im Zusammenhange
stehen mit den Gedanken und Interessen seiner Vorgänger,
und die Rechenschaft, die er ablegt, wird danach beschaffen
sein. Deßhalb werden die Italiener, auch wenn ihnen jede
einzelne Priorität der Ankunft an diesem oder jenem Strande
abgestritten würde, doch immer das moderne Entdeckervolk
im vorzugsweisen Sinne für das ganze Spätmittelalter
bleiben.

Die nähere Begründung dieses Satzes gehört der Spe-
cialgeschichte der Entdeckungen an. Immer von Neuem
aber wendet sich die Bewunderung der ehrwürdigen GestaltColumbus.
des großen Genuesen zu, der einen neuen Continent jenseits
der Wasser forderte, suchte und fand, und der es zuerst
aussprechen durfte: il mondo e poco, die Erde ist nicht
so groß als man glaubt. Während Spanien den Italienern
einen Alexander VI. sendet, giebt Italien den Spaniern
den Columbus; wenige Wochen vor dem Tode jenes Papstes
(7. Juli 1503) datirt dieser aus Jamaica seinen herrlichen
Brief an die undankbaren katholischen Könige, den die
ganze Nachwelt nie wird ohne die stärkste Erregung lesen

1) Luigi Bossi, Vita di Cristoforo Colombo, wo sich eine Ueber-
sicht der frühern ital. Reisen und Entdeckungen findet, p. 91, s.

ganze große Seite der Erde lag dann gleichſam ſchon ent-4. Abſchnitt.
deckt vor ihnen. Oder ſie geriethen, wie die Polo von
Venedig, in die Wellenſchläge der mongoliſchen Welt hinein
und wurden weiter getragen bis an die Stufen des Thrones
des Großchans. Frühe finden wir einzelne Italiener auch
ſchon im atlantiſchen Meere als Theilnehmer von Ent-
deckungen, wie denn z. B. Genueſen im XIII. Jahrhundert
bereits die canariſchen Inſeln fanden 1); Columbus iſt nur
der Größte einer ganzen Reihe von Italienern, welche im
Dienſte der Weſtvölker in ferne Meere fuhren. Nun iſt
aber der wahre Entdecker nicht der, welcher zufällig zuerſt
irgendwohin geräth, ſondern der, welcher geſucht hat und
findet; ein ſolcher allein wird auch im Zuſammenhange
ſtehen mit den Gedanken und Intereſſen ſeiner Vorgänger,
und die Rechenſchaft, die er ablegt, wird danach beſchaffen
ſein. Deßhalb werden die Italiener, auch wenn ihnen jede
einzelne Priorität der Ankunft an dieſem oder jenem Strande
abgeſtritten würde, doch immer das moderne Entdeckervolk
im vorzugsweiſen Sinne für das ganze Spätmittelalter
bleiben.

Die nähere Begründung dieſes Satzes gehört der Spe-
cialgeſchichte der Entdeckungen an. Immer von Neuem
aber wendet ſich die Bewunderung der ehrwürdigen GeſtaltColumbus.
des großen Genueſen zu, der einen neuen Continent jenſeits
der Waſſer forderte, ſuchte und fand, und der es zuerſt
ausſprechen durfte: il mondo è poco, die Erde iſt nicht
ſo groß als man glaubt. Während Spanien den Italienern
einen Alexander VI. ſendet, giebt Italien den Spaniern
den Columbus; wenige Wochen vor dem Tode jenes Papſtes
(7. Juli 1503) datirt dieſer aus Jamaica ſeinen herrlichen
Brief an die undankbaren katholiſchen Könige, den die
ganze Nachwelt nie wird ohne die ſtärkſte Erregung leſen

1) Luigi Bossi, Vita di Cristoforo Colombo, wo ſich eine Ueber-
ſicht der frühern ital. Reiſen und Entdeckungen findet, p. 91, s.
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[281/0291] ganze große Seite der Erde lag dann gleichſam ſchon ent- deckt vor ihnen. Oder ſie geriethen, wie die Polo von Venedig, in die Wellenſchläge der mongoliſchen Welt hinein und wurden weiter getragen bis an die Stufen des Thrones des Großchans. Frühe finden wir einzelne Italiener auch ſchon im atlantiſchen Meere als Theilnehmer von Ent- deckungen, wie denn z. B. Genueſen im XIII. Jahrhundert bereits die canariſchen Inſeln fanden 1); Columbus iſt nur der Größte einer ganzen Reihe von Italienern, welche im Dienſte der Weſtvölker in ferne Meere fuhren. Nun iſt aber der wahre Entdecker nicht der, welcher zufällig zuerſt irgendwohin geräth, ſondern der, welcher geſucht hat und findet; ein ſolcher allein wird auch im Zuſammenhange ſtehen mit den Gedanken und Intereſſen ſeiner Vorgänger, und die Rechenſchaft, die er ablegt, wird danach beſchaffen ſein. Deßhalb werden die Italiener, auch wenn ihnen jede einzelne Priorität der Ankunft an dieſem oder jenem Strande abgeſtritten würde, doch immer das moderne Entdeckervolk im vorzugsweiſen Sinne für das ganze Spätmittelalter bleiben. 4. Abſchnitt. Die nähere Begründung dieſes Satzes gehört der Spe- cialgeſchichte der Entdeckungen an. Immer von Neuem aber wendet ſich die Bewunderung der ehrwürdigen Geſtalt des großen Genueſen zu, der einen neuen Continent jenſeits der Waſſer forderte, ſuchte und fand, und der es zuerſt ausſprechen durfte: il mondo è poco, die Erde iſt nicht ſo groß als man glaubt. Während Spanien den Italienern einen Alexander VI. ſendet, giebt Italien den Spaniern den Columbus; wenige Wochen vor dem Tode jenes Papſtes (7. Juli 1503) datirt dieſer aus Jamaica ſeinen herrlichen Brief an die undankbaren katholiſchen Könige, den die ganze Nachwelt nie wird ohne die ſtärkſte Erregung leſen Columbus. 1) Luigi Bossi, Vita di Cristoforo Colombo, wo ſich eine Ueber- ſicht der frühern ital. Reiſen und Entdeckungen findet, p. 91, s.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/291>, abgerufen am 19.04.2024.