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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.Hofliterat, Universitätsprofessor, Beamter, Arzt oder Geist-
licher sein.

Auch jeder andere politische Anlaß wird begierig er-
griffen, und je nach dem Ruhm des Redners läuft Alles
herbei was die Bildung verehrt. Bei alljährlichen Beamten-
erneuerungen, sogar bei Einführung neuernannter Bischöfe
muß irgend ein Humanist auftreten, der bisweilen 1) in
sapphischen Strophen oder Hexametern spricht; auch mancher
neu antretende Beamte selbst muß eine unumgängliche
Rede halten über sein Fach z. B. "über die Gerechtigkeit";
wohl ihm wenn er darauf geschult ist. In Florenz zieht
man auch die Condottieren -- sie mögen sein wer und wie
sie wollen -- in das landesübliche Pathos hinein und läßt
sie bei Ueberreichung des Feldherrenstabes durch den ge-
lehrtesten Staatssecretär vor allem Volk haranguiren 2).
Es scheint, daß unter oder an der Loggia de' Lanzi, der
feierlichen Halle, wo die Regierung vor dem Volke aufzu-
treten pflegte, eine eigentliche Rednerbühne (rostra,
ringhiera
) angebracht war.

Leichenreden etc.Von Anniversarien werden besonders die Todestage
der Fürsten durch Gedächtnißreden gefeiert. Auch die
eigentliche Leichenrede ist vorherrschend dem Humanisten
anheimgefallen, der sie in der Kirche, in weltlichem Ge-
wande recitirt, und zwar nicht nur am Sarge von Fürsten,
sondern auch von Beamten u. a. namhaften Leuten 3).
Ebenso verhält es sich oft mit Verlobungs- und Hochzeits-
reden, nur daß diese (wie es scheint) nicht in der Kirche
sondern im Palast, z. B. die des Filelfo bei der Verlobung

1) Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp., bei Anlaß des
Collenuccio. -- Filelfo, ein verheiratheter Laie, hielt im Dom von
Como die Einführungsrede für den Bischof Scarampi 1460.
2) Fabroni, Cosmus, Adnot. 52.
3) Was doch z. B. dem Jac. Volaterranus (bei Murat. XXIII,
Col.
171) bei Platina's Gedächtnißfeier einigen Anstoß gab.

3. Abſchnitt.Hofliterat, Univerſitätsprofeſſor, Beamter, Arzt oder Geiſt-
licher ſein.

Auch jeder andere politiſche Anlaß wird begierig er-
griffen, und je nach dem Ruhm des Redners läuft Alles
herbei was die Bildung verehrt. Bei alljährlichen Beamten-
erneuerungen, ſogar bei Einführung neuernannter Biſchöfe
muß irgend ein Humaniſt auftreten, der bisweilen 1) in
ſapphiſchen Strophen oder Hexametern ſpricht; auch mancher
neu antretende Beamte ſelbſt muß eine unumgängliche
Rede halten über ſein Fach z. B. „über die Gerechtigkeit“;
wohl ihm wenn er darauf geſchult iſt. In Florenz zieht
man auch die Condottieren — ſie mögen ſein wer und wie
ſie wollen — in das landesübliche Pathos hinein und läßt
ſie bei Ueberreichung des Feldherrenſtabes durch den ge-
lehrteſten Staatsſecretär vor allem Volk haranguiren 2).
Es ſcheint, daß unter oder an der Loggia de' Lanzi, der
feierlichen Halle, wo die Regierung vor dem Volke aufzu-
treten pflegte, eine eigentliche Rednerbühne (rostra,
ringhiera
) angebracht war.

Leichenreden ꝛc.Von Anniverſarien werden beſonders die Todestage
der Fürſten durch Gedächtnißreden gefeiert. Auch die
eigentliche Leichenrede iſt vorherrſchend dem Humaniſten
anheimgefallen, der ſie in der Kirche, in weltlichem Ge-
wande recitirt, und zwar nicht nur am Sarge von Fürſten,
ſondern auch von Beamten u. a. namhaften Leuten 3).
Ebenſo verhält es ſich oft mit Verlobungs- und Hochzeits-
reden, nur daß dieſe (wie es ſcheint) nicht in der Kirche
ſondern im Palaſt, z. B. die des Filelfo bei der Verlobung

1) Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp., bei Anlaß des
Collenuccio. — Filelfo, ein verheiratheter Laie, hielt im Dom von
Como die Einführungsrede für den Biſchof Scarampi 1460.
2) Fabroni, Cosmus, Adnot. 52.
3) Was doch z. B. dem Jac. Volaterranus (bei Murat. XXIII,
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[230/0240] Hofliterat, Univerſitätsprofeſſor, Beamter, Arzt oder Geiſt- licher ſein. 3. Abſchnitt. Auch jeder andere politiſche Anlaß wird begierig er- griffen, und je nach dem Ruhm des Redners läuft Alles herbei was die Bildung verehrt. Bei alljährlichen Beamten- erneuerungen, ſogar bei Einführung neuernannter Biſchöfe muß irgend ein Humaniſt auftreten, der bisweilen 1) in ſapphiſchen Strophen oder Hexametern ſpricht; auch mancher neu antretende Beamte ſelbſt muß eine unumgängliche Rede halten über ſein Fach z. B. „über die Gerechtigkeit“; wohl ihm wenn er darauf geſchult iſt. In Florenz zieht man auch die Condottieren — ſie mögen ſein wer und wie ſie wollen — in das landesübliche Pathos hinein und läßt ſie bei Ueberreichung des Feldherrenſtabes durch den ge- lehrteſten Staatsſecretär vor allem Volk haranguiren 2). Es ſcheint, daß unter oder an der Loggia de' Lanzi, der feierlichen Halle, wo die Regierung vor dem Volke aufzu- treten pflegte, eine eigentliche Rednerbühne (rostra, ringhiera) angebracht war. Von Anniverſarien werden beſonders die Todestage der Fürſten durch Gedächtnißreden gefeiert. Auch die eigentliche Leichenrede iſt vorherrſchend dem Humaniſten anheimgefallen, der ſie in der Kirche, in weltlichem Ge- wande recitirt, und zwar nicht nur am Sarge von Fürſten, ſondern auch von Beamten u. a. namhaften Leuten 3). Ebenſo verhält es ſich oft mit Verlobungs- und Hochzeits- reden, nur daß dieſe (wie es ſcheint) nicht in der Kirche ſondern im Palaſt, z. B. die des Filelfo bei der Verlobung Leichenreden ꝛc. 1) Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp., bei Anlaß des Collenuccio. — Filelfo, ein verheiratheter Laie, hielt im Dom von Como die Einführungsrede für den Biſchof Scarampi 1460. 2) Fabroni, Cosmus, Adnot. 52. 3) Was doch z. B. dem Jac. Volaterranus (bei Murat. XXIII, Col. 171) bei Platina's Gedächtnißfeier einigen Anſtoß gab.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/240>, abgerufen am 25.04.2024.