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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Essens plötzlich unterbricht und zuletzt nach unglücklicher2. Abschnitt.
Regierung an allzuvielem Biertrinken verstirbt; worauf das
Haus seines Leibarztes von Nachtschwärmern bekränzt und
mit der Inschrift Liberatori Patriae S. P. Q. R. geschmückt
wird. Freilich Giovio hatte bei der allgemeinen Renten-
einziehung auch seine Rente verloren und nur deßhalb zur
Entschädigung eine Pfründe erhalten, weil er "kein Poet",
d. h. kein Heide sei. Es stand aber geschrieben, daß Hadrian
das letzte große Opfer dieser Art sein sollte. Seit dem
Unglück Roms (1527) starb mit der äußersten Ruchlosig-
keit des Lebens auch die frevelhafte Rede sichtlich ab.

Während sie aber noch in Blüthe stand, hatte sich,Pietro Aretino.
hauptsächlich in Rom, der größte Lästerer der neuern Zeit,
Pietro Aretino, ausgebildet. Ein Blick auf sein Wesen
erspart uns die Beschäftigung mit manchen Geringern seiner
Gattung.

Wir kennen ihn hauptsächlich in den letzten drei Jahr-
zehnden seines Lebens (1527--1556), die er in dem für
ihn einzig möglichen Asyl Venedig zubrachte. Von hier
aus hielt er das ganze berühmte Italien in einer Art von
Belagerungszustand; hieher mündeten auch die Geschenke
auswärtiger Fürsten, die seine Feder brauchten oder fürch-
teten. Carl V. und Franz I. pensionirten ihn beide zugleich,
weil Jeder hoffte, Aretino würde dem Andern Verdruß
machen; Aretino schmeichelte Beiden, schloß sich aber natür-
lich enger an Carl an, weil dieser in Italien Meister blieb.
Nach dem Sieg über Tunis (1535) geht dieser Ton in
den der lächerlichsten Vergötterung über, wobei zu erwägen
ist, daß Aretino fortwährend sich mit der Hoffnung hinhalten
ließ, durch Carl's Hülfe Cardinal zu werden. Vermuth-
lich genoß er eine specielle Protection als spanischer Agent,
indem man durch sein Reden oder Schweigen auf die klei-
nern italienischen Fürsten und auf die öffentliche Meinung
drücken konnte. Das Papstwesen gab er sich die Miene

Eſſens plötzlich unterbricht und zuletzt nach unglücklicher2. Abſchnitt.
Regierung an allzuvielem Biertrinken verſtirbt; worauf das
Haus ſeines Leibarztes von Nachtſchwärmern bekränzt und
mit der Inſchrift Liberatori Patriæ S. P. Q. R. geſchmückt
wird. Freilich Giovio hatte bei der allgemeinen Renten-
einziehung auch ſeine Rente verloren und nur deßhalb zur
Entſchädigung eine Pfründe erhalten, weil er „kein Poet“,
d. h. kein Heide ſei. Es ſtand aber geſchrieben, daß Hadrian
das letzte große Opfer dieſer Art ſein ſollte. Seit dem
Unglück Roms (1527) ſtarb mit der äußerſten Ruchloſig-
keit des Lebens auch die frevelhafte Rede ſichtlich ab.

Während ſie aber noch in Blüthe ſtand, hatte ſich,Pietro Aretino.
hauptſächlich in Rom, der größte Läſterer der neuern Zeit,
Pietro Aretino, ausgebildet. Ein Blick auf ſein Weſen
erſpart uns die Beſchäftigung mit manchen Geringern ſeiner
Gattung.

Wir kennen ihn hauptſächlich in den letzten drei Jahr-
zehnden ſeines Lebens (1527—1556), die er in dem für
ihn einzig möglichen Aſyl Venedig zubrachte. Von hier
aus hielt er das ganze berühmte Italien in einer Art von
Belagerungszuſtand; hieher mündeten auch die Geſchenke
auswärtiger Fürſten, die ſeine Feder brauchten oder fürch-
teten. Carl V. und Franz I. penſionirten ihn beide zugleich,
weil Jeder hoffte, Aretino würde dem Andern Verdruß
machen; Aretino ſchmeichelte Beiden, ſchloß ſich aber natür-
lich enger an Carl an, weil dieſer in Italien Meiſter blieb.
Nach dem Sieg über Tunis (1535) geht dieſer Ton in
den der lächerlichſten Vergötterung über, wobei zu erwägen
iſt, daß Aretino fortwährend ſich mit der Hoffnung hinhalten
ließ, durch Carl's Hülfe Cardinal zu werden. Vermuth-
lich genoß er eine ſpecielle Protection als ſpaniſcher Agent,
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[165/0175] Eſſens plötzlich unterbricht und zuletzt nach unglücklicher Regierung an allzuvielem Biertrinken verſtirbt; worauf das Haus ſeines Leibarztes von Nachtſchwärmern bekränzt und mit der Inſchrift Liberatori Patriæ S. P. Q. R. geſchmückt wird. Freilich Giovio hatte bei der allgemeinen Renten- einziehung auch ſeine Rente verloren und nur deßhalb zur Entſchädigung eine Pfründe erhalten, weil er „kein Poet“, d. h. kein Heide ſei. Es ſtand aber geſchrieben, daß Hadrian das letzte große Opfer dieſer Art ſein ſollte. Seit dem Unglück Roms (1527) ſtarb mit der äußerſten Ruchloſig- keit des Lebens auch die frevelhafte Rede ſichtlich ab. 2. Abſchnitt. Während ſie aber noch in Blüthe ſtand, hatte ſich, hauptſächlich in Rom, der größte Läſterer der neuern Zeit, Pietro Aretino, ausgebildet. Ein Blick auf ſein Weſen erſpart uns die Beſchäftigung mit manchen Geringern ſeiner Gattung. Pietro Aretino. Wir kennen ihn hauptſächlich in den letzten drei Jahr- zehnden ſeines Lebens (1527—1556), die er in dem für ihn einzig möglichen Aſyl Venedig zubrachte. Von hier aus hielt er das ganze berühmte Italien in einer Art von Belagerungszuſtand; hieher mündeten auch die Geſchenke auswärtiger Fürſten, die ſeine Feder brauchten oder fürch- teten. Carl V. und Franz I. penſionirten ihn beide zugleich, weil Jeder hoffte, Aretino würde dem Andern Verdruß machen; Aretino ſchmeichelte Beiden, ſchloß ſich aber natür- lich enger an Carl an, weil dieſer in Italien Meiſter blieb. Nach dem Sieg über Tunis (1535) geht dieſer Ton in den der lächerlichſten Vergötterung über, wobei zu erwägen iſt, daß Aretino fortwährend ſich mit der Hoffnung hinhalten ließ, durch Carl's Hülfe Cardinal zu werden. Vermuth- lich genoß er eine ſpecielle Protection als ſpaniſcher Agent, indem man durch ſein Reden oder Schweigen auf die klei- nern italieniſchen Fürſten und auf die öffentliche Meinung drücken konnte. Das Papſtweſen gab er ſich die Miene

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/175>, abgerufen am 19.04.2024.