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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.von Reminiscenzen aus jenen Vorbildern als irgend ein
Gedicht dieser Art und Zeit, aber dabei vom schönsten an-
tiken Klang. Ueberhaupt sorgt Navagero 1) immer zuerst
für einen echten poetischen Inhalt, den er dann nicht knech-
tisch sondern mit meisterhafter Freiheit im Styl der Antho-
logie, des Ovid, des Catull, auch der virgilischen Eclogen
wiedergiebt; die Mythologie braucht er nur äußerst mäßig,
etwa um in einem Gebet an Ceres u. a. ländliche Gott-
heiten das Bild des einfachsten Daseins zu entwickeln.
Einen Gruß an die Heimath, bei der Rückkehr von seiner
Gesandtschaft in Spanien, hat er nur angefangen; es hätte
wohl ein Ganzes werden können wie "Bella Italia, amate
sponde"
von Vincenzo Monti, wenn der Rest diesem An-
fang entsprach:
Salve cura Deaum, mundi felicior ora,
Formosae Veneris dulces salvete recessus;
Ut vos post tantos animi mentisque labores
Aspicio lustroque libens, ut munere vestro
Sollicitas toto depello e pectore curas!

Die elegische oder hexametrische Form wird ein Gefäß
für jeden höhern pathetischen Inhalt, und die edelste patrio-
tische Aufregung (S. 121, die Elegie an Julius II.) wie
die pomphafteste Vergötterung der Herrschenden sucht hier
ihren Ausdruck2), aber auch die zarteste Melancholie eines
Tibull. Mario Molsa, der in seiner Schmeichelei gegen
Clemens VII. und die Farnesen mit Statius und Martial
wetteifert, hat in einer Elegie "an die Genossen", vom

1) Andr. Naugerii orationes duae carminaque aliquot, Venet.
1530 in
4. -- Die wenigen Carmina auch größtentheils oder voll-
ständig in den Deliciae.
2) Was man Leo X. bieten durfte, zeigt das Gebet des Guido Postumo
Silvestri an Christus, Maria und alle Heiligen, sie möchten der
Menschheit dieses numen noch lange lassen, da sie ja im Himmel
ihrer genug seien. Abgedr. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi V.
237.

3. Abſchnitt.von Reminiscenzen aus jenen Vorbildern als irgend ein
Gedicht dieſer Art und Zeit, aber dabei vom ſchönſten an-
tiken Klang. Ueberhaupt ſorgt Navagero 1) immer zuerſt
für einen echten poetiſchen Inhalt, den er dann nicht knech-
tiſch ſondern mit meiſterhafter Freiheit im Styl der Antho-
logie, des Ovid, des Catull, auch der virgiliſchen Eclogen
wiedergiebt; die Mythologie braucht er nur äußerſt mäßig,
etwa um in einem Gebet an Ceres u. a. ländliche Gott-
heiten das Bild des einfachſten Daſeins zu entwickeln.
Einen Gruß an die Heimath, bei der Rückkehr von ſeiner
Geſandtſchaft in Spanien, hat er nur angefangen; es hätte
wohl ein Ganzes werden können wie „Bella Italia, amate
sponde“
von Vincenzo Monti, wenn der Reſt dieſem An-
fang entſprach:
Salve cura Deûm, mundi felicior ora,
Formosæ Veneris dulces salvete recessus;
Ut vos post tantos animi mentisque labores
Aspicio lustroque libens, ut munere vestro
Sollicitas toto depello e pectore curas!

Die elegiſche oder hexametriſche Form wird ein Gefäß
für jeden höhern pathetiſchen Inhalt, und die edelſte patrio-
tiſche Aufregung (S. 121, die Elegie an Julius II.) wie
die pomphafteſte Vergötterung der Herrſchenden ſucht hier
ihren Ausdruck2), aber auch die zarteſte Melancholie eines
Tibull. Mario Molſa, der in ſeiner Schmeichelei gegen
Clemens VII. und die Farneſen mit Statius und Martial
wetteifert, hat in einer Elegie „an die Genoſſen“, vom

1) Andr. Naugerii orationes duæ carminaque aliquot, Venet.
1530 in
4. — Die wenigen Carmina auch größtentheils oder voll-
ſtändig in den Deliciæ.
2) Was man Leo X. bieten durfte, zeigt das Gebet des Guido Poſtumo
Silveſtri an Chriſtus, Maria und alle Heiligen, ſie möchten der
Menſchheit dieſes numen noch lange laſſen, da ſie ja im Himmel
ihrer genug ſeien. Abgedr. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi V.
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[262/0272] von Reminiscenzen aus jenen Vorbildern als irgend ein Gedicht dieſer Art und Zeit, aber dabei vom ſchönſten an- tiken Klang. Ueberhaupt ſorgt Navagero 1) immer zuerſt für einen echten poetiſchen Inhalt, den er dann nicht knech- tiſch ſondern mit meiſterhafter Freiheit im Styl der Antho- logie, des Ovid, des Catull, auch der virgiliſchen Eclogen wiedergiebt; die Mythologie braucht er nur äußerſt mäßig, etwa um in einem Gebet an Ceres u. a. ländliche Gott- heiten das Bild des einfachſten Daſeins zu entwickeln. Einen Gruß an die Heimath, bei der Rückkehr von ſeiner Geſandtſchaft in Spanien, hat er nur angefangen; es hätte wohl ein Ganzes werden können wie „Bella Italia, amate sponde“ von Vincenzo Monti, wenn der Reſt dieſem An- fang entſprach: Salve cura Deûm, mundi felicior ora, Formosæ Veneris dulces salvete recessus; Ut vos post tantos animi mentisque labores Aspicio lustroque libens, ut munere vestro Sollicitas toto depello e pectore curas! 3. Abſchnitt. Die elegiſche oder hexametriſche Form wird ein Gefäß für jeden höhern pathetiſchen Inhalt, und die edelſte patrio- tiſche Aufregung (S. 121, die Elegie an Julius II.) wie die pomphafteſte Vergötterung der Herrſchenden ſucht hier ihren Ausdruck 2), aber auch die zarteſte Melancholie eines Tibull. Mario Molſa, der in ſeiner Schmeichelei gegen Clemens VII. und die Farneſen mit Statius und Martial wetteifert, hat in einer Elegie „an die Genoſſen“, vom 1) Andr. Naugerii orationes duæ carminaque aliquot, Venet. 1530 in 4. — Die wenigen Carmina auch größtentheils oder voll- ſtändig in den Deliciæ. 2) Was man Leo X. bieten durfte, zeigt das Gebet des Guido Poſtumo Silveſtri an Chriſtus, Maria und alle Heiligen, ſie möchten der Menſchheit dieſes numen noch lange laſſen, da ſie ja im Himmel ihrer genug ſeien. Abgedr. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi V. 237.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/272>, abgerufen am 29.03.2024.