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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.gen mußte; heutzutage -- Jesu Christo sei Dank! -- sei
die wahre Religion erstarkt, alles Heidenthum vertilgt, und
die siegreiche Kirche im Besitz des feindlichen Lagers; jetzt
könne man das Heidenthum fast (fere) ohne Gefahr be-
trachten und behandeln. Es ist dasselbe Argument, mit
welchem sich dann die ganze Renaissance vertheidigt hat.

Es war also eine neue Sache in der Welt und eine
neue Menschenclasse, welche dieselbe vertrat. Es ist unnütz
darüber zu streiten ob diese Sache mitten in ihrem Sieges-
lauf hätte still halten, sich geflissentlich beschränken und
dem rein Nationalen ein gewisses Vorrecht hätte wahren
sollen. Man hatte ja keine stärkere Ueberzeugung als die,
daß das Alterthum eben der höchste Ruhm der italienischen
Nation sei.

Die Poeten-
krönung.
Dieser ersten Generation von Poeten-Philologen ist
wesentlich eine symbolische Ceremonie eigen, die auch im
XV. und XVI. Jahrhundert nicht ausstirbt, aber ihr
höheres Pathos einbüßt: die Poetenkrönung mit einem
Lorbeerkranz. Ihre Anfänge im Mittelalter sind dunkel
und zu einem festen Ritual ist sie nie gelangt; es war
eine öffentliche Demonstration, ein sichtbarer Ausbruch des
literarischen Ruhmes 1) und schon deßhalb etwas Wandel-
bares. Dante z. B. scheint eine halbreligiöse Weihe im
Sinn gehabt zu haben; er wollte über dem Taufstein von
San Giovanni, wo er und wie hunderttausende von flo-
rentinischen Kindern getauft worden war, sich selber den
Kranz aufsetzen 2). Er hätte, sagt sein Biograph, Ruhmes-
halber den Lorbeer überall empfangen können, wollte es
aber nirgends als in der Heimath und starb deßhalb un-

1) Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: la quale (laurea) non scienza
accresce, ma e dell' acquistata certissimo testimonio e orna-
mento.
2) Paradiso XXV, 1, s. -- Boccaccio, Vita di Dante, p. 50:
sopra le fonti di San Giovanni si era disposto di coronare.

Vgl. Paradiso I, 25.

3. Abſchnitt.gen mußte; heutzutage — Jeſu Chriſto ſei Dank! — ſei
die wahre Religion erſtarkt, alles Heidenthum vertilgt, und
die ſiegreiche Kirche im Beſitz des feindlichen Lagers; jetzt
könne man das Heidenthum faſt (fere) ohne Gefahr be-
trachten und behandeln. Es iſt daſſelbe Argument, mit
welchem ſich dann die ganze Renaiſſance vertheidigt hat.

Es war alſo eine neue Sache in der Welt und eine
neue Menſchenclaſſe, welche dieſelbe vertrat. Es iſt unnütz
darüber zu ſtreiten ob dieſe Sache mitten in ihrem Sieges-
lauf hätte ſtill halten, ſich gefliſſentlich beſchränken und
dem rein Nationalen ein gewiſſes Vorrecht hätte wahren
ſollen. Man hatte ja keine ſtärkere Ueberzeugung als die,
daß das Alterthum eben der höchſte Ruhm der italieniſchen
Nation ſei.

Die Poeten-
krönung.
Dieſer erſten Generation von Poeten-Philologen iſt
weſentlich eine ſymboliſche Ceremonie eigen, die auch im
XV. und XVI. Jahrhundert nicht ausſtirbt, aber ihr
höheres Pathos einbüßt: die Poetenkrönung mit einem
Lorbeerkranz. Ihre Anfänge im Mittelalter ſind dunkel
und zu einem feſten Ritual iſt ſie nie gelangt; es war
eine öffentliche Demonſtration, ein ſichtbarer Ausbruch des
literariſchen Ruhmes 1) und ſchon deßhalb etwas Wandel-
bares. Dante z. B. ſcheint eine halbreligiöſe Weihe im
Sinn gehabt zu haben; er wollte über dem Taufſtein von
San Giovanni, wo er und wie hunderttauſende von flo-
rentiniſchen Kindern getauft worden war, ſich ſelber den
Kranz aufſetzen 2). Er hätte, ſagt ſein Biograph, Ruhmes-
halber den Lorbeer überall empfangen können, wollte es
aber nirgends als in der Heimath und ſtarb deßhalb un-

1) Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: la quale (laurea) non scienza
accresce, ma è dell' acquistata certissimo testimonio e orna-
mento.
2) Paradiso XXV, 1, s. — Boccaccio, Vita di Dante, p. 50:
sopra le fonti di San Giovanni si era disposto di coronare.

Vgl. Paradiso I, 25.
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[202/0212] gen mußte; heutzutage — Jeſu Chriſto ſei Dank! — ſei die wahre Religion erſtarkt, alles Heidenthum vertilgt, und die ſiegreiche Kirche im Beſitz des feindlichen Lagers; jetzt könne man das Heidenthum faſt (fere) ohne Gefahr be- trachten und behandeln. Es iſt daſſelbe Argument, mit welchem ſich dann die ganze Renaiſſance vertheidigt hat. 3. Abſchnitt. Es war alſo eine neue Sache in der Welt und eine neue Menſchenclaſſe, welche dieſelbe vertrat. Es iſt unnütz darüber zu ſtreiten ob dieſe Sache mitten in ihrem Sieges- lauf hätte ſtill halten, ſich gefliſſentlich beſchränken und dem rein Nationalen ein gewiſſes Vorrecht hätte wahren ſollen. Man hatte ja keine ſtärkere Ueberzeugung als die, daß das Alterthum eben der höchſte Ruhm der italieniſchen Nation ſei. Dieſer erſten Generation von Poeten-Philologen iſt weſentlich eine ſymboliſche Ceremonie eigen, die auch im XV. und XVI. Jahrhundert nicht ausſtirbt, aber ihr höheres Pathos einbüßt: die Poetenkrönung mit einem Lorbeerkranz. Ihre Anfänge im Mittelalter ſind dunkel und zu einem feſten Ritual iſt ſie nie gelangt; es war eine öffentliche Demonſtration, ein ſichtbarer Ausbruch des literariſchen Ruhmes 1) und ſchon deßhalb etwas Wandel- bares. Dante z. B. ſcheint eine halbreligiöſe Weihe im Sinn gehabt zu haben; er wollte über dem Taufſtein von San Giovanni, wo er und wie hunderttauſende von flo- rentiniſchen Kindern getauft worden war, ſich ſelber den Kranz aufſetzen 2). Er hätte, ſagt ſein Biograph, Ruhmes- halber den Lorbeer überall empfangen können, wollte es aber nirgends als in der Heimath und ſtarb deßhalb un- Die Poeten- krönung. 1) Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: la quale (laurea) non scienza accresce, ma è dell' acquistata certissimo testimonio e orna- mento. 2) Paradiso XXV, 1, s. — Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: sopra le fonti di San Giovanni si era disposto di coronare. Vgl. Paradiso I, 25.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/212>, abgerufen am 23.04.2024.