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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Das Unheimliche und Gottverlassene dieser Existenz1. Abschnitt.
bekam in den Gedanken der Zeitgenossen noch eine besondere
Farbe durch den notorischen Sternglauben und Unglauben
mancher Herrscher. Als der letzte Carrara in seinem pest-
verödeten Padua (1405) die Mauern und Thore nicht mehr
besetzen konnte, während die Venezianer die Stadt umzingel-
ten, hörten ihn seine Leibwachen oft des Nachts dem Teufel
rufen: er möge ihn tödten!


Die vollständigste und belehrendste Ausbildung dieserDie Visconti;
Bernabo.

Tyrannis des XIV. Jahrhunderts findet sich wohl unstreitig
bei den Visconti in Mailand, von dem Tode des Erz-
bischofs Giovanni (1354) an. Gleich meldet sich in Ber-
nabo ganz unverkennbar eine Familienähnlichkeit mit den
schrecklichsten römischen Imperatoren; 1) der wichtigste Staats-
zweck ist die Eberjagd des Fürsten; wer ihm darein greift,
wird martervoll hingerichtet; das zitternde Volk muß ihm
5000 Jagdhunde füttern, unter der schärfsten Verantwort-
lichkeit für deren Wohlbefinden. Die Steuern werden mit
allen denkbaren Zwangsmitteln emporgetrieben, sieben Töch-
ter jede mit 100,000 Goldgulden ausgestattet und ein
enormer Schatz gesammelt. Beim Tode seiner Gemahlinn
(1384) erschien eine Notification "an die Unterthanen",
sie sollten, wie sonst die Freude, so jetzt das Leid mit ihm
theilen und ein Jahr lang Trauer tragen. -- Unvergleich-
lich bezeichnend ist dann der Handstreich, womit ihn sein
Neffe Giangaleazzo (1385) in seine Gewalt bekam, eines
jener gelungenen Complotte, bei deren Schilderung noch
späten Geschichtschreibern das Herz schlägt. 2) Bei Gianga-Giangaleazzo.
leazzo tritt der echte Tyrannensinn für das Colossale ge-
waltig hervor. Er hat mit Aufwand von 300,000 Gold-

1) Corio, Storia di Milano, Fol. 247, s.
2) Auch z. B. dem Paolo Giovio. Viri illustres, Jo. Galeatius.

Das Unheimliche und Gottverlaſſene dieſer Exiſtenz1. Abſchnitt.
bekam in den Gedanken der Zeitgenoſſen noch eine beſondere
Farbe durch den notoriſchen Sternglauben und Unglauben
mancher Herrſcher. Als der letzte Carrara in ſeinem peſt-
verödeten Padua (1405) die Mauern und Thore nicht mehr
beſetzen konnte, während die Venezianer die Stadt umzingel-
ten, hörten ihn ſeine Leibwachen oft des Nachts dem Teufel
rufen: er möge ihn tödten!


Die vollſtändigſte und belehrendſte Ausbildung dieſerDie Visconti;
Bernabò.

Tyrannis des XIV. Jahrhunderts findet ſich wohl unſtreitig
bei den Visconti in Mailand, von dem Tode des Erz-
biſchofs Giovanni (1354) an. Gleich meldet ſich in Ber-
nabò ganz unverkennbar eine Familienähnlichkeit mit den
ſchrecklichſten römiſchen Imperatoren; 1) der wichtigſte Staats-
zweck iſt die Eberjagd des Fürſten; wer ihm darein greift,
wird martervoll hingerichtet; das zitternde Volk muß ihm
5000 Jagdhunde füttern, unter der ſchärfſten Verantwort-
lichkeit für deren Wohlbefinden. Die Steuern werden mit
allen denkbaren Zwangsmitteln emporgetrieben, ſieben Töch-
ter jede mit 100,000 Goldgulden ausgeſtattet und ein
enormer Schatz geſammelt. Beim Tode ſeiner Gemahlinn
(1384) erſchien eine Notification „an die Unterthanen“,
ſie ſollten, wie ſonſt die Freude, ſo jetzt das Leid mit ihm
theilen und ein Jahr lang Trauer tragen. — Unvergleich-
lich bezeichnend iſt dann der Handſtreich, womit ihn ſein
Neffe Giangaleazzo (1385) in ſeine Gewalt bekam, eines
jener gelungenen Complotte, bei deren Schilderung noch
ſpäten Geſchichtſchreibern das Herz ſchlägt. 2) Bei Gianga-Giangaleazzo.
leazzo tritt der echte Tyrannenſinn für das Coloſſale ge-
waltig hervor. Er hat mit Aufwand von 300,000 Gold-

1) Corio, Storia di Milano, Fol. 247, s.
2) Auch z. B. dem Paolo Giovio. Viri illustres, Jo. Galeatius.
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[11/0021] Das Unheimliche und Gottverlaſſene dieſer Exiſtenz bekam in den Gedanken der Zeitgenoſſen noch eine beſondere Farbe durch den notoriſchen Sternglauben und Unglauben mancher Herrſcher. Als der letzte Carrara in ſeinem peſt- verödeten Padua (1405) die Mauern und Thore nicht mehr beſetzen konnte, während die Venezianer die Stadt umzingel- ten, hörten ihn ſeine Leibwachen oft des Nachts dem Teufel rufen: er möge ihn tödten! 1. Abſchnitt. Die vollſtändigſte und belehrendſte Ausbildung dieſer Tyrannis des XIV. Jahrhunderts findet ſich wohl unſtreitig bei den Visconti in Mailand, von dem Tode des Erz- biſchofs Giovanni (1354) an. Gleich meldet ſich in Ber- nabò ganz unverkennbar eine Familienähnlichkeit mit den ſchrecklichſten römiſchen Imperatoren; 1) der wichtigſte Staats- zweck iſt die Eberjagd des Fürſten; wer ihm darein greift, wird martervoll hingerichtet; das zitternde Volk muß ihm 5000 Jagdhunde füttern, unter der ſchärfſten Verantwort- lichkeit für deren Wohlbefinden. Die Steuern werden mit allen denkbaren Zwangsmitteln emporgetrieben, ſieben Töch- ter jede mit 100,000 Goldgulden ausgeſtattet und ein enormer Schatz geſammelt. Beim Tode ſeiner Gemahlinn (1384) erſchien eine Notification „an die Unterthanen“, ſie ſollten, wie ſonſt die Freude, ſo jetzt das Leid mit ihm theilen und ein Jahr lang Trauer tragen. — Unvergleich- lich bezeichnend iſt dann der Handſtreich, womit ihn ſein Neffe Giangaleazzo (1385) in ſeine Gewalt bekam, eines jener gelungenen Complotte, bei deren Schilderung noch ſpäten Geſchichtſchreibern das Herz ſchlägt. 2) Bei Gianga- leazzo tritt der echte Tyrannenſinn für das Coloſſale ge- waltig hervor. Er hat mit Aufwand von 300,000 Gold- Die Visconti; Bernabò. Giangaleazzo. 1) Corio, Storia di Milano, Fol. 247, s. 2) Auch z. B. dem Paolo Giovio. Viri illustres, Jo. Galeatius.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/21>, abgerufen am 24.11.2024.