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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.schnitt bilden, womit dann jedesmal das moderne Zeitalter
der betreffenden Wissenschaft beginnt, hier mehr, dort we-
niger entschieden. Auch für die Philosophie müssen wir
auf die besondern historischen Darstellungen verweisen. Der
Einfluß der alten Philosophen auf die italienische Cultur
erscheint dem Blicke bald ungeheuer groß, bald sehr unter-
geordnet. Ersteres besonders, wenn man nachrechnet, wie
die Begriffe des Aristoteles, hauptsächlich aus seiner früh-
verbreiteten Ethik 1) und Politik, Gemeingut der Gebildeten
von ganz Italien wurden und wie die ganze Art des Ab-
strahirens von ihm beherrscht war2). Letzteres dagegen,
wenn man die geringe dogmatische Wirkung der alten Phi-
losophen und selbst der begeisterten florentinischen Platoniker
auf den Geist der Nation erwägt. Was wie eine solche
Wirkung aussieht, ist in der Regel nur ein Niederschlag
der Bildung im Allgemeinen, eine Folge speciell italienischer
Geistesentwicklungen. Bei Anlaß der Religion wird hier-
über noch Einiges zu bemerken sein. Weit in den meisten
Fällen aber hat man es nicht einmal mit der allgemeinen
Bildung sondern nur mit der Aeußerung einzelner Personen
oder gelehrter Kreise zu thun, und selbst hier müßte jedes-
mal unterschieden werden zwischen wahrer Aneignung an-
tiker Lehre und bloßem modemäßigem Mitmachen. Denn
für Viele war das Alterthum überhaupt nur eine Mode,
selbst für Solche, die darin sehr gelehrt wurden.

Antikisirung der
Namen.
Indeß braucht nicht Alles, was unserm Jahrhundert
als Affectation erscheint, damals wirklich affectirt gewesen
zu sein. Die Anwendung griechischer und römischer Namen
als Taufnamen z. B. ist noch immer viel schöner und

1) Ein Cardinal unter Paul II. ließ sogar seinen Köchen des A.
Ethik vortragen. Vgl. Gasp. Veron. vita Pauli II. bei Mura-
tori III, II, Col.
1034.
2) Für das Studium des Aristoteles im Allgemeinen ist besonders lehr-
reich eine Rede des Hermolaus Barbarus.

3. Abſchnitt.ſchnitt bilden, womit dann jedesmal das moderne Zeitalter
der betreffenden Wiſſenſchaft beginnt, hier mehr, dort we-
niger entſchieden. Auch für die Philoſophie müſſen wir
auf die beſondern hiſtoriſchen Darſtellungen verweiſen. Der
Einfluß der alten Philoſophen auf die italieniſche Cultur
erſcheint dem Blicke bald ungeheuer groß, bald ſehr unter-
geordnet. Erſteres beſonders, wenn man nachrechnet, wie
die Begriffe des Ariſtoteles, hauptſächlich aus ſeiner früh-
verbreiteten Ethik 1) und Politik, Gemeingut der Gebildeten
von ganz Italien wurden und wie die ganze Art des Ab-
ſtrahirens von ihm beherrſcht war2). Letzteres dagegen,
wenn man die geringe dogmatiſche Wirkung der alten Phi-
loſophen und ſelbſt der begeiſterten florentiniſchen Platoniker
auf den Geiſt der Nation erwägt. Was wie eine ſolche
Wirkung ausſieht, iſt in der Regel nur ein Niederſchlag
der Bildung im Allgemeinen, eine Folge ſpeciell italieniſcher
Geiſtesentwicklungen. Bei Anlaß der Religion wird hier-
über noch Einiges zu bemerken ſein. Weit in den meiſten
Fällen aber hat man es nicht einmal mit der allgemeinen
Bildung ſondern nur mit der Aeußerung einzelner Perſonen
oder gelehrter Kreiſe zu thun, und ſelbſt hier müßte jedes-
mal unterſchieden werden zwiſchen wahrer Aneignung an-
tiker Lehre und bloßem modemäßigem Mitmachen. Denn
für Viele war das Alterthum überhaupt nur eine Mode,
ſelbſt für Solche, die darin ſehr gelehrt wurden.

Antikiſirung der
Namen.
Indeß braucht nicht Alles, was unſerm Jahrhundert
als Affectation erſcheint, damals wirklich affectirt geweſen
zu ſein. Die Anwendung griechiſcher und römiſcher Namen
als Taufnamen z. B. iſt noch immer viel ſchöner und

1) Ein Cardinal unter Paul II. ließ ſogar ſeinen Köchen des A.
Ethik vortragen. Vgl. Gasp. Veron. vita Pauli II. bei Mura-
tori III, II, Col.
1034.
2) Für das Studium des Ariſtoteles im Allgemeinen iſt beſonders lehr-
reich eine Rede des Hermolaus Barbarus.
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[244/0254] ſchnitt bilden, womit dann jedesmal das moderne Zeitalter der betreffenden Wiſſenſchaft beginnt, hier mehr, dort we- niger entſchieden. Auch für die Philoſophie müſſen wir auf die beſondern hiſtoriſchen Darſtellungen verweiſen. Der Einfluß der alten Philoſophen auf die italieniſche Cultur erſcheint dem Blicke bald ungeheuer groß, bald ſehr unter- geordnet. Erſteres beſonders, wenn man nachrechnet, wie die Begriffe des Ariſtoteles, hauptſächlich aus ſeiner früh- verbreiteten Ethik 1) und Politik, Gemeingut der Gebildeten von ganz Italien wurden und wie die ganze Art des Ab- ſtrahirens von ihm beherrſcht war 2). Letzteres dagegen, wenn man die geringe dogmatiſche Wirkung der alten Phi- loſophen und ſelbſt der begeiſterten florentiniſchen Platoniker auf den Geiſt der Nation erwägt. Was wie eine ſolche Wirkung ausſieht, iſt in der Regel nur ein Niederſchlag der Bildung im Allgemeinen, eine Folge ſpeciell italieniſcher Geiſtesentwicklungen. Bei Anlaß der Religion wird hier- über noch Einiges zu bemerken ſein. Weit in den meiſten Fällen aber hat man es nicht einmal mit der allgemeinen Bildung ſondern nur mit der Aeußerung einzelner Perſonen oder gelehrter Kreiſe zu thun, und ſelbſt hier müßte jedes- mal unterſchieden werden zwiſchen wahrer Aneignung an- tiker Lehre und bloßem modemäßigem Mitmachen. Denn für Viele war das Alterthum überhaupt nur eine Mode, ſelbſt für Solche, die darin ſehr gelehrt wurden. 3. Abſchnitt. Indeß braucht nicht Alles, was unſerm Jahrhundert als Affectation erſcheint, damals wirklich affectirt geweſen zu ſein. Die Anwendung griechiſcher und römiſcher Namen als Taufnamen z. B. iſt noch immer viel ſchöner und Antikiſirung der Namen. 1) Ein Cardinal unter Paul II. ließ ſogar ſeinen Köchen des A. Ethik vortragen. Vgl. Gasp. Veron. vita Pauli II. bei Mura- tori III, II, Col. 1034. 2) Für das Studium des Ariſtoteles im Allgemeinen iſt beſonders lehr- reich eine Rede des Hermolaus Barbarus.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/254>, abgerufen am 26.04.2024.